Baustellen und Pausen

Das schnelle Ansteigen der Temperaturen draußen, die fortschreitende Abmilderung der Winterhärten, ich hätte sie fast am Schreibtisch verpasst. Nur zwischendurch sah ich einmal ohne besondere Neugier aus dem Fenster. Und es überraschte mich dann, dass die Kleinen auf dem Spielplatz unten schon in sommerlicher Kleidung Tischtennis spielten, schaukelten und rutschten. Dass auch ihre Eltern da mit offenen Jacken oder nur in Pullovern, in T-Shirts sogar, und außerdem in geradezu aufdringlich entspannter Körperhaltung in der Sonne, im Sand und auf den Bänken saßen. Dass sie auf einmal in aller Ruhe ihren Kaffee aus den großen Pappbechern tranken. An denen sie nun nicht mehr ihre Hände wärmen mussten.

Und dass der Himmel über ihnen blau war, eindeutig blau und auch nur blau, das überraschte mich ebenfalls.

Ein großer Schritt hin zur nächsten Jahreszeit war es, aus diesem Bild heraus gedeutet. Ich machte das Fenster weit auf, ich hörte allerliebsten Vogelsang. Nur knapp war der allerdings zu hören, er kam gerade eben noch durch das dumpfe Grollen der Abrissarbeiten neben unserem Haus. Von der Baustelle wehten gelblichgraue Staubwolken von stürzenden Gerölllawinen heran, muffig nach uraltem Keller riechend, feuchtmodrig und dumpf. All das Ungelüftete der Vergangenheit waberte die Straße entlang.

Von der anderen Seite aber weichere Luft mit einem gewissen Etwas darin. Über den sich nun öffnenden Knospen der Spielplatzrandbegrünung, mit einer Ahnung von April oder schon Mai im Abgang, lind und lau.

Das Brotberufsnotebook habe ich nach dem Prüfen der Temperatur, sechzehn Grad, siebzehn Grad waren es da gerade in Hamburg-Mitte, sagten die Apps, spontan zugeklappt. Noch mitten im To-Do, Unfertiges und etliche lose Prozessenden dabei abrupt hinterlassend. Meine digitalen Pendants zu Großbaustellen, Abrissarbeiten und bisher nur geplanten Neubauten. Wir tragen alle Helm, wir gucken alle auf Excel.

Dann machte ich das, was wirklich dringend an diesem Tag und daher prioritär zu behandeln war. In einem Sinne dringend war es, bei dem Aufgaben aller Art aus der beruflichen Sphäre gar nicht mithalten können, und zwar kategorisch nicht. Denn ich machte, was zwingend gemacht werden muss, nach Brauch, Tradition und wann immer es die Natur uns gerade vorgibt, ob nun durch den Klimawandel etwas verfrüht oder nicht. Man kann auch nicht alles bei allem bedenken und sich dadurch zielstrebig selbst versauen, man muss ab und zu Dinge ohne weitere Reflexion geschehen lassen. Siehe auch Liebe, Sex und andere spannende Themen, aber ich schweife ab.

Ich machte also den ersten Mittagsschlaf des Jahres bei geöffneter Balkontür, und es war sehr gut so.

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Am Abend dann noch ein langer Stadtspaziergang ohne die schwere, belastende, herunterziehende Winterjacke. Nur im leichten Sakko, ich fühlte mich wie ein Model auf einem Laufsteg, die Frühjahrsmode. So geht es hier also zügig voran und so wird es den meisten auch recht sein. Wie immer im März, denn man ist doch etwas bedürftig nach derartigen Draußendingen, zum Ende des ersten Quartals.

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Die Söhne aber behaupten währenddessen, sie hätten schon wieder Ferien. Womöglich stimmt ihre Annahme sogar, aber wer würde das noch kommentieren wollen. Ich jedenfalls nicht, denn ich habe zu tun und keinen Sinn für derartig exzessive Wellnesseinschübe zur Unzeit.

Ich frage diese beiden sinnlos herumhängenden Jugendlichen also auch nicht nach ihren Plänen für diese Ferien, oh nein. Sie würden ohnehin nur wieder lässig etwas von „Chillen“ murmeln, nehme ich stark an. In dieser vernuschelten, altersgerechten Aussprache würden sie es murmeln, bei der man nie weiß, ob sie wirklich ganz wach sind, geistig anwesend und zurechnungsfähig.

Sie würden da also wieder ein Programm benennen, das mir aus Gründen, die man in Romanlänge erklären müsste, also besser gar nicht, schon seit längerer Zeit nicht mehr zur Verfügung zu stehen scheint.

Aber gut. Vierzehn Tage lang werde ich wieder konsequent an den Söhnen vorbeidenken. Denn besser für alle und für den wichtigen Familienfrieden wird es so sein, und sie ziehen doch eh bald aus. Mit etwas Fantasie und Großzügigkeit gerechnet jedenfalls. Da kann ich die notwendige seelische Distanz bereits einüben und mich, während sie irgendwo in dieser Wohnung gut gechillt herumliegen, nur Meter von meinem Schreibtisch entfernt, weiter auf andere interessante Dinge konzentrieren.

Also etwa auf Arbeit und dergleichen mehr. Was man so macht.

Ein Stein am Wegesrand, er ist beschrieben mit dem Satz: "Auf dem Boden der Tatsachen liegt eiundeutig zu wenig Glitzer." Daneben Zigarettenkippen.

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