Zwei schwierige Links

In der Reihe „Zeitzeugen im Gespräch“, gestern gerade erwähnt, gab es auch ein Interview mit dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer (55 Minuten), der viele Jahre zu sozialer Desintegration und Gewalt geforscht hat, zu Ausgrenzung und Rechtsextremismus, der uns also plausibel erklären kann, wie es alles kam und wie der aktuelle Polit-Clusterfuck entstand, man erkennt mit ihm die lange Spur der Probleme durch die letzten Jahrzehnte. Das ist einerseits noch einmal erhellend und gut dargestellt, es ist andererseits aber auch zweifellos enorm frustrierend und endet bekanntlich nicht gut. Will man das dennoch hören? Das ist keine leichte Frage. Man weiß die Antwort vielleicht erst, wenn er alles gesagt hat, auch den letzten Satz im Interview.

Und man sollte vielleicht bei der Beantwortung der Frage, ob man das hören sollte, noch kurz bedenken, dass es ein entscheidender Teil des politischen Desasters war und ist, dass das alles die ganze Zeit niemand hören wollte. Sein Forscherleben war von dieser Abwehr geprägt.

***

Und das nun Folgende sollten Sie sich ernsthaft nur anhören, wenn Sie gerade einen Moment seelischer Stabilität zu bieten haben. Es zieht einem sonst allzu leicht den Boden unter den Füßen weg: 27 Tage – Vom Überleben im Keller von Jahidne. Eine Geschichte, eine Reportage über ein Kriegsverbrechen in der Ukraine und also darüber, was die Menschen den Menschen antun. Es ist auch einfach eine Geschichte aus irgendeinem Krieg, leicht übertragbar auf andere Zonen der Gewalt, und sie ist so grauenvoll und unfassbar, wie wir eben sind oder zumindest sein können. Und immer haben wir die Gewissheit dabei – es gibt noch viel schlimmere Geschichten.

Ich finde die Frage, ob man auch so etwas hören sollte, lesen sollte, gründlich zur Kenntnis nehmen sollte, furchtbar schwer zu beantworten, noch schwerer als oben beim ersten Link, den man schon deprimierend genug finden kann.

Als junger Mensch habe ich, in dem Alter, in dem ich an die richtigen Bücher herankam und als „Holocaust – die Geschichte der Familie Weiss“ damals im Fernsehen lief (1979), viel zum Dritten Reich nachgelesen, zu den unvorstellbaren Verbrechen, zum Krieg und zum System. Sachbücher, Augenzeugenberichte, Tagebücher, Bildbände, Geschichtsbücher. Zu den Schicksalen, zu den Ungeheuerlichkeiten, zum Widerstand, zur Anpassung, zum Mitlaufen, zum Morden und zu all dem, von dem manche dachten, es sei einmalig gewesen.

Ich las und las und ich dachte damals vermutlich, genaue Kenntnis und umfassendes Verständnis würde mir irgendwie helfen, oder, entschieden dümmer noch, würden sogar der Geschichte helfen. Auf einer Ebene, die mir damals nicht bewusst war, suchte ich vermutlich eine Art von Erlösung im Verständnis. Denn wie sind ein Land und eine Welt auszuhalten, in der das alles möglich war und also weiterhin ist? (Übrigens hier auch zwischendurch kurz mal zu Anke rüberlesen, es passt gerade)

Ich kann mir die Frage bis heute nicht recht beantworten. Aber dass uns Verständnis nicht hilft, nur begrenzt hilft, das weiß ich mittlerweile. Verständnis hilft uns vielleicht gegen manche eigene falsche Entscheidung, aber auch das nur unzuverlässig und nicht allen, wie wir an den aktuellen Wahlumfragen und an der Weltgeschichte allzu deutlich sehen.

Verständnis hilft uns nicht dabei, mit unserer Ungeheuerlichkeit zurechtzukommen, die sich immer wieder neu beweist. Ich weiß nicht, was da hilft. Wenn Sie einen Glauben haben, werden Sie den an dieser Stelle vielleicht benennen, nehme ich an. Ich halte das zwar für einen gewagten Schachzug, aber ich verstehe es, darauf zurückzugreifen. Glaubte ich, griffe ich auch.

Was aber machen wir anderen? Also abgesehen davon, dass wir einfach weitermachen?

Wir hören uns vielleicht manchmal solche Geschichten an, wie eben verlinkt. Und werden dann noch ein wenig ratloser. Denn das scheint dazuzugehören auf dieser Welt, die sicher keine der besten ist. Aber auch das ist wieder eine Glaubensfrage.

Wie auch immer. Morgen vermutlich heiterer weiter. Das gehört ebenfalls dazu.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

3 Kommentare

  1. Der Mensch ist ein grausamer Affe.

    Die Kurzfassung meiner Weltsicht nach mehr als fünf Jahrzehnten vergeblichen Angehens gegen die ökologische, emotionale und soziale Zerstörung unserer Gesellschaft.

  2. Ich war lange Zeit Idealistin. Davon bin ich durch Erfahrung geheilt. Es war aber viel schöner.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert