Von damals und von dieser Zeit

Und nun ist es so, dass der Sommerurlaub in Kürze endet. Es ist auch so, dass ich bereits Pflaumen gegessen hab. Und dass die Küche außerdem voller Wespen ist, wenn ich koche. Ferner ist es so, dass der Holunder vor der Haustür, wie erwähnt, schon schwarze, reife Früchte zeigt. Sogar lilafarbene Astern habe ich bereits gekauft und auf dem Rückweg zur Wohnung die entsprechenden Zeilen von Gottfried Benn pflichtgemäß vor mich hingemurmelt. Was man als Möchtegernbildungsbürger so macht. Zuhause habe ich dann aber in angemessener Selbstkritik nachgesehen, wie richtig ich da beim Rezitieren eigentlich gelegen habe. Um auch da Benn zu zitieren, wenn auch aus einem anderen Gedicht: „Teils-teils.“

Es ist, mit anderen Worten und Temperaturen hin oder her, dann doch recht eindeutig Frühherbst. Wie die vergangenen Jahre gezeigt haben, kippt der Rest des Jahres nach dem Sommerurlaub stets verblüffend schnell weg. Wie ich früher einmal schrieb, ist es meist rutschbahnmäßig, wie man sich da auf einmal in seltsamer Beschleunigung auf das ganze Jahresendgeraffel zubewegt. Mit Weihnachtszeit und allem.

Was ich hier aber nicht erwähne, um Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern nur mit dem Gedanken, dass die Reihe der Geschenktipps, die ich neulich fast aus Versehen begonnen habe, nun ruhig fortgesetzt werden kann. Wenn ich doch schon dabei bin! Ich werde Ihnen daher bei Büchern, die mir gefallen haben, einige Hinweise zur Geschenkzielgruppe machen. Wie klein die manchmal auch sein mag. Vielleicht ist dann irgendwann auch für Ihre Suche eine kleine Erleichterung dabei.

In diesem Sinne: Ich hörte ein Buch vom geschätzten Uwe Timm. Und zwar seine Erinnerungen an die Jugend- und Ausbildungszeit, in der er gemäß Familientradition das Handwerk der Kürschnerei erlernte. Bevor er sich dann in einer kühnen Lebenslaufkurve ganz dem Schreiben zuwandte: „Alle meine Geister“ heißt das Buch. Hier der Verlagslink und hier die Perlentaucherseite, auf der es einhellig positiv zugeht.

Bevor man sich über die Kürschnerei aufregt, muss man fairerweise bedenken, dass die Aspekte, die wir heute berechtigt kritisch damit verbinden, in der beschriebenen Zeit weder als Gedanke noch als sozialer Druck vorkamen. Wie sie dann langsam aufkamen und die Branche in der Folge nahezu auslöschten, das wird nachvollziehbar und ausführlich behandelt.

Uwe Timm habe ich auf Lesungen erlebt, und es fällt sowohl dabei als auch bei der Lektüre seiner Bücher seine doppelte Liebe zu Begriffen und zu Begreifbarem auf. Vor allem seine Neigung zu Dingen mit Geschichte und Würde. Er ist also bestens geeignet, über alte Handwerkskunst zu schreiben und dabei die Fachbegriffe aus der Vergangenheit noch einmal zu verwenden, die wir sicher bald verlieren werden. Ob es nun ein Verlust ist oder nicht, erst einmal ist es eine Tatsache.

Das Buch ist also bestens geeignet für Menschen mit Interesse an (altem) Handwerk. Besonders an den Handwerksvarianten mit angeschlossenem Laden, denn ein wenig Geschichte des Einzelhandels ist auch ableitbar. Natürlich passt es aber auch für Menschen mit Interesse am Schreiben und an deutscher, neuerer Literaturgeschichte. Wenn jemand sogar beide Neigungen in sich vereint – Bingo.

Drittens ist es wunderbar für Menschen, besonders für solche im besten Boomer-Alter, die sich für die Geschichte der Linken in der BRD nach 1945 interessieren, denn auch dieses Thema wird reichlich bedient. Uwe Timm, das wissen Sie vielleicht nicht, war ein Freund von Benno Ohnesorg. Er hat auch darüber ein Buch geschrieben, das hier noch vorgemerkt ist: „Der Freund und der Fremde“.

Ich habe zufällig zwischendurch einen Podcast mit Wim Wenders gehört, dazu schreibe ich separat noch einmal, und Wim Wenders war in seiner Ausbildungszeit ein Nachbar von Fritz Teufel. Was gerade in dieser Kombination erneut meinen Eindruck verstärkte, dass die namhaften und geschichtlich relevanten westdeutschen Linken, und darunter vor allem jene, welche eher Linksaußen gespielt haben, von allen persönlich gekannt wurden, die einem sonst irgendwie im Kontext dieses Themas einfallen können. Als habe diese ganze Geschichte nicht in einem Staat von halbwegs respektabler Größe, sondern in einem kleinen gallischen Dorf stattgefunden, in dem sich mit großer Selbstverständlichkeit alle kannten, dauernd trafen und immer wieder interagierten.

Ein Aufkleber auf einem Mülleimer: Kapitalismus ist kein Naturgesetz

Was mir übrigens zum ersten Mal damals in meiner Antiquariatszeit kurz nach dem Abitur aufgefallen ist. Als die gestandenen Altlinken, die im Laden nicht so selten waren (und womit ich dann also auch in den Rahmen passe), anfingen zu erzählen. Von damals und von dieser Zeit erzählten sie, und sie landeten dabei immer irgendwann bei der Meinhof und den anderen, mit denen sie in oder noch kurz vor der wilden Phase …

So klar erwartbar waren diese Zusammenhänge, dass es mir gelegentlich wie inszenierte Satire vorkam.

Aus dem Buch von Uwe Timm kann ich gleich noch eine zweite Empfehlung ableiten, die hier vor Jahren schon einmal vorkam. Nämlich Brehms Tierleben als Hörbuch, gelesen von Thomas Holtzmann oder Roger Willemsen oder anderen. Man findet da auch interessante Ausschnitte auf YouTube und kann sich verleiten lassen. „Wissenschaftsdeutsch, am bürgerlichen Realismus geschult“, so beschreibt es Uwe Timm. Recht hat er damit, es ist ein erstaunlich beruhigendes Werk mit reicher, wunderbarer Sprache.

Man kann es hervorragend hören oder lesen, um am Abend herunterzukommen, wie man so sagt. Und wer hätte daran keinen Bedarf.

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Ein Kommentar

  1. Ich möchte die These über die Linken in der BRD damit stützen, dass sowohl der Vater des Liebsten als auch die Mutter des Liebsten bevor sie sich kannten jeweils Mitbewohner*innen hatten, die sich damals auch noch nicht untereinander kannten, später aber beide in der RAF landeten. Zu der einen bestand noch Briefkontakt, als sie bereits im Gefängnis saß.

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