Herr, höchste Zeit.
Der Sommer war zu groß.
Die Lyrik schonend anpassen, ich sage es ja, für kommende Generationen. Der Samstagabend findet als grandioses Finale statt, noch einmal ein letzter Sommerabend mit allem. Und die, die es mögen, werden ihn vermutlich als schön warm und sonnig und überhaupt genau richtig empfinden, alle anderen schwitzen und stöhnen am Rande des Bildausschnitts.
Ich gehe um die Außenalster, wo sich ein überdimensioniertes Wimmelbild des schönsten städtischen Friedens zeigt, ein urbanes Idyll erster Klasse. Szenen wie aus Werbeclips für den neuen September im Norden, für den August 2.0., für den mediterran gewordenen Hanseherbst. Alle paar Meter liegen Picknickdecken am Ufer, darauf Familienverbände, Freundeskreise oder Pärchen. Blicke in das klischeehaft vergoldete Frühabendlicht und über das weite Wasser, das mit all den SUP-Boards, Tret-, Ruder- und Segelbooten und auch diesen neuen Dingern, die wohl Foilboards heißen, aber sicher bin ich mir da nicht, aussieht wie ein riesiger Freizeitpark mitten in der Stadt. Ein Freizeitpark ohne Eintrittspreise, wie toll ist das denn, und die Leute kommen in Scharen und machen mit oder staunen.
Gar nicht wenige Grüppchen mit Wohlstands- oder Kulturaccessoires sind auf meiner Runde zu sehen. Es gibt Wein aus Flaschen mit anspruchsvoll designtem Etikett, auch Sekt, Prosecco und Champagner kommen vor. Es gibt Bierzeltgarnituren mit Tischdecken und Sitzpolstern. Dazu die guten Gläser, im mit weißen Tüchern gepolsterten Korb mitgebracht, man hat alles dabei. Und das Essen besteht keineswegs aus den Käsewürfeln des Discounters und den Fertigfrikadellchen aus der roh aufgerissenen Plastikschale, wie man es von Ausflügen mit Kindern kennt. Es gibt eher betont Feines vom Catering-Service, Gerichte aus aller Welt, von Sushi bis zu bunten Hummus-Varianten auf frischem Fladenbrot neben Salat mit allem, was als gesund und schmackhaft durchgeht. Für „Women lauging with salad“ einige werden sich an das Meme erinnern, könnte man ergänzende Aufnahmen machen.
Vermutlich wird heute dieses und jenes gefeiert, das kann ich mir gut vorstellen. Da darf es eben etwas Besseres sein, und warum auch nicht. Außerdem die große Freude, dass es mit dem Wetter tatsächlich noch einmal geklappt hat. Dass man wirklich draußen und am Ufer sitzen kann, in den heiter farbigen Sommersachen, im Kleidchen, in Shorts, im luftigen Leinenhemd. Hat man bei der Planung immerhin nicht ahnen können. Nicht frierend sitzt man da, nicht nass, nicht klamm.
Und dabei auch noch genau zu wissen, dass es vermutlich schon morgen nicht mehr gehen wird! Was für ein Hauptgewinn dieser Abend ist.
Vielleicht erklärt das, warum ich auf der ganzen verdammten Runde, immerhin 7,4 Kilometer lang, nichts als Frieden und Glück und Harmonie sehe. Alles sieht aus wie gecastet und geplottet, weichgezeichnet und warmgefiltert. Lachen und Knutschen und Umarmungen, neckendes Herumalbern an den Stegen und Wegen. Küssen und besinnliches Schweigen in trauter Gemeinsamkeit unter den alten Bäumen. Spielende Gruppen von Studentinnen mit Bällen und anderen Sportgeräten, selbstverständlich sieht alles überaus gekonnt aus.
Vertrauliches Flüstern unter Weidenzweigen am Wasser. Einige einzeln lesende Menschen, und sie wirken durch die Bank mit sich zufrieden und tiefenentspannt, nicht etwa einsam, zurückgelassen und verbittert. Besinnliches Blättern unter nur zögerlich bunter werdenden Blättern. Dazu heiter spielende Kinder vor dem Schilf, schlafende Babys im Schatten und wedelnde Hunde von ausgeprägter Niedlichkeit.
An einem Anleger ein attraktives junges Paar, das einen südamerikanischen Tanz einübt, sie sind beide weit Fortgeschrittene. Es sieht filmreif aus, und selbstverständlich filmten es einige auch tatsächlich und heimlich mit dem Handy und sehen dann angestrengt unbeteiligt in die weitere Gegend, als der Tänzer sich zwischendurch nach ihnen umsieht.
Also wirklich, es ist insgesamt seltsam und untypisch für diese Stadt. So hört der Sommer hier auf, mit einem Groß- und Generalidyll. Diese junge und vehement gut aussehende Frau, die mir auf einem E-Scooter entgegenkommt und ein sehr leichtes, sehr dünnes, langes Kleid trägt, das übertrieben malerisch im Fahrtwind nach hinten flaggt, als sei sie eine moderne und bemerkenswert gelungene Interpretation der ehrwürdigen Galionsfiguren im Altonaer Museum. Alles, was ich sehe, ist ein klein wenig zu gut.
Vielleicht, um doch noch und endlich einen negativen Gedanken hineinzubringen, denn zu viel Rosa und Glitzer halte ich auf Dauer schlecht aus, hat die Hitze der letzten Wochen alle dermaßen erschöpft, dass für Streit und Unfrieden an diesem letzten Abend der Saison einfach keine Energie mehr verfügbar ist. Und sich also alle in süßer, erschöpfter Passivität dem finalen Sommersonnenuntergang ergeben. Das Stockholm-Syndrom und die Jahreszeiten, ein vermutlich eher unbehandeltes Thema.
Ja, so mag es sein.
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Egal. Wir haben es jedenfalls geschafft und legen passend zu den Erscheinungen des phänologischen Stadtkalenders die Musik von damals auf. Das Jahr, die Stadt und wir alle sind eine Runde weiter.
John Prine, man kann ruhig ab und zu daran erinnern, ist auch einer von denen, die wir an die Corona-Pandemie verloren haben.
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