Der Montag beginnt mit deutlicher Unlust, denn ich fühle ihn allzu deutlich. Um noch einmal Thomas Mann zu zitieren, diesmal aus der Erzählung „Der Kleiderschrank“, ebenfalls gerade in der ARD-Audiothek verfügbar, gelesen von Manfred Zapatka: „Er liebte es nicht, sich in Kenntnis über die Stunde oder auch nur den Wochentag zu wissen.“
Mit Murren und Knurren, wie eine frühere Kollegin zu sagen pflegte, beginnt also diese Woche. Denn es scheint eine normale Woche zu sein, was mir der Kalender da anzeigt, kein einziger Feiertag rückt in Sicht. Außer in Berlin und Luxemburg, ich weiß. Der Tag der Befreiung in der einen Gegend, der Europatag in der anderen. Das klingt allerdings weder spezifisch berlinerisch noch ausschließlich luxemburgisch. Diese Anlässe kann ich vielmehr auch beanspruchen, all your Feiertage are belong to me.
Auch meine Eltern wurden schließlich befreit (Geburtsjahre 1933 und 1938, wie sehr nach Geschichtsbuch können Jahrgänge klingen), auch ich schätze Europa.
Aber was bekomme ich? Nichts, gar nichts. Bzw. nur fünf betont schlichte und gewöhnliche Werktage in der Normal- und Mindestausführung. Graue Durchschnittsware auf Werkseinstellungen, ohne alle Extras und Premiumfeatures. So steht man immer wieder vor neuen Herausforderungen und Todsünden, in diesem Fall erneut vor dem Neid.
Egal, nächste Station Himmelfahrt. Immerhin noch in diesem Monat. Ich klappe das Brotberuf-Notebook auf, ich lese die erste Mail, ich beginne, alles zu veratmen. Was soll man auch machen.
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Am Abend des ansonsten vollkommen ereignislosen Tages hebe ich an einem Automaten Geld ab. Das macht auch jemand neben mir, ein Mann, der es offensichtlich eilig hat. Er tippt da nicht nur das Übliche ein, nein, er trommelt auch wild auf dem Display herum. Er zischt dabei außerdem so etwas wie „Mach schon“ und „Los, los“, weil diese Maschine eher gemächlich vorgeht und über seine Eingaben erst einmal gründlich nachdenkt.
Dann kommt er zur Bildschirmansicht, auf der er die Summe auswählen soll, und da weiß er auf einmal nicht recht, das haut es ihm eine Bremse in die Eile. Er will erst mit Schwung auf etwas tippen, aber die Hand mit dem ausgestreckten Finger biegt mitten in ihrer Flugbahn ab, nimmt eine steile Kurve nach oben und es kommt dort zu einer Übersprungshandlung: Es wird keine Summe gewählt, es wird mit den Fingern geschnippt. Er weiß es gerade nicht mehr, was er will, nimmt er nun diesen oder jenen Betrag. Kurz sieht er zur Decke des SB-Raums, aber da steht die Lösung nicht.
Und weil er für einen Moment nicht recht weiß, schnippt die Hand da oben einfach weiter und da wird es auf einmal ein Rhythmus. Und weil dies nun ein Rhythmus ist, bei dem er wohl mitmuss, macht er vier, fünf ganz kleine, kaum ausgreifende, wenig Raum fordernde Tanzschritte. Bei denen er aber auch die Hüfte wippend einsetzt und überhaupt auf einmal eine unübersehbare und eindeutig außerhanseatische Sonderform der Körperspannung aufweist, quasi Auftrittsmoment.
Würde man ihn lassen und würde jetzt die Musik losgehen, würde der Soundtrack passend einsetzen, es würde sicher eine großartige Tanznummer werden. Man müsste mich nur dringend aus diesem Bild schieben. Eine Art Musical-Effekt im Alltag wäre es, und kein schlechter. Denn die Schrittchen, die ich da sah, die waren zwar klein und kurz, sahen aber ungeheuer gekonnt aus. Jemand, der so etwas mal eben nebenbei macht, in dieser Haltung, der unterrichtet womöglich abends Salsa oder dergleichen, stammt von karibischen Tanzdynastien ab, gewinnt vielleicht seit Jahren mit seinem Tanzsportverein jedes Latein-Turnier. Es ging dann aber keine Musik los, es war ein wenig bedauerlich.
Sonst habe ich nicht viel gesehen an diesem Tag. Aber immerhin einen Geldautomaten, der mit kurz aufflammender Leidenschaft angetanzt wurde.
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