Der Griff zur Kette

Am Freitagmorgen klatscht der Regen wieder ans Fenster, der Sonnenschein des Donnerstags war nur ein heiteres Zwischenspiel und wird erst einmal nicht fortgesetzt. Der Wind heult den ganzen Tag wie in Schauergeschichten oder in Nordkapdokumentarfilmen, es ist für mich stimmiges Home-Office-Wetter. Ich arbeite gerne in dieser Geräuschkulisse.

Im Newsstream am Vormittag die bemerkenswert blöde Schlagzeile: „Pandemie belastete viele Kinder.“ Ach was?! Das geht so weiter: „Die Belastung variierte mit den Wellen und den Maßnahmen. Dies zeige, Kinder reagierten sensibel auf drastische „Veränderungen in ihrer Lebenswelt“.

Kaum stellt man den Alltag der Kinder komplett auf den Kopf und hält sie von Offline-Kontakten mit Gleichaltrigen und jedem Spaß ab, schon reagieren sie also irgendwie, die kleinen Mimosen. Wie dummerhaft und inhaltsfrei können Nachrichten sein?

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Die Herzdame hat frei und macht einen Wellness-Tag mit Sauna und allem, was mir die schöne Gelegenheit gibt, stundenlang zu denken: „Gott sei Dank muss ich keinen Wellness-Tag mit Sauna und allem machen.“ So kommt hier jeder zu seinem Vergnügen, wir haben ein insgesamt ausgeglichenes Verhältnis.

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Auf dem Spielplatz unten ist wetterbedingt den ganzen Tag nichts los, ich sehe von oben den Wellengang in der großen Pfütze, Eltern und Kinder bleiben heute weg und beschäftigen sich lieber drinnen, nur die üblichen Vogeltruppen, Tauben, Möwen und Krähen patrouillieren gelegentlich durch die verlassene Sandkiste. Dann doch noch ein Mensch: Ein Mädchen im Teenager-Alter steht rauchend neben den Schaukeln, steht da nur so herum und guckt vor sich hin. Fasst dann kurz die Kette der einen Schaukel an. Geht rüber zur Wippe und steht eine Weile sinnend vor dieser, geht dann auch noch zum Basketballkorb, guckt hoch. Raucht dabei immer weiter, ein wenig hektisch vielleicht, unentspannt wirkend. Sieht sich um. Nickt. Geht im Kreis, weiß vielleicht nicht recht weiter. Geht zum Tor, bleibt stehen, dreht sich noch einmal um. In einem Film, so denke ich mir, wäre die Drehbuchvorgabe wohl gewesen, auf einem Spielplatz Erinnerungen an die Kleinkindzeit hochkommen zu lassen, dieses Erinnern irgendwie möglichst deutlich darzustellen, deswegen der zögerliche Griff an die Kette der Schaukel, der war ziemlich gut gespielt, fand ich, und die Hand hätte ich in Großaufnahme … na, egal.

Sie wirft ihre Kippe nicht auf den Boden, sie macht sie am Rand eines Mülleimers sorgsam aus und wirft sie dann hinein. Das macht sonst kaum jemand. Sie geht weg und sieht durch den Zaun noch einmal zurück. Es fängt wieder an zu regnen, sie dreht sich um, setzt die Kapuze auf und geht ab, Richtung Bahnhof. Schnitt. Nächste Szene, was raten wir da – ein Umzug, weg aus diesem Stadtteil, nach Berlin vermutlich, denn es ist eine deutsche Produktion. Lebensfilme.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

 

Ein Kommentar

  1. Schöner Film.
    Würde ich mir anschauen.
    Hätte ich ähnlich geschrieben.
    Ein Drehbuch mit Ihnen schreiben, das wär bestimmt ein tolles Abenteuer!

    Gut, dass ich mein Hutgeld noch nicht eingeworfen habe. Vor lauter Sorge um Sie (wegen der vielen schlechten Tage und Launen gegen die so eine Form der Selbstfürsorge ja bei vielen Menschen helfen soll) hätte ich evtl. die Verwendung Wellnesstag vorgegeben und dann hätten Sie aber dagestanden!

    Insofern vorerst nur die Bitte: sagen Sie (wemauchimmer) rechtzeitig Bescheid, bevor es gar ganz zu düster wird. (Den Dialog mit der Therapeutin, die es nicht gibt, mochte ich übrigens sehr.) Das meine ich ernst und wäre mir sehr wichtig. Denn sonst stehen wir Lesenden plötzlich einfach da.

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