Was ich Ihnen schon länger erzählen wollte, das müssen Sie sich gleich bitte bei den Zeilen, in denen die Vögel vorkommen, mit Tierfilmerzählstimme vorgelesen vorstellen. Dann wirkt es etwas besser und auch passender, nehme ich an. Je nach Alter wird das also verschieden ausfallen, denn wir werden wohl mit einer reichen Auswahl von Sendungen großgeworden sein, Sielmann, Grzimek etc., sie fallen mir gar nicht mehr alle ein.
Also vorausgesetzt, Sie sind noch aus der Zeit des linearen Fernsehens.
Aus den Fenstern der Teenagerzimmer, ich muss leider etwas ausholen, die ich tagsüber als Arbeitszimmer nutze, da in dieser Wohnung kein Raum für mich vorgesehen ist, wie ich nicht ohne einen gewissen Unwillen vermerken kann, blicke ich auf das Dach eines großen Hotels. Auf diesem Dach wehen verlässlich jederzeit Fahnen. Sind Staatsgäste da, wehen dort die Landesfahnen des Besuchs. Die ich dann, öfter als man gerne zugeben möchte, eventuell nachschlagen muss, um der Allgemeinbildung etwas nachzuhelfen. Wo kommt jetzt die oder der schon wieder her, und warum kennt man das nicht. Was sind das für seltsame Farbkombinationen und was sind das für Symbole. Dann sitze ich staunend vor dem Bildschirm und denke: Aha, Usbekistan! Das merke ich mir jetzt aber.
Sie werden es ahnen, ich merke es mir dann aber keineswegs.
Sind keine Staatsgäste da, weht drüben das bekannte Stadtwappen auf dem Dach. Die weiße Burg (mit übrigens jederzeit gut geschlossenem Tor, von wegen weltoffen) auf rotem Grund. Je nach Wind oder Sturm haben diese Fahnen mal einen guten Zustand, mal aber auch arg zerfetzte Ränder. Sie sehen dann etwas nach Drama aus, manchmal auch, wenn ein Orkan von der Nordsee her über die Stadt fegt und wenn die Beleuchtung stimmt, nach Apokalypse.
Ich nehme an, dass sie jeweils nicht sehr lange halten, diese Fahnen, denn an Wind haben wir hier keinen Mangel. Jemand wird also dauernd Fahnen nachkaufen, vielleicht gibt es sogar eine Art Abo.
Worum ging es hier eigentlich. Um das Wehen, genau. Diese Fahnen, sprachfanatische Menschen dürfen übrigens gerne wieder etwas zur Verwendung der Begriffe Fahne oder Flagge kommentieren, diese Fahnen stehen da also das ganze Jahr über recht oft im starken Wind, mit zunehmendem Klimawandel tendenziell immer öfter. Sie werden das Bild kennen, die Fahne steht in einer Brise straff zur Seite, so dass man sie prima sehen und vielleicht doch nicht erkennen kann. Sie schlägt im Wind aber auch aus und um, sie zappelt manchmal, fährt auf einmal zackig zusammen, dass es laut knallt, dengelt zwischendurch immer wieder gegen den Mast, so dass man weithin hafentypische Geräusche hört und sich auch im Bett in Hamburg Mitte sehr maritim fühlen darf, überhaupt kapriolen die Fahnen betont kumpelhaft mit dem Sturm herum.
Das alles besehen sich meine gern gesehenen Balkongäste, die Rabenkrähen. Sie setzen sich auch oben auf die Spitze des Fahnenmastes und lehnen sich kühn in den Wind. Sie schubsen sich manchmal gegenseitig von dieser begehrten Spitze, was dann nach den typischen Rangeleien von Jugendlichen aussieht: Man mackert etwas herum, ey Digga, mach Platz da. Was willstu, komm doch her, wenn du was willst.
Sie flattern aufgeregt um die wehenden Fahnen herum, ihre Flügel schlagen wild, die Fahne schlägt unter ihnen ebenso.
Und, was ich bis vor kurzer Zeit noch nie beobachtet hatte, jetzt aber dauernd, sie setzen sich darauf. Auf diese arg windgebeutelte Fahne. Nämlich auf ihren oberen Saum, der da manchmal so zackig und stramm im Wind steht, als sei er aus Draht und fest verbaut. Der dann aber unberechenbar plötzlich wieder wegknickt und den Vögeln dabei unvermittelt die Füße wegreißt, dass sie fast oder auch tatsächlich einen unfreiwilligen Salto machen, wonach sie sich umgehend wieder niederlassen. Wenn sich nicht zwischendurch schon ein anderer Vogel den besonderen Spaßplatz ergattert hat. Der Andrang ist manchmal etwas größer, denn es ist eine ganze Gang, die da oben Spaß und Tagesfreizeit hat.
Dabei krähen sie alle fortwährend laut, dass es weithin wie heiseres, sich johlend überschlagendes Lachen klingt. Sie kriegen sich gar nicht mehr ein. Es sieht vollkommen überzeugend so aus, als würden sie sich dort oben prächtig im starken Wind amüsieren, mit diesem zappelnden Stadtwappen, das so lustig unter ihnen zuckt.
Es ist selbstverständlich bekannt, was für außerordentlich interessante und intelligente Vögel diese Krähen sind und was sie alles veranstalten. Man findet auch viele Beispiele im Netz, bis hin zu Krähen, die auf vereisten Dächern förmlich rodeln.
Aber diese spielerische Akrobatikvariante auf den Fahnensportgeräten, die kannte ich noch nicht, die wollte ich eben verbreiten.
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Die usbekische Flagge nachschlagen müssen? Oh je, das ist die blau-grüne, mit den Sternen – nicht zu verwechseln mit der grünen mit Teppich von Turkmenistan. Ach ein Flaggenratezimmer, sowas wünschte ich mir mal. Da würde ich auf ein Arbeitszimmer pfeifen! Die Weltoffenheitshineininterpretation der Tore in den Wappen ist nun ja, eben Hineininterpretation.