Am Sonnabend tritt das Erwartbare ein. Zwischen dem Hauptbahnhof und dem Rathaus, auch um das Rathaus herum und bis weit in das Passagenviertel hinein steht eine kompakte Menschenmenge im Glühwein- und Grilldunst. Hunderttausende, gefühlt in Millionenstärke. Wenn die Medien von einem neuen Besucherinnenrekord berichten, mich wird es nicht wundern. Ich sehe die Massen und umkurve sie.
Denn in diesen nicht mehr zu überschauenden Mengen feststecken, das möchte ich doch lieber nicht. Es ist vielmehr eine außerordentlich gruselige Vorstellung für mich. Gnadenlos eingekeilt zwischen all den anderen, kein Vorwärtskommen mehr und kein Gedanke an Flucht. Verdammt zum stundenlangen Dazwischensein, was für ein Albtraum. Ein Zitat dazu fällt mir gerade ein: „Bewegungsunfähig wie ein sowjetischer Marschall.“ Peter Rühmkorf hat das einmal irgendwo so verwendet. Es ist allerdings auch wieder ein Zitat, dessen Bildsprache bei sehr jungen Menschen gar nicht mehr ankommt. Da überträgt sich nichts mehr, nehme ich an, da endet der Assoziationsfluss, wie vermutlich auch schon beim Titel dieses Eintrags.
Ich werde außerdem beim unwilligen Umkurven dieses Konsumentenauflaufs die ganze Zeit eine lästige Zwangsvorstellung nicht los, nämlich dass die dort alle gleichzeitig Glühwein trinken und Wurst essen. Unfassbare Unmengen von Wein und Wurst also, in söderschen Wunschtraum-Dimensionen geradezu, und es kommt mir als Massengeschehen unglaublich ekelhaft vor. Ohne den Einzelnen ihre Wurst oder ihren Wein vorwerfen zu wollen, versteht sich. Denn wer hätte nicht schon einmal Wurst oder Wein konsumiert, so auch ich, so auch Sie. In der Gesamtheit aber sind die dort, sind wir also alle doch eher schauderhaft.

Heuschreckenplage nichts dagegen. Und dann die raublustigen Möwen, in ihrer wenig glanzvollen Rolle als Geier des Nordens: Sie kreisen träge segelnd über der Unzahl von Menschenköpfen und stoßen routiniert nach unten, wenn wieder irgendwo einem Achtlosen ein Wurstzipfel vom Pappteller rutscht. Sie stoßen mit Mut und viel beruflich erworbener Erfahrung noch in das dichteste Gedränge und tauchen kurz darauf flatternd wieder auf, mit Fleisch im Schnabel und manchmal auch mit Ketchupflecken auf weißen Federn.
Unten, zu Füßen der mampfenden Menschen, bewegen sich hier und da Schattentiere in der Dunkelheit des Beinwaldes. Sie fallen einem erst auf, wenn man genauer hinsieht. Aber dann kann man kaum noch anders, als immer wieder hinzusehen. Kaum sind sie zu erkennen, diese erdgebundenen Gestalten, sind es Tauben, sind es Ratten, sind es Mäuse. Aber was sie auch sein mögen, sie nehmen zweifellos ebenfalls mit saisonal angemessener Freude und Dankbarkeit am Festbankett teil, auf ihre eher dezente und doch erfolgreiche Art.
Die weiteren Konsumenten, es wird sicher noch kleinere geben, die aber ohne Frage mit dem gleichen Eifer vorgehen und also auf die gleichen Würste losgehen, erkennt man als Beobachter ohne Hilfsmittel nicht mehr. Man kann das Gewimmel höchstens ahnen. Und schöner wird das Bild dadurch auch nicht.
In der Vorweihnachtszeit, so heißt es beim NDR, wo man es doch mit einiger Sicherheit wissen muss, hat die Stadt einen ganz besonderen Zauber.
Nun.
Vermutlich stimmt mit meiner Einstellung etwas nicht, das mag sein. Das muss man, sagt die Lebenserfahrung, eigentlich immer und ausdrücklich für möglich halten.
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