Späte Ernte, frühes Obst

27.5., weiterhin der Sonnabend. Der Todestag von Joseph Roth übrigens (1939), ich sehe es gerade auf Mastodon, aber das nur am Rande.

Der Bruder der Herzdame kommt aus Nordostwestfalen zu uns, um beim Streichen der Laube zu helfen, wie nett ist das denn. Holzlauben muss man nämlich dauernd streichen, nervtötend oft sogar. Legohäuschen aus pflegeleichtem Plastik wären da wesentlich einfacher. Aber wie groß wären die Packungen der Bausätze und wie lange würde man für den Aufbau brauchen. Egal, wir fahren also mit dem Bruder in den Garten.

Die Herzdame hat die Farbe oder die Lasur oder den Schutzlack oder was, ich kenne mich da nicht aus, Handwerk ist ihr Metier, im Baumarkt besorgt. Dabei fand sie ein paar letzte vorgezogene Pflanzen, die gerade noch brauchbar aussahen: Steckrüben. Sehr originell, die hatten wir noch nie im Garten, ich bin gespannt. Ich habe sie, wenn ich mich richtig erinnere, auch noch nie irgendwo vorgezogen gesehen, warum eigentlich nicht. Kein allzu beliebtes Gemüse vermutlich. Egal, eine späte Ernte wird das, Oktober oder November sogar. Die Rübe ist ein zögerliches Langstreckengewächs, fast wie die Pastinake. Wenn die Karotten daneben in diesem Jahr auch etwas werden, wird es schon ein Selbstversorgereintopf, vielleicht sogar, wenn es richtig gut läuft, für zwei Tage.

Ich habe die Rüben betont behutsam eingepflanzt und freundlich gewässert. Ihre Form nahm mit jeder Stunde nach dem Kauf sichtlich ab, ich hoffe, ich war mit meinen Rettungsmaßnahmen noch rechtzeitig. Die armen Dingerchen, es wird einem ganz grün ums Herz.

Einige Radieschen ernte ich nebenbei, etwas Rucola, etwas Rosmarin, diesen werfen wir dann später mit Feta und Tomaten auf den Grill, denn wir zum ersten Mal in dieser Saison öffnen, was übrigens, wenn man ein freundliches Verhältnis zu Spinnen hat, auch eine interessante Erfahrung ist: Ein belebtes Gehäuse. Aber wir haben kein freundliches Verhältnis zu Spinnen.

Die erste Iris blüht derweil lilafarben mit gelben Streifen unter der Hecke, gut versteckt. Der Zierlauch strahlt blaukugelig aus dem Fliedergebüsch, der Ehrenpreis blüht etwas verhalten neben dem Rittersporn, der gerade noch etwas vorbereitet. Die Lupinen arbeiten an der äußerst abgefahrenen Architektur ihrer Blüten, ein ganz besonderes Design. Fingerhüte öffnen sich langsam und Katzenminze und Salbei haben so viel Bienenbesuch, jemand müsste über ihnen den Flugverkehr regeln.

Das unüberschaubare Heer der Maiglöckchen hat in dieser Woche das strahlende Blütenweiß verloren, jetzt sind sie eher chamois, gelblich bis rentnerbeige, zurückhaltend. In wenigen Tagen schon werden sie ganz durch und verblüht sein, es sind eben keine Juniglöckchen, sie sind präzise benannt. Und apropos kalendarische Vorgaben, die Pfingstrose könnte gerade eben noch pünktlich sein. Vielleicht fehlt ihr ein sonniger Tag, vielleicht fehlen noch zwei.

Die Stachelbeeren sehen schon eindeutig nach essbarem Obst aus, früh wie immer, sie sind aber steinhart, versteht sich. Äpfel, Birnen etc. sind noch im winzigen Embryonalstadium, die Kirschen sämtlich noch knackgrün.

Eine Stachelbeere am Busch

Die neulich erst so mühsam umgepflanzte Topinamburtruppe, ich berichtete, hat immerhin Kniehöhe erreicht. Die Pflanzen werden mich noch überragen im Laufe des Sommers, zu den Blüten muss man dann hochsehen.

Erdbeertorte im Garten

Die Söhne sind währenddessen den ganzen Tag auf Abwegen. Wir eröffnen, noch bevor sie die Wohnung verlassen, die Saison der nervtötenden Sonnencremeermahnungen, man eltert nach Kräften so herum und kann sich selbst dabei nicht mehr hören. Meine Güte, was muss man manchmal auftragsgemäß nervtötend sein. Ich benutze fluchend und zeternd zum ersten Mal auch selbst Sonnnencreme. Ich sehe die Notwendigkeit selbstverständlich ein, finde es aber ausgesprochen schauderhaft. Fettiges oder glibberiges Zeug auf der Haut, entsetzlich ist das. Aber muss ja. Den Kindern ein Vorbild und auch sonst.

Wenn wir die zwei zurzeit oft erwähnten und in den letzten Jahren prominenten Vorsichtsmaßnahmen zusammennehmen, die Sonnencreme und die Masken etwa im ÖPNV – gerade in der Verbindung wäre dieses Szenario einem Menschen aus früheren Jahrzehnten vermutlich einigermaßen dystopisch vorgekommen. Was vielleicht so zu deuten ist, dass wir in dezent dystopischen Zeiten leben, nicht wahr. Man hat es sich vorher nur etwas actiongeladener und mit Bruce Willis vorgestellt. Na ja.

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4 Kommentare

  1. Steckrüben haben bzw. hatten in Deutschland wohl lange wegen der Kriegszeiten einen schlechten Ruf – meiner Mutter und meiner Großmutter durfte man damit nicht kommen, ebensowenig wie mit Graupen.
    Die Schilderungen des Gartens machen mich etwas wehmütig – unser bisschen schlechte Erde hier killt regelmäßig alles außer Zitrusfruchtbäumen, ich habe es in diesem Jahr aufgegeben. Doch, der kleine Pfirsichbaum traut sich noch.
    Topinambur – kannte ich früher gar nicht, lese ich öfter, muss wohl mal nach Bildern suchen.

  2. „Zögerliches Langstreckengewächs“ werde ich den Autor*innen des Kartoffeldrucks empfehlen, der unserem Ernteanteil beiliegt und seine Bestandteile beschreibt.
    Und „Zierlauch“ hebe ich mir für eine besonders schneidende Beleidigung auf, habe bereits jemanden vor Augen.
    (Haben Sie schonmal über einen Visitenkarten-Aufdruck „Wörter en gros & en detail“ nachgedacht?)

  3. Kennen Sie nicht diese Riesen-Legos, aus denen Kinder sich ganze Spielhäuser bauen, so etwas in Milchkartongröße? Hier auf dem betreuten Spielplatz gab es auch noch größere Plastikbausteine, die man mit speziellen Verbindungsteilen zusammensetzen konnte. Daraus wurden manchmal 2 Meter hohe Türme. Grundsätzlich gibt es also passendes Baumaterial!

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