Another weird text

Während wir in Hamburg lediglich das Innenleben des Hauptbahnhofs durch eine Umbenennung zu retten versuchen und irgendwie gegenwärtiger machen wollen, obwohl doch unzweifelhaft auch mitten im Bahnhof Uhrzeit und Kalender treffsicher mit dem Rest der Stadt übereinstimmen, während wir hier also bloß aus der Wandelhalle eine „Grand Hall“ machen, handelt München viel forscher, umfassender und tiefgründiger. Dort benennt man gleich das ganze Bahnhofsviertel um. Denn viel hilft sicher auch beim Thema Namenszauber viel. Das weiß man, und wirklich mutige, weit vorausdenkende Menschen denken an dieser Textstelle bereits über „Deutschland“ nach, denn bitte, wie altbacken und verknöchert klingt das denn.

Aus dem Bahnhofsviertel dort unten jedenfalls wird, man kann es bei der Kaltmamsell nachlesen, wir beide bebloggen schließlich in treuer Folge immer wieder die Hauptbahnhöfe der großen Städte im Süden und im Norden, aus diesem Viertel wird nun das „Central Quartier“. Was man wohl, ich habe kurz etwas nachgelesen, deutsch aussprechen sollte, da es sich auf die alte Bezeichnung Centralbahnhof bezieht. Das ist einigermaßen raffiniert. Denn das Hirn der Gegenwart möchte bei „Central“ selbstverständlich gerne englisch weiterdenken, während es beim Weiterlesen dann aber über das i in Quartier stolpert und der Rest der Schulbildung daraus eher hektisch Französisch folgern möchte.

Gibt man „Central Quartier“ bei Deepl oder ähnlichen Seiten ein, wird auch dort Französisch erkannt. Während wir ruhig darauf bauen können, dass sämtliche Expats dieser Welt, all die Touristen und auch die ganze Heerschar der sonstigen Reisenden von überall her „Central Quarter“ sagen werden. Also mit ohne i.

Das ist ein nettes Sprachspiel für die polyglotte Jetset-Gesellschaft, das passt zu München, doch, doch. Während widerständige Ureinwohnerinnen in lokalem Tonfall immer wieder vom „Central Quartier“ in gewissermaßen extrem deutscher Aussprache reden werden. Ich höre im Geiste sofort Gerhart Polt über dieses Viertel dozieren.

Je länger ich darüber nachdenke, desto amüsanter finde ich den neuen Namen.

Bei uns wäre es aus historischen Gründen etwas simpler. Denn in unserem kleinen Bahnhofsviertel wurde schon einmal das „Manhattan an der Alster“ städtebaulich eingeplant, etwa zur Zeit meiner Geburt. Dazu kann man sich hier ein bemerkenswertes Bild ansehen. Und da alles einen schicken Twist braucht und irgendjemand immer out of the box denken muss, würden wir heute bitte betonen wollen, dass hier die Stadtmitte ist und es also „Mainhatten“ heißen müsste. Ein echter Hingucker, hurra.

Hochhäuser am Steindamm in St. Georg

Die Hauptausgehmeile meines liebenswerten sogenannten Szeneviertels wiederum hat einen geradezu überspannt deutschen Namen. Den man sich öder kaum vorstellen kann, er wirkt wie behördlich nach stattgehabten Messungen und nach DIN-Norm zugeteilt: „Lange Reihe“. Diese Lange Reihe ist aber laut sämtlichen Reiseführern trubelig, lebendig, nachtaktiv, szene-affin etc. Sie liegt außerdem fast direkt an der Außenalster. Die Außenalster aber wurde bekanntlich nur zu unserem so überaus attraktiven Stadtsee, weil sie damals aufgestaut wurde, sie ist im Grunde also ein … aber Sie merken vermutlich längst, worauf ich hinausmöchte, denn was kann naheliegender sein als „Basin Street“?

Der parallel zur Langen Reihe liegende und ganz anders geartete Steindamm …

[Exkursbeginn. Um zur Abwechslung etwas vollkommen ernst zu meinen: Wenn Sie als Touristin oder Tourist nach Hamburg kommen sollten, machen Sie Ihren Besuch doch bitte zum Bildungsurlaub und gehen Sie einmal die Lange Reihe auf und ab, nur um direkt danach den Steindamm auf und abzugehen. Zwischen diesen beiden Straßen liegen nur ein paar Schritte, aber die Unterschiede in den Erlebniswelten sind krass unglaubwürdig, wenn man es nicht selbst gesehen hat.

Es ersetzt ein Soziologieseminar, ach was, ein ganzes Semester, sich diese beiden so strikt getrennten Stadträume geistig einzuverleiben. Man muss genau diese beiden Straßen verstehen, um auf einmal sehr viel von unserer Gesellschaft zu verstehen. Sie haben auf der Langen Reihe den zur Szene und zum Hipster gewordenen WEIRD-Bias (Sie erinnern sich vielleicht noch, Western, Educated, Industrialized, Rich, and Democratic). Sie haben auf dem Steindamm dagegen eine merkwürdig andere Kulisse und eine vollkommen andere Statisten-Schar – als habe man „Migration“ auf einer Freilichtbühne überspitzt und seltsam überzeichnet darstellen wollen.

Also noch einmal, es ist ausdrücklich kein Scherz, besuchen Sie doch bitte einmal genau diese beiden Straßen. Sehen Sie genau hin – and please mind the gap. Exkursende.]

… der Steindamm jedenfalls war eine frühe, eine sehr frühe Ausgehmeile in dieser Stadt. Es gab dort auch, wenn ich mich da noch richtig erinnere, die allerersten Neon-Schriftzüge im Stadtbild. Es gab mehrere Theater, dazu Show-Bühnen aller Art, außerdem Kinos etc. Und da die Straße auch recht breit ist, okay, we got it – The Broadway.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Spaß macht das. Ich glaube, ich möchte gar nicht mehr darüber spotten. Ich möchte eher mitmachen. Ach was, ich möchte das am besten beruflich machen, ich möchte bitte alles und jeden umbenennen. Ich möchte derart umfassend wortzaubern, dass man mich respektvoll den Merlin, oder meinetwegen auch Merlix, für diejenigen, die schon sehr lange mitlesen, dass man mich also den Merlin of the Mottos nennen wird.

Irgendwo im Konzerngeflecht der Firma, in der ich für meinen Brotberuf tätig bin, gab es einmal einen Ableger, der genau so etwas gemacht hat, fällt mir gerade ein. Ich muss nach dem Urlaub dringend einmal nachsehen, ob wir diese Truppe noch besitzen.

Ein Graffiti bzw Wandgemälde an einem Eckhaus auf der Langen Reihe, ein sich öffnender Reißverschluss, unter dem das Hamburgwappen hervorkommt

***

Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch. Die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert