Die erste News-Seite, die ich am Morgen öffne, titelt fett: „Live-Übertragung des Krieges“. In diesem Fall, man muss es leider präzisieren, geht es um den Krieg Iran vs. Israel. Oder andersherum, falls jemand schon mit der Reihenfolge eine Bewertung verbinden möchte. Es war keine mitgemeint.
Man kann darüber hinweglesen, auch weil es an anderen Stellen ähnlich vorkommt. Man kann sich aber auch kurz darauf besinnen, dass diese Schlagzeile von einer Satire, wie man sie sich noch vor wenigen Jahren hätte ausdenken können, nicht zu unterscheiden ist. Wenn Sie vielleicht etwa in meinem Alter sind, stellen Sie sich einen Moment lang Dieter Hildebrandt vor, wie er die Idee dieser absurden Überschrift in einem seiner nur vermeintlich wirren Monologe Stück für Stück entwickelt. Und Sie werden merken, es passt ungemein.
Denn so ist die Welt geworden, liebe Gemeinde. Wir sind längst in diese Satire-Version abgebogen. Nur ist sie leider nicht lustig.
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Währenddessen findet Mittsommer statt, es ist einigermaßen verblüffend. Und fällt mir überhaupt nur durch eine etwas unwirkliche Erscheinung auf, nämlich durch eine junge Frau in einem nahezu durchsichtigen Hauch von Garnichts als Kleidchen und einem grünweißen Blütenkranz im sehr blonden Haar, die mir in der Fußgängerzone am Abend entkommt, wenn nicht entgegenschwebt. Und zwar dermaßen schräg dort wirkend, als habe man sie, siehe oben die Satire, in wirklichkeitsverfremdender Absicht dort hineinretuschiert.
In etwa so, wie wir früher alle, nehme ich jedenfalls an, mit Schere und Klebestift Bilder aus Zeitschriften und Modekatalogen anders und unsinnstiftend umarrangiert haben. In jenen gestern erwähnten, häufig wiederkehrenden Phasen der Langeweile. Wozu wir es jetzt im aufseufzenden Chor rufen können, denn es stimmt schließlich: „Wir hatten ja nichts.“
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Aber apropos im Chor ausrufen. Neulich habe ich beim Musikhören gelacht, und da ich nicht oft lache, finde ich das meistens bemerkenswert, was mir da als Grund für die überbordende Heiterkeit durchging, also bemerkenswert im Sinne von: Kannste auch im Blog erzählen.
Das war eine Live-Aufnahme von Leonard Cohen. Dem man die gute Laune auch anhören konnte, bei der er sein Allheilmittel für Beziehungsprobleme mit dem Publikum geteilt hat. Ein erlösendes Mantra, von dem er da behauptete, es würde alle Probleme auf einen Schlag lösen. Und dann sangsprach er es vor und das Publikum stieg ein, etliche Wiederholungen. Hier der er- oder auflösende Zauberspruch:
Das vielleicht mal abspeichern, für etwaige Bedarfsfälle. Und auch in den anschwellenden Ordner mit den sinnigen Texten für den Grabstein übernehmen, versteht sich.
Egal, wo war ich. Mittsommer, genau. Diesen Tag habe ich in der zum ersten Mal in dieser Saison zu heißen Wohnung verbracht, intensiv Musik hörend. Musik saufend könnte man auch sagen, und es wäre nicht abwegig, mein aktueller Drogenersatz.
Passend, aber das ist nur einer dieser sogenannten Zufälle, zum vorhin erwähnten Lösungsmantra, gibt es einen wunderbaren Trennungs-Hit aus meinem musikalisch so ungemein ergiebigen Geburtsjahr, der auch die Sonne besingt, die heute wieder für fürchterliche Hitze in dieser Stadt sorgen wird: Red Ruberball von The Cyrkle. Das war eine Band mit hoffnungsfrohem Start, aus der dann aber doch nichts Großes geworden ist.
Das Stück ist jedenfalls, so kommentiert jemand auf Youtube treffend: „The most cheerful “fuck you” song in history.“
Prüfen wir kurz den Text, es beginnt so:
“I should have known
You’d bid me farewell
There’s a lesson to be learned from this
And I learned it very well
Now, I know you’re not
The only starfish in the sea
If I never hear your name again
It’s all the same to me.”
Den Farewell-Gedanken aus den Lyrics kann man in diesem Fall noch etwas weiterspinnen. Der Song hatte nämlich berühmte Väter, Paul Simon einerseits und Bruce Woodley andererseits. Der ist von The Seekers (das sind die mit „Georgie Girl“ aus dem Jahr 1967), und die hatten 2013/2014 ihre Abschiedstournee, auf der sie auch diesen Song gespielt haben.
Man kann sich diese beiden Videos also nacheinander ansehen, als Mensch aus diesen Jahren, und schon wieder ein wenig über Jahre und Zeiten meditieren. Who knows where the time goes. Aber das war eine andere Sängerin, das gehört hier heute nicht her.
Am Anfang des Videos spricht der Herr ein wenig, und wenn man sich für die Kulturgeschichte der letzten Jahrzehnte interessiert, kann man ruhig kurz zuhören.
Falls Sie den Song noch nicht kannten – nach etwa dreimaligem Hören kommt es einem vor, als habe man ihn immer schon gekannt. Als hätte es ihn immer schon geben müssen, etwa wie einige Beatles-Klassiker. Und so kann man die Qualität eines Songs also auch beschreiben.
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Ich hatte mal eine gebootleggte Aufnahme eines Simon & Garfunkel-Konzerts von ich glaube ’66, wo sie Red Rubber Ball spielten und Art vorher erzählte, warum der Song auf keinem ihrer Alben vorkomme: es gäbe da halt die etwas schneller veröffentlichte Version einer Band nanens The Cyrkle, “who used to be good friends of ours”.
Aber er sagt es natürlich mit einem Lächeln in der Stimme, und auch das Publikum reagiert mit etwas Heiterkeit. Für mich wird Red Rubber Ball trotzdem immer einer dieser vergessenen Simon & Garfunkel-Songs bleiben. Was ja als Kompliment für einen Song auch nicht ganz ohne ist.