Auf die nunmehr angekommene kalte Winterzeit

Schmale, schmuddelige Schneefetzen auf den Randstreifen der graupelnassen Autobahn durch Niedersachsen, im Licht der Scheinwerfer in der Dunkelheit des späten Nachmittags aufscheinend, einige Kilometer entlang nur, für wenige Minuten, irgendwo auf der Höhe von Soltau. Das norddeutsche Winterwonderland des späten Novembers. „Schnee“, sage ich und zeige, „Hm“, sagt die Herzdame, da haben wir das Thema auch schon abgehandelt. Der Sohn auf der Rückbank guckt kurz vom Bildschirm hoch, eher desinteressiert. Er glaubt generell nicht an Schnee. Eine Generationenfrage.

Später dann noch Regengüsse, Sturm, Hagel und Gewitter, aber da sind wir schon im Heimatdorf der Herzdame, da sitzen wir schon vor dem Kamin. Zwei, drei Grad draußen und alle Arten von Nass auf dem Dach, der Wind heult ums Haus und ruckelt ruppig an der Katzenklappe der Hintertür.

„Kommt, lasst uns Holz zum Herde tragen

Und Kohlen dran, jetzt ist es Zeit.“

Das sind Zeilen aus dem Gedicht, von dem ich mir auch den Titel dieses Eintrags geliehen habe. Es ist noch aus dem frühfossilen Zeitalter, Johann Rist hat es geschrieben, 17. Jahrhundert. Wenn Sie Kirchenlieder aus der evangelischen Richtung parat haben, dann kennen Sie den vermutlich.

In der Nacht ziehe ich zum ersten Mal in dieser Saison in Erwägung, das Fenster doch zu schließen, denn die Kälte geht mir feinfingrig unter die Decke und an die Beine, das behagt mir nicht. Unruhige Träume von wärmenden Gehäusen.

Am nächsten Morgen steht das Wasser hoch in den Gräben und auch auf dem Acker vor dem Haus, metallisch glänzend im ersten Licht, filigran ausgezackte Silberintarsien auf schwarzer Erde. Blätter und frühe Kohlmeisen treiben wirbelnd darüber hin. Man möchte heute nicht aus dem Haus müssen.

„Glatteis geringfügig“ sagt die Wetteranzeige am Computer, und unter „Vorschläge für diesen Tag“ steht kurz und lapidar: „Draußen sehr schlecht.“ Ja, das sieht man. Es sind noch einige Blätter an dem Baum vor dem Fenster, aber es werden mit jeder Stunde weniger, es wird jetzt alles abgeräumt. Die Birken am Feldrand sind schon bar allen Laubes, nackte Zweige wehen im Wind, und wenn man genau hinsieht, sitzt ein Sperber auf einem Ast und sieht über das Feld.

Ich habe wohl das Alter erreicht, in dem mir bei Kälte manchmal dies und das wehtut, es zieht in der Schulter und im Kreuz. Ich setze mich seufzend neben den brennenden Kamin, wie ich es als Kind bei den Alten gesehen habe.

Später der Spaziergang. Im Dorf wird vor dem Altenheim heute der große Adventskranz gehisst, rote, glänzende Kugeln darin. Vor der Kirche stehen Männer auf einer Hebebühne. Es wird dort etwas in die Bäume montiert, Lichterketten werden es sein. Auf dem nahen Friedhof gehen mehr Menschen als sonst herum, kurz vor dem Totensonntag wird hier und da noch etwas gerichtet. Neu erworbene Gestecke liegen auf zahlreichen Gräbern, viele in Herzform. Diesen Brauch kannte ich nicht.

Der Laden des Bäckers, der neulich aufgegeben hat, steht leer. Die Kaugummiautomaten am Straßenrand sehen aus, als würden sie schon lange nicht mehr funktionieren. „Die Apotheke macht auch zu“, sagt die Mutter der Herzdame.

Ein letztes verfärbtes Herbstblatt an einem Zweiglein vor einem unter Wasser stehenden Acker, sehr novembrige Anmutung

Am Totensonntag liegt dann eine hauchdünne weiße Schicht auf den Dächern im Dorf, gerade eben noch ist sie zu erkennen und bald schon weggeregnet. Ich könnte dem erst spät aufwachenden Sohn sagen, dass es am Morgen weiß draußen war, und er würde es wieder zweifeln.

In der Kirche werden die Namen der Verstorbenen vorgelesen, 27 sind es in diesem Jahr. Name, erreichtes Alter und letzte Adresse sagt man da an, auch den etwaigen Geburtsnamen. Bei jedem Namen wird eine Kerze angezündet, dann ist der Mensch abgekündigt, lerne ich. Die Kirche ist voll, ich nehme an, dass zu jedem Namen Angehörige anwesend sind, so wie wir.

Nun kenne ich auch so einen Gottesdienst zum Ewigkeitssonntag. Ich habe nicht allzu viel Erfahrung mit kirchlichen Vorgängen und kenne diese Gepflogenheiten nicht.

Einen Satz des Pastors vor dem Abendmahl habe ich uns noch für die große Pandemie-Chronik notiert: „Seit Corona sind wir zu Einzelkelchen übergegangen.“ Diese Formulierung mal merken, die mal übernehmen, etwa für die Stoßseufzer bei gewissen Problemen, wenn sie denn klar abzugrenzen sind von der Gemenge- und der Weltlage: „Lass diesen Einzelkelch an mir vorübergehen.“

Man lernt auf Reisen doch immer und wird irgendwie bereichert, selbst wenn man nur kurz übers Wochenende unterwegs ist, selbst wenn es nur eine kleine Pointe ist.

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Am Nachmittag zurück nach Hamburg. Wir holen Weihnachten aus dem Keller.

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3 Kommentare

  1. Hach ja, besser könnte man mein Wochenende nicht zusammenfassen, einschließlich Soltau, Straßenzustandsbericht und nasskalter Kälte. So muss der November wohl sein, und so gehen Familienbesuche in dieser Jahreszeit.

  2. Danke für diesen etwas melancholischen, sehr schönen Westfalen-Text. Vieles darin erinnert mich sehr an meine Kindheit. Allerdings konnten wir Mitte des letzten Jahrhunderts in Westfalen noch sicher mit Schnee rechnen.

  3. es ist für mich eine schöne idee, das sich das dorf noch einmal an die verstorbenen des letzten jahres erinnert, hat mit würde und gemeinschaftsgefühl zu tun. mich beruhigt das, niemand kann einfach durchs netz fallen.

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