Gerade dachte ich, die Chronik, die Chronik, was passiert hier eigentlich. Und dann fiel es mir wieder ein, was gerade das Gute ist, nämlich dass nichts passiert. Insofern befindet er sich halbwegs erfolgreich und stets bemüht urlaubend, der Herr Buddenbohm, und auch das ist nicht nichts.
Im Äußeren zumindest passiert nichts. Ich mache nichts, besuche nichts und niemanden, fahre auch nirgendwohin und beachte keinen Veranstaltungskalender dieser Stadt oder gar Gegend.
Es war aber ohnehin zu heiß für fast alles in den letzten Tagen. Zuerst war es nur unsinnig warm, dann wurde es brutal warm, schließlich kurz gefühlt gefährlich heiß. Je nach Lage vielleicht auch nicht nur gefühlt. Schon der Blick aus dem Fenster auf die Menschen, die drüben auf der Großbaustelle mit den Presslufthämmern arbeiten und sich in den Beton und durch die alten Bodenstrukturen vergangener Gebäude wühlen. In der Sonne und in der Schutzkleidung, mit dem Helm und allem … meine Güte.
In der Innenstadt liefen am heißesten Tag auffällig viele Menschen mit einem Handtuch um den Hals herum. Mit dem sie alle paar Meter die austretenden Körperflüssigkeiten versuchsweise zurückdrängten, um weiterhin halbwegs wie ein Mensch daherzukommen. Bei den Menschen ohne Handtuch aber, da weiß nun man nicht, wie viele auf den entscheidenden Metern durch die schattenfreien Zonen schlicht bis zur Auflösung zerflossen sind und nun irgendwo schmerzlich vermisst werden. Sommeropfer.
Erstaunlich viel Körperliches bekam ich auch vom Fenster aus mit, an diesen Tagen der Hitze. Nachbarinnen und Nachbarn, die fast und manchmal auch komplett nackt auf Balkone traten oder an Fenstern standen, nach Wolken Ausschau hielten oder auf einen Luftzug hofften. Die Arme erhoben wie bei Turnübungen, in denen man in seltsamer Haltung minutenlang verharrt, weil es so gehört.
Pinkelnde und kackende Menschen in den Gebüschen am Rand des Platzes. Die sich dort Deckung suchten und sorgsam vor der Verrichtung nach allen Seiten umsahen, ob auch niemand guckte. Aber es war dann wie in manchen Religionen, sie wurden die ganze Zeit von oben beobachtet, dachte ich aus meiner ansonsten meist wenig gottgleichen Perspektive. Es gibt, um das noch kurz zu erklären, viel zu wenig öffentliche Toiletten in dieser Stadt. Was allerdings, so lese ich hin und wieder, mittlerweile auf viele und gerade auf große Städte zutrifft.
Aber irgendwo muss der Aperol eben hin, auf dem Rückweg ins Hotel.
Dann gab es diesen einen Moment an einem frühen Morgen, als ganz rechts am Platz ein Golden Retriever kackte und ganz links zeitgleich eine junge blonde Frau. Wobei sich beide mit einer seltsam verbunden wirkenden Kopfhaltung prüfend umsahen … Es passiert gar nicht oft, dass ich am Fenster stehe und laut lache.
Ich liege und sitze ansonsten weiterhin herum und beschäftige mich mit Lesen und Schreiben, mit Internetgucken und auch einmal wieder, nach langer Pause, mit dem Sehen von Filmen. Ich finde, das habe ich sehr gut eingerichtet so. Etliche gespeicherte Links, teils noch aus dem Winter, sind zwischenzeitlich allerdings abgelaufen. Die Filme sind nicht mehr verfügbar etc. Ich lösche sie heiteren Sinnes, und so lichtet sich endlich einiges. Aufräumen ist auch digital schön und nicht jeder broken link sparkt noch joy.
Dann doch wieder die Anwandlungen der protestantischen Arbeitsethik, die bekanntlich Stellen im Hirn erreicht, wo Motivation sonst nicht hinkommt. Dann sitze ich also da, klicke harmlos und vergleichsweise entspannt, also für meine Verhältnisse jedenfalls, von Link zu Link, sehe in ein Buch und in einen Film, habe vielleicht auch bereits eingekauft und den Söhnen ausreichend Futter hingestellt, daher einen komplett unverplanten, freien Tag vor mir – da denkt etwas unangenehm laut und befremdlich oberlehrerhaft in mir:
„Mit der Zeit könntest du auch etwas anfangen.“
Ich frage mich selbst sofort launisch, denn man sollte sich stets und nach Möglichkeit mit Humor begegnen, ob ich jetzt vielleicht spontan einen Roman schreiben solle oder was, ob ich ein neues Großprojekt beginnen oder sogar wie normale, also alle anderen Menschen, ein neues Hobby interessant finden solle? Hm? Tai-Chi-Basics in vier Tagen, es gibt sicher Sommer-Workshops?
Und dieses Etwas in mir sagt in einem bemerkenswert humorlosen Tonfall schlicht:
„Ja. In der Tat.“
Und da dann passiv-aggressiv einfach liegenbleiben. Reaktanz auch einmal ausleben. Sich vielleicht sogar erst recht ausstrecken, demonstrativ ein Buch aufschlagen oder einen weiteren Film starten oder schlicht die Augen schließen … das scheint mir die Kunst zu sein. Und ich habe immerhin noch eine Woche Zeit, darin etwas besser zu werden.
„Siehste“, sage ich zu mir selbst, „da hast du dein Projekt. Also bitte, Ruhe jetzt.“
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Ich wollte gerade die „Nette Toilette“ empfehlen. Aber Hamburg macht da anscheinend nicht mit.
https://die-nette-toilette.de
Ich wiederum, Herr Buddenbohm, ich frage mich, ob Sie vielleicht mit den Kreideschriftbildern nicht doch schummeln und die selber fabrizieren statt zu finden.