Zum einen habe ich auf arte eine Doku über Syd Barrett und Pink Floyd gesehen. Das ist auch eine Geschichte über Kunst und Musik, über Drogen und über das Abdriften von Personen. Über Schicksale und über die Zeit, aus der ich komme, in der ich auf die Welt kam. Ich denke ab und zu darüber nach, was es für mich und meinen Lebenslauf, für meine Haltung bedeutet, aus genau dieser Zeit zu kommen, die so oft als besonders bemerkenswert geschildert und hervorgehoben wird Aber das Thema verlangt vermutlich eine Antwort in Familienromanlänge, und nach Familienroman ist mir gerade so gar nicht.
Eine interessante Frage ist es dennoch.
Es spannt jedenfalls einen Bogen, wenn man an diese Zeit denkt. Denn es war eine Phase der progressiven Welle, während wir nun, rund sechzig Jahre später, bei der erzreaktionären Welle angekommen sind. Und es nach jetzigem Kenntnisstand bedauerlicherweise auch noch ein klein wenig dauern wird, bis das Pendel wieder die andere Seite erreichen kann. Ich zweifle nicht an der Existenz der Pendelbewegung und an ihrer historischen, politischen und kulturellen Bedeutung. Ob ich den Rückschwung aber noch erleben werde, es erscheint mir zumindest als fraglich.
Es gibt etliche Theorien zur Bewegung dieses geschichtlichen Pendels, zu politischen und kulturellen regelmäßigen Wellen und Zyklen durch die Jahrzehnte und Jahrhunderte. Nach den meisten Denkmodellen ist es eher unwahrscheinlich, die Wiederkehr des Pendels in nur einer Lebensspanne zu erleben. Unmöglich ist es andererseits aber auch nicht, denn all diese Theorien zu den bereits stattgehabten Zyklen sind nur Beobachtungen ex post. Sie legen daher nichts fest und lassen uns Gegenwärtigen etliche Möglichkeiten offen.
Falls Ihnen also morgen früh auf einmal nach einem kulturellen Backlash ins Progressive zumute sein sollte: Wir sind dann schon zu zweit. Und irgendwo müssen Mehrheiten ja anfangen. Just saying.
Zum anderen aber hörte ich eine der interessanteren Sendungen über Nostalgie, die dann seltsam zu den obigen Gedanken passte, nämlich beim SWR-Kultur-Forum: „Früher war alles anders – warum sind wir so nostalgisch?“ 44 Minuten, ich fand es interessant.
Drittens kam ich neulich schon beim Nachdenken über KI etc. zu dem Schluss, dass dem Menschengemachten mehr Raum ausdrücklich gewährt und eingeräumt werden muss. In einem sehr praktischen Sinne, und auch in meinem Leben. Weswegen ich eben über die Brücke und ins Museum ging. Ich habe hier immerhin alles um die Ecke und sehr greifbar.


Eine große Ausstellung der Werke des schwedischen Künstlers Anders Zorn (Wikipedialink) gibt es gerade in der Galerie der Gegenwart. Seine Hauptwerke malte der etwa um 1900, da haben Sie eine grobe Einsortierungsmöglichkeit. Ich kannte seinen Namen nicht, dabei hatte ich einmal eine gar nicht so kurze Phase, in der ich mich mit so etwas auszukennen meinte. Das Wissen von damals aber, es war mangelhaft, wie ich gestern erneut lernte. Denn Anders Zorn etwa, den hätte ich ruhig kennen können.
Die Ausstellung ist ebenso groß wie kurzweilig. Ungemein lebendige Porträts, bei denen sich Parallelen zur modernen Porträtfotografie spontan aufdrängen, auch Instagramgedanken sind vor manchen Werken nicht abwegig.
Querverbindungen zur neulich erst gesehen Doku über John Singer Sargent auf arte bieten sich nebenbei auch an. Er hatte wohl einen modernen Blick, der Herr Zorn. Hier im Selbstporträt.

Ich könnte jetzt – allerdings habe ich es nicht versucht, ich theoretisiere nur herum – ein Bild von mir oder einem mir lieben Menschen nehmen, es durch eine KI jagen und sagen, sie solle mir ein Gemälde im Stile von Anders Zorn daraus machen. Vermutlich wäre das Ergebnis ziemlich beeindruckend, vermutlich würden wir staunen, was die Software da kann.
Aber wie viel großartiger ist es, vor diesen Bildern zu stehen und zu denken: Das hat der echt gemalt. Stundenlang, tagelang, der konnte das und guck mal, hier ist das Ergebnis. Mit der Hand, mit seinem Blick, mit seiner Einschätzung der Personen und sicher auch mit der Gesprächsführung bei den Porträtsitzungen. Es ist dann doch ein anderes Staunen, das ich vor solchen menschengemachten Werken erlebe.



Man wird die KI nicht mehr wegbekommen und es ist ja auch im Ernst unfassbar, was die etwa bei Bildern zustande bringt, aber man kann und sollte andererseits dafür sorgen, dass wir die menschlichen Künstlerinnen und Künstler auch nicht wegbekommen. So kann man sich etwa den Besuch von Ausstellungen nun schon als Akt der Gegenwehr erklären, denke ich. Und Gegenwehr, da stehen wir doch drauf.
Den Herrn Zorn fand ich dann dermaßen ansprechend, ich habe nach dem Besuch der Galerie sogar Merch im Museumsshop gekauft, das habe ich wohl seit Jahrzehnten nicht mehr getan.
Sie können sich diese Ausstellung auch dann ansehen, wenn Sie einen konventionellen oder eher unkundigen Kunstgeschmack haben, sie wird Sie wahrscheinlich dennoch begeistern. Ich unterstelle das aber auch, wenn Sie einen betont arrivierten Geschmack und bedeutend viel Ahnung haben. So eine Ausstellung ist das nämlich.
Läuft noch bis zum 21. Januar im zweiten Stock der Galerie der Gegenwart. Die norddeutschen oder reisewilligen Leserinnen und Leser fühlen sich bitte angemessen geschubst.
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Ja, eine wirklich sehenswerte Ausstellung. Und subversiver als es auf den ersten Blick scheinen mag: Die rauchende Dame z.B. war zu ihrer Zeit vergleichsweise so skandalös wie Madonna als nackte Tramperin auf einer Straße in Miami.
Sein Frauenbild insgesamt war ganz interessant, weil er (zeitgemäß) natürlich auch nackte Liebesnymphen malte, daneben aber seine Frau, Zeitung lesend oder im Atelier, aber als Geschäftspartnerin, seine Gemälde verwaltend.
In der Einführung wurde noch berichtet, dass er viele seiner Rahmen selbst designte – mit dem Wissen sahen sich die Bilder auch nochmals ganz anders an.
Vielen Dank fürs anschupsen. Wir sind in 3 Wochen in Hamburg. Muss nur den Mann überzeugen. Ich wünsche noch einen schönen Sonntag Abend.