Ich sah auf arte noch eine weitere Filmdoku, diesmal über Wim Wenders. Besonders gegen Ende fand ich es interessant, bei den Berichten zu den Dreharbeiten an „Perfect Days“. Den ich auch noch vor mir habe.
Es wurde dabei mit den Methoden des Dokumentarfilms gearbeitet und Wim Wenders sagt da, dass er generell bei Geschichten nicht an ersten, zweiten und dritten Akt glaubt. Der Hauptdarsteller, Koji Yakusho, überlegt sich, was ich nicht überraschend, eher angenehm bestätigend finde: „Wenn man eine Person intensiv beobachtet und eine Zeit lang filmt, entsteht allein dadurch schon ein Film.“ Wobei Film austauschbar ist. In der Literatur gilt es auch, auf diese Art können Geschichten, Romane etc. aller Art entstehen.
Wenn man schon bei Wim Wenders ist, kann man sich auch noch „Don’t come knocking“ mit Sam Shepard von ihm ansehen. Ich habe es mit Gewinn getan.
„Paris, Texas“ ist ebenfalls verfügbar. Weil ich dabei mit den Filmen durcheinanderkam, habe ich eher versehentlich eine Weile zwischen dem vorher angefangenen „Himmel über Berlin“ und seinen anderen Werken hin und her geschaltet und hatte dadurch ein erfreuliches Aha-Erlebnis. Denn wenn man so herumklickt, erkennt man auf einmal deutlich die Ähnlichkeiten in den Rhythmen der Filme, im Schnitt und in den Einstellungen, überhaupt in der Ausführung. Erkennt also die Handschrift des Regisseurs.
So markant fällt mir derartiges sonst nicht unbedingt auf. Weil ich vielleicht auch nicht kundig genug zusehe. Das fand ich gut und erhellend.
Dann hörte ich Alles gesagt mit Wim Wenders. Das ist ein immerhin siebenstündiger Podcast, also eher schon ein Hörbuch. Über seine Geschichte und über sein Filmen. Ein Stück deutscher Geschichte ist es unweigerlich auch, allein schon die Passagen über Fritz Teufel und die damalige Nachbarschaft lohnen.
Ich habe nicht erwartet, dass mich ein Podcast in dieser Überlänge tatsächlich bis zum Schluss interessiert. Ich dachte, ich höre da nur mal rein, dann bin ich aber doch dran- und also hängengeblieben. Erfreulich unterhaltsam fand ich es, auch lehrreich. Es machte darüber hinaus Lust auf noch mehr Filme.
Nette Zitate konnte ich nebenbei einsammeln, etwa diesen Satz von Wim Wenders über das Beginnen von Filmprojekten, quasi das Mantra der Wir-plotten-nicht-Fraktion, denn auch das wird übertragbar auf andere Erzählformen sein: „Wenn man vorher weiß, wie es ausgeht, ist es geschummelt.“
Und einen wunderbaren Widerspruch gab es außerdem noch, der während des Gesprächs keinem der drei redenden Herren aufgefallen ist. Denn im Verlaufe der Erzählung lobt Wim Wenders da zuerst die wilden und eher rabiaten Umschwünge in Karrieren, das Wechselhafte und das Abbrechen, die Kurven im Lebenslauf. Mit der Erläuterung, dass es der (kreative) Tod sei, zum Experten zu werden. Dass man also immer wieder neu beginnen müsse. Um frisch zu bleiben etc., man kennt das.
Ich halte das für eine Aussage, bei der man unbedingt eine Art Survivorship-Bias mitdenken muss. Denn all jene, die an solchen Umschwüngen krachend gescheitert sind (es wird doch wohl die überwiegende Mehrheit sein), von denen man nach einem solchen Wechsel nie wieder etwas gehört hat, die ihre Karrieren mehr oder weniger mutwillig auf diese Art schwungvoll an die Wand gebrettert haben – die werden kaum noch ein Loblied auf diese edel klingende Methode singen. Man kann so etwas nur propagieren, wenn man auf eine so attraktive Gesamtstrecke wie Wim Wenders zurückblickt.
Es taugt als Lebensweisheit also nur ex post, nicht aber als Leitlinie und Maxime für junge Menschen.
Etwas später in der Sendung geht es dann um die berühmten japanischen Handwerker. Die so viele Jahre damit zubringen, eine Fertigkeit bis zu einer Präzision und Meisterschaft zu beherrschen, die sich nur noch in Geschichten, Gleichnissen und Filmen ausreichend loben und darstellen lässt. Die da also nicht nur irgendwie Löffel schnitzen, wie es Kunsthandwerker überall auf der Welt tagein und tagaus machen, sondern die jedes Mal in einem weihevollen Akt DEN Löffel schnitzen. Die damit also für eine Form der Perfektion stehen, die in der westlichen Welt in dieser Ausprägung und mit diesem Assoziationsraum keine wirklich entsprechende Tradition hat.
Dies ist aber das Gegenteil der zuerst gemachten Aussage. Hier ist dann das Expertentum nicht mehr der Tod, sondern vielmehr die Vollendung. Und die vielleicht naheliegende, mystische Gleichsetzungen der beiden Begriffe Tod und Vollendung lassen wir heute mal aus. Man kann sich auch nicht immer um alles kümmern.
Ein Widerspruch jedenfalls, ein eklatanter Widerspruch, möchte man da vielleicht dazwischenrufen, wenn einem so etwas auffällt. Was bei Podcasts aber Gott sei Dank nicht geht. Wodurch man gnädig vor schlimmer und auch vollkommen unangemessener und außerdem arg boomerhafter Besserwisserei bewahrt wird.
Denn es ist nun gewiss nicht so, dass man selbst in der Lage wäre, sieben Stunden lang über sein Leben zu reden, ohne sich dabei gründlich und vielleicht auch peinlich in den Widersprüchen all der Versatzstücke zur eigenen Lebensweisheit zu verstricken. Nehme ich an.
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