Nichts mehr reinlassen

Freitag, der 20. Oktober. Am Morgen so ein Wetter, bei dem man kurz den Kopf testweise aus dem Fenster hält, und ihn dann sofort und einigermaßen eilig wieder einzieht, das Home-Office und die Ferien preist und sich weiter fragt, ob man wirklich noch einmal zum Einkaufen raus muss oder ob nicht doch noch irgendwo eine Dose, Erbseneintopf vielleicht … Ja so war das am Morgen. In den norddeutschen Medien währenddessen die Newsticker zur Flut an der Ostseeküste, die Bilder der untergehenden Häfen, die Häuser im Wasser, die immer wieder aktualisierten Pegelstände. Schaulustige behindern überall Feuerwehr und THW, der Mensch ist dem Menschen ein im Weg stehender Depp.

Im weiteren Verlauf des Tages mache ich noch mehrmals den Versuch, aus dem Fenster zu sehen, aber das Wetter will dann gleich mit großer Dringlichkeit zu mir rein, mit Wind und Wasser und umherfliegendem Laub und allem, und es ist doch kein gern gesehener Gast am Schreibtisch, bei aller Naturbegeisterung. Alles zumachen, alles verrammeln. Nichts mehr reinlassen, am besten auch keine Nachrichten mehr, für die man jetzt auch eine Warn-App braucht, Achtung, es kommt am Wochenende zu einem neuen Spiegel-Cover, und dann meidet man das Ereignis besser, so gut man es eben kann. Es besteht Gefahr für die geistige Gesundheit. Alles weiträumig umfahren. Aber wie umfährt man eine Weltlage.

Die Herzdame und ich gehen mittags raus, in ein vietnamesisches Restaurant, das schnelle Essen zwischendurch. Wir machen die Tür auf und mit uns drängt der Regen mit Vehemenz in den Gastraum, der Sturm. Die Herzdame macht eine Bemerkung über das schlechte Wetter und der Wirt sagt ernst: „Ja. Wir sind hier in Hamburg.“ Und verbeugt sich ein wenig.

Dann weiter am Schreibtisch. Wenn ich online zwischen Bluesky und Mastodon schnell hin und her schalte, sehen die kurz auf verschiedenen Positionen des Bildschirms aufpoppenden Bilder von Scholz und Thunberg beim Runterscrollen in den Timelines aus wie bei einem Polit-Memory-Spiel, aber nicht einmal so hält man das alles noch aus. Es alles gar nicht mehr wissen wollen. Man erreicht dieser Tage leicht seine Kapazitätsgrenzen, nicht wahr.

Das Wetter ist unfassbar schlecht, die Lage ist es auch. Ich mache die Heizung an, ich esse Lebkuchen und Mandarinen, sich verlässlichen Trost zuführen. Ich lese den Sturmflut-Ticker der Lübecker Nachrichten, da kommt keine Politik drin vor. Wassermassen klatschen immer wieder an die Dachfenster, am Haus nebenan zerreißt es am Nachmittag die riesige Plane am Gerüst unter infernalischen Geräuschen, und auf dem Hotel gegenüber zerlegt es heute die Deutschlandfahne. Die gestern zerrissene Hausfahne wurde noch nicht ersetzt, nur die rote Hamburgfahne hält dem Südost noch Stand.

Ich höre immerhin einen sehr guten Podcast, der jetzt etwas schwierig anzukündigen ist, denn ich nehme an, dass bei dem Wort Neurodiversität einige gleich die Flucht ergreifen, es ist doch medial etwas totgeritten, to say the least. Es ist aber ein aufschlussreicher wissenschaftlicher Vortrag darüber, wie verschieden wir alle denken, mit Ableitungen zur Inklusion und auch zu Themen wie Rassismus und wirklich, die Stunde lohnt sich: Zwar anders, aber völlig richtig im Kopf. Mit dringender Sonderempfehlung für Lehrerinnen und Lehrer, aber wie gesagt, auch sonst. Im Grunde relevant für alle Menschen mit Hirn.

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Im Bild ein Fliegenpilz im Garten. Warum auch nicht.

Ein Fliegenpilz im Garten, etwas Herbstlaub daneben

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5 Kommentare

  1. Ich grüble gerade, ob die Hamburgfahne eventuell besonders sturmfest konstruiert wurde. Weiter gutes Durchhalten.
    Schönes Wochenende
    Ilka

  2. Wir haben die Weltlage kurz umfahren und sind gut 2 Wochen in den Urlaub gereist. Morgens Nachrichten und beim Frühstück kurz ein bisschen diskutiert, danach dann nur noch Besichtigungen, Staunen, Seele baumeln lassen. Das musste mal sein und hat richtig gut getan. Es war der erste Urlaub seit über einem Jahr und bitter nötig.

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