Cathy, Margot und die Großmutter

Während meiner herrlich sinnfreien, dabei aber besinnlichen und eben doch sinnvollen „Arbeit“ an den Playlists, lese ich manche Texte nach. Ich merke, dass es da Lieder gibt, deren Texte so lyrisch oder so seltsam abgedreht sind, dass ich sie weder durch das reine Nachlesen noch durch Übersetzungen und auch nicht durch das Recherchieren von bemühten Nachdichtungen verstehe. Bei manchen Songs kann man nun die Geschichte dazu im Internet nachlesen, kenntnisreiche Deutungsversuche ebenfalls. Manchmal von Expertinnen, manchmal von einer User-Vielfalt zusammengetragen. Oder auch zusammengeraten: „Ich glaube, es geht um Liebe.“ Und alle so: „Ach was?!“

Manchmal verstehe ich dann immer noch nichts. Vielleicht gibt es da auch nichts zu verstehen. Wie es John Prine in einem Song gesagt hat: „Wir sind Songwriter. Für Bedeutung sind wir nicht zuständig.“ Eine ebenso grundsätzliche wie auch wahre Aussage, vielleicht nur etwas erstaunlich von jemandem, der doch so etwas wie der Inbegriff von gut erzählten, klaren Songs ist, also von jemandem, der immer wieder erkennbare Geschichten gesungen hat.

Falls Sie John Prine nicht oder nicht gut kennen, „Far from me“ etwa ist so eine klar erzählte Geschichte. In einfachen, bemerkenswert treffenden Bildern erzählt. Mit einer ersten Strophe, bei der man als schreibender Mensch wieder auf diese gute Art neidisch werden kann, weil es so zielgenau ansetzt.

Blick durch das Fenster in ein nächtliches, leeres Restaurant

As the café was closing on a warm summer night
Cathy was cleaning the spoons
The radio played the hit parade
And I hummed along with the tune
She asked me to change the station
Said the song just drove her insane
But it weren’t just the music playing
It was me she was trying to blame.”

Abgesehen von diesen sich sofort erhellenden Songs: Rätselhaftes Zeug bleibt übrig, das ich daher auch nicht kategorisieren kann. Abgesehen von der Ablage unter K wie Kryptik.

Unverständliches, aber doch oft schönes Zeug. Bei dem man vielleicht hier und da eine Zeile versteht, eine einzelne Wendung nur, lediglich den Refrain. Stellen, die man vielleicht immer schon gemocht oder sogar geliebt hat, die man auch endlos oft im Kopf wiederholt und mitgesungen hat. Teils mit schamanistisch anmutenden Zauberspruchqualitäten.

Als ich zum ersten Mal etwas Französisch lernte (das klingt, als könnte ich es heute, aber dem ist nicht so), was ein wenig vor der Zeit war, in der ich es in der Schule bekam, aber das ist eine andere Geschichte, hatte ich die Hoffnung, bald diese ganzen Chanson-Texte verstehen zu können. Der grenzenlose Optimismus der Jugend, er hatte Vorteile. Die Texte jener Lieder wollte ich verstehen, die viele Erwachsene um mich herum so großartig fanden. Die mir musikalisch teils auch gefielen, die mir aber inhaltlich rein gar nichts sagten. Sie hätten auch in spanischer, portugiesischer oder japanischer Sprache gesungen werden können, ich hätte ebenso wenig verstanden.

Aber nun! Mit ein paar wenigen Vokabeln und den ersten Anfängen in der Grammatik, da musste doch endlich etwas gehen. Also was sang Georges Moustaki da, auf dem 73er Album „Déclaration“:

“Pour faire pleurer Margot

Pour faire danser grand-mère …”

Viel weiter kam ich damals nicht. Und ich hatte kurz darauf auch schon wieder andere Themen im Sinn und kam dann davon ab, mir Chansons akribisch zu erarbeiten. Aber ich weiß noch, ich fand ihn sehr schön, diesen Anfang. Um Margot zum Weinen zu bringen und die Großmutter zum Tanzen … das gefiel mir sehr. So fingen gute Texte an, das war klar.

Ich habe diese beiden Zeilen nie vergessen. Und für den größten Teil meines Lebens nicht die geringste Ahnung gehabt, worum es im Rest des Liedes ging. Was es denn nun war, das Margot zum Weinen und die Großmutter zum Tanzen brachte, wieso überhaupt fünf Instrumente und wer ist diese Margot eigentlich, was soll das alles.

Warum auch immer, ich habe da nie weiter nachgeforscht.

Das mit Margot und der Großmutter, das sang ich seitdem aber auch ab und zu unter der Dusche. Das war immer in meinem Standardrepertoire, es klang im Badezimmer auch verlässlich gut und gefällig. Leicht war es weiter aufzufüllen mit unsinnigen, nur vermeintlich gut und halbwegs französisch klingenden Silben.

Weder habe ich jemals selbst eine Margot kennengelernt, noch habe ich eine meiner Großmütter auch nur einmal beim Tanz beobachten können. Und doch sind mir die Zeilen vertraut, als besänge ich da unter der Dusche immer wieder ein Stück der eigenen Biografie.

So ist das mit Liedern, die man aus irgendwelchen Gründen liebt.

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Ein Kommentar

  1. Ich möchte auch noch auf einen wichtigen Grund für manche Worte, Redewendungen oder Zeilen beim Songwriting verweisen – egal ob sehr sinntragend oder nur kleine Füllwörter, die aber die Bildermaschine im Kopf so richtig anwerfen. Es gab da letztens sogar irgendwo in diesem Internet ein Video, ich erinnere nicht mehr genau, ob es ein Interview oder ein Sketch war – das tut aber der tiefen Wahrheit keinen Abbruch.
    Jedenfalls: Einer der häufigsten Gründe ist wohl „’cause it rhymes“

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