Die Bäume und die Räume werden lichter

Graue Werktage bei grauem Wetter, aber zumindest über das Wetter möchte ich mich nicht beschweren, ganz und gar nicht. Ein bisher sehr guter November. Man muss auch mal loben können, das sage ich im Büro auch immer, und dann fällt mir wieder nichts ein. Egal. Ein fast vorbildlicher Anfang des Spätherbstes mit Regen, Kälte und Wind, so gehört das. Endlich wieder ein Monat, der weiß, was sich gehört. So wird er in den Bilderbüchern gelehrt, das ist vorbildliche Traditionswahrung für das konservative Publikum, also für mich. Der November nimmt das Laub und die Außengastro mit sich, die Bäume, die Büsche und die öffentlichen Räume werden jetzt wieder lichter, mehr Durchblick gibt es überall, also zumindest dann, wenn es zwischendurch mal kurz hell wird und man entschlossen zum Lebkuchenkauf durch die Straßen eilt, während sich über den Häusern oben schon wieder alles dunkelgrau auftürmt und gleich die ersten Tropfen fallen.

Ich gehe ins Büro. Es wird nicht hell draußen und alle sagen das auch, guck mal, es wird gar nicht hell draußen. Ja, sage ich, schön ist das, und dann gucken sie wieder so.

Ich kaufe, weil es so gehört, seit immer schon, Mandarinen, die dann ein Sohn aber zuhause nach dieser neuen Methode von Tiktok zerschneidet, aufteilt und serviert. Man entkommt der Moderne nicht. Nirgends. Ich sage, während ich meine Mandarine weiter stoisch wie damals pelle, also wie ein wüst behaarter Steinzeitmensch: „Gegessen haben wir sie früher aber auch!“ Der Sohn sagt: „Ja, aber wie!“ Generationskonflikte, wohin man sieht.

Ich sitze noch einmal im Büro. Ich schreibe eine Mail, in der mischen sich, wie es in vielen Jobs heute üblich ist, die englische und die deutsche Sprache, Jobkauderwelsch. Die Rechtschreibprüfung verwirrt das nachhaltig und sie macht nach langer Zeit mal wieder einen Vorschlag, über den ich mich freuen kann. Ich beende die Mail mit „Danke & Grüße“, das wird rot unterkringelt, der Vorschlag dazu lautet: „Dance & Grace“. Ist das nicht hübsch? Dance and grace am Ende eines Schreibens, einer Mitteilung, mit Tanz und Anmut ab, man möchte fast ein entsprechendes Gif von sich haben und es noch darunter pappen. Diese Formulierung mal behalten, alles damit beenden.

Im englischen Guardian erscheint ein Artikel über Mastodon und Twitter, der Autor beschwert sich da, dass einige Vokabeln auf der neuen Plattform albern seien, so würde man etwa Toot statt Tweet sagen. „Silly-sounding“, so steht es da wörtlich. Ich kann nicht erkennen, meint er das ironisch oder merkt er es wirklich nicht, ich weiß aber, dass es viele in meinen Timelines tatsächlich und ernsthaft nicht bemerkt haben, dass es kein Albernheitsgefälle zwischen Tweet und Toot gibt, aber es ist auch egal. Dance and grace and tweet and toot, das klingt wie ein Hit aus einem Disney-Musical, fast möchte man beschwingt in den Tag starten.

Aber hey. Es ist November. Nur leise Küchenmusik, bitte.


Es ist Freitag, es ist gleich Wochenende. Immerhin. Ich verbleibe für heute mit

Dance & Grace

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3 Kommentare

  1. Ich habe mir auf TikTok ein Mandarinenzerschneide-Video gesucht und mein erster Gedanke war: Tropft da nicht der ganze Saft raus? Aber schnell geht es ja. Ich gehöre ja zu einer noch älteren Generation als Sie. Bei uns gab es Lebkuchen und Mandarinen KEINESFALLS vor dem ersten Advent. Und die teuren Orangen nur auf dem Weihnachtsteller. Sie sehen, es hat sich doch was verbessert.

  2. Ein Tipp für Spotify: Den letzten gehörten „Track“ zu „Lieblingssongs“ hinzufügen, dann kann man genau da wieder einsteigen. Funktioniert allerdings nur, wenn man nicht, so wie ich, gerne über Hörbüchern einschläft….

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