In Wüsten fliehen

Man kann hier ähnliche Stadtteile in anderen Städten suchen, danach hat unser kleines Bahnhofsviertel seine Berliner Entsprechung im Prenzlauerberg Nord. Guck an. Die Viertel in anderen Städten sagen mir nichts, ich kenne mich in Köln etc. nicht genug aus.

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Wir haben die Alster am letzten Sonntag mit Freunden umrundet, gefühlte zwei Millionen anderer Menschen haben das auch gemacht, zu gleicher Stunde, man geht dort also im kreisenden Stau. Es muss auf Menschen von außerhalb recht seltsam wirken, diese Prozession von Sonntagsgehern, und anfliegende Außerirdische würden wohl bereits auf den ersten Blick meinen, eine weitere psychotische Art entdeckt zu haben, wer würde da noch widersprechen wollen. „Und du gehst Rüssel an Schwanz hinterher“, sang die Holofernes. Man kann die Fülle selbstverständlich niemandem vorwerfen, schon gar nicht, während man selbst auch mit den anderen immer weiter im Kreis geht. Es sieht auch nach wie vor alles schön aus dort, eine pittoreske Angelegenheit ist das zweifellos, etliche Postkartenpunkte und einwandfreier Reiseführerflair, aber Spaß macht es mir nicht mehr. Und wenn man dann die Massen meiden möchte und kurzentschlossen woanders hingeht (das Leben hassen, in Wüsten fliehen, wie es bei Goethe heißt, im Prometheus war das), wo es noch nicht ganz so voll ist, dann fängt man unweigerlich an, es dort aufzufüllen, und sei es als Erster, der die Massen dann dort hininfluenct, das ist auch so ein Problem. Die Frage, wo man denn bloß hinsoll, sie ist eben nicht nur philosophisch deep, sie ist auch höchst praktisch auf den Alltag und die Spaziergänge anzuwenden, auf die Wohnlage sowieso.

Im Gegensatz zu etwa Christian, der in seinen Texten oft genug von Aarhus schwärmt, haben wir allerdings keinen Sehnsuchtsort, wir pflegen nicht die gemeinsame Fiktion eines sicheren und seelisch erbaulichen Zukunftsziels, während es bei Christian alles plausibel und beglückwünschenswert klingt, bei manchen passt es eben und gehört dann sicher auch so. Die Herzdame und ich sind zwar ausgesprochen gerne auf Eiderstedt, aber dort leben, nein danke, man wäre mir viel zu autoabhängig. Es ist lediglich ein Urlaubssehnsuchtsort, den wir dieses Jahr auslassen werden, was auch so ein Problem ist, aber das wird ein anderes Thema.

Neulich die Frage hier im Blog, was will ich machen, heute die Frage, wo will ich hin, ich bin offensichtlich im Moment etwas unentschlossen, was aber nichts ausmacht, da ich so viel Wahl gar nicht habe. Sehr praktisch, einfach die Einschränkung als geistige Befreiung denken, darüber haben andere gewiss schon ungeheuer Tiefsinniges geschrieben. Ich weiß allerdings gerade nicht, wer es war, und ich muss es jetzt eh nicht mehr nachlesen, ich bin ja selbst draufgekommen. Ha, nimm das, Seneca. Oder wer auch immer.

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Die Woche ist ansonsten wie ein Spaziergang der Alster, zu voll, zu dichtgedrängt, zu viel gleichzeitig. Ich schreibe eine Mail und erhalte eine Abwesenheitsmeldung, eine Urlaubsdeklaration, und ich merke wieder, dass ich das vollkommen unsinnige, aber doch seltsam überzeugende Gefühl nicht loswerde, das alle dauernd mehr und auch längeren Urlaub haben als ich, und es wird spürbar mit jedem Jahr schlimmer, da kommt das logische Denkvermögen nicht mehr gegen an. Ihr habt alle so viel mehr Urlaubstage als ich, mehr Feiertage, mehr Sabbaticals, Ihr geht auch alle früher in Rente und dauernd auf Kur, auf Reisen und was weiß ich noch alles. I’m not amused und es ist mir egal, dass ich damit gar nicht Recht habe. So nämlich.

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2 Kommentare

  1. Gut, dass ich nicht der einzige Mensch bin, der diese Urlaub-Feiertags-Sabbatical-Fehlwahrnehmung hat. Wie machen ‚die Anderen‘ das denn bloß?

    Da mal drüber nachdenken.

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