Was schön war

In einer Nebenstraße des kleinen Bahnhofsviertels parkt ein VW-Bulli, ein Bus der wohl ersten Generation. Es ist so ein Exemplar wie auf dem ersten Bild in dem Wikipedia-Artikel dazu, und es ist sogar ebenso gepflegt. Es glänzt ohne jeden Makel, es sieht tadellos aus, es wirkt wie ein Museumsstück auf Ausfahrt.

Und wunderschön sieht es aus, denke ich im Vorbeigehen. Dann bleibe ich etwas weiter doch eben stehen und gehe kurz entschlossen noch einmal zurück. Denn man könnte doch ein Foto machen, wenn man so etwas Seltenes schon einmal sieht, überlege ich mir.

Dann aber passiert vor diesem Oldtimer eine der eher seltenen Verbrüderungsszenen in dieser sozial nicht eben weit offenen Stadt. Denn es sind zwischenzeitlich mehr Menschen stehengeblieben, die offensichtlich die gleiche Idee hatten wie ich. Es wirkt wieder ein wenig inszeniert, weil es altermäßig eine Gruppe zu sein scheint, die gestaffelt von etwa meinem Alter bis ganz weit oben reicht. Der Älteste könnte neunzig Jahre alt oder älter sein, er sieht jedenfalls so aus. Was weiß man schon, aber es ist im Grunde auch egal, es geht nur um diesen ersten Eindruck: Hier steht auf einmal ein ganzes Rudel von wildfremden Menschen, Frauen und Männer, magnetisch angezogen von steinaltem Design.

Zufällig vorbeigekommene Menschen, die laut und immer wieder ihr Entzücken über dieses Auto ausdrücken. Und auch über eine nun gemeinsam erneut festgestellte und sich seltsam beglückend anfühlende Wahrheit: Manches war früher wirklich besser. War schöner, freundlicher und liebenswerter. Das kann man hier sehen, es wird einem auf offener Straße bewiesen.

„Das sieht man doch!“ Na, guck doch!“ „Das war doch noch etwas ganz anderes.“ „Das ist doch gar kein Vergleich!“

Dann guckt man zwischendurch so die Straße entlang und all die anderen Autos an, die dort parken. Es wird sogar mit Fingern darauf gezeigt, auf die nüchternen Modelle der Gegenwart. Auf diese betont freudlosen, einheitsgrauen Zivilpanzer mit charakterloser Einheits-Silhouette zeigt man mahnend. Und wieder: „Also, man sieht es doch!“

Man schüttelt erneut den Kopf. Nein, nein, das war am Ende alles kein Fortschritt, da ist man sich spontan einig. Und es ist seltsam schön, auch einmal mit völlig fremden Menschen einer Meinung zu sein.

Dann besieht man sich gemeinsam noch einmal und noch genauer dieses alte Fahrzeug. Dieses alte Design, diese alten Zierleisten, die alten Sitzpolster. Manchen fortgeschritten gerührten Menschen sieht man es an: Sie hätten es gerne streicheln mögen, dieses so unfassbar lieb und rührend aussehende alte Auto.

Natürlich war damals nicht alles gut, oh nein: „Von wegen!“

Das weiß man, dass nicht alles gut war, und das sagt man sich auch. Aber gucken Sie doch. Dieses Auto – also doch, da gibt es nichts, das war schon gut. Das ist auch immer noch gut.

Und einfach schön.

So schön.

Und weil ich mir noch aufschreibe, dass sie alle viele Fotos von dem Auto machen, vergesse ich glatt, das auch zu machen. Nur im Kopf habe ich das Bild noch.

Und ein schönes Bild ist es, versteht sich.

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