Wie eine Figur von

Ein Bild sei noch nachgereicht, ein Bild aus den Hitzetagen. Als ich an einem dieser Nachmittage doch einmal draußen war, bei, was weiß ich, 65 Grad oder so. Also gefühlt jedenfalls war es so warm, und ich ging überhaupt nur vor die Tür, um etwas für die Herzdame zu besorgen. Denn es treibt uns bekanntlich zu Taten, das Gentlemanhafte, an die wir ohne Ladies nie denken würden.

Da kam mir jedenfalls in einer ruhigen Nebenstraße – in einer immerhin ruhigen Nebenstraße, was aus Gründen, die gleich einleuchten werden, betont werden muss – ein Radfahrer entgegen. Auf einem Herrenrad, das entweder nur alt oder schon vintage war, ich kenne mich da nicht aus. Formell bürotauglich angezogen war der Mann, bei der Hitze recht auffällig. Der Anblick erinnerte mich vage an jemanden, ich kam zunächst aber nicht darauf, an wen. Stunden später fiel es mir erst ein. Die Erinnerung bezog sich auf die Anfangssequenz eines Videos von Max Raabe, den ich doch gerade erst hier gehabt hatte. So hängt also wieder alles zusammen, es ist sehr schön.

Siehe unten.

Der Mann jedenfalls fuhr nicht nur Fahrrad, er sah dabei auch auf einen Bildschirm und tippte. Was noch nicht ungewöhnlich wäre. Smartphones etwa benutzen hier sämtliche Verkehrsteilnehmerinnen längst vollkommen enthemmt und in absolut allen Fahrsituationen, da es niemanden mehr gibt, der ein Verbot durchsetzen würde.

Dieser Mann vor mir allerdings tippte auf einem Notebook, und das hatte ich bis dahin so noch nicht gesehen. Freihändig musste er dafür fahren, und das aufgeklappe Notebook auf der linken Hand balancieren, während er mit der rechten Hand tippte. Konzentriert wirkte er, und da die Straße verkehrsarm war, wenn auch nicht verkehrsfrei, fühlte er sich auch nicht genötigt, allzu oft hochzusehen und die Lage um ihn herum zu prüfen.

Vielleicht ein Fall von Home-Office mit belebendem Fahrtwind. Vielleicht auch ein weiterer Dachgeschossbewohner mit Neigung zu Verzweiflungstaten. Oder mit bereits zerschmolzenem Gehirn und nur noch bedingt zurechnungsfähig. Womöglich hätte ich kumpelhaftes Verständnis haben sollen.

Daran dachte ich aber nicht. Ich war vielmehr spontan und fasziniert damit beschäftigt, über erzählerische Mittel in diversen Medien nachzudenken. Wie man diese kurze Szene, nur eben diesen Mann auf dem Rad, mit dem stark StVO-widrigen Verhalten, einmal so hätte darstellen können, dass ihn jede zur Symbolfigur gewordene Karen oder auch jeder krückstockfuchtelnde Nörgelrentner keifend und pöbelnd am liebsten vom Rad gestoßen hätte. Man hätte es leicht so schildern können, dass man diese Aggression als Zuschauerin, Leserin, Hörerin verstanden hätte, kopfschüttelnd und knurrend ob all der eskalierenden Entgleisungen auf den Straßen und überhaupt in der Welt. Entropie und Empörung, Sie kennen das.

Wie man es andererseits, und das ist grundsätzlicher, als Sie vielleicht zunächst vermuten wollen, so hätte darstellen können, siehe auch Max Raabe, dass dieser Mann ein liebenswerter Sonderling in unserer Wahrnehmung geworden wäre. Ein Kauz, wie man früher einmal gesagt hat, eine Komödienrolle. Ein liebenswerter Sonderling, Hauptsympath des Filmabends.

Was wäre, so kann man sich bei vermutlich vielen menschlichen Ärgernissen, die man ohne viel Kontext geliefert oder eher vorgeworfen bekommt, fragen, wenn Heinz Rühmann diesen seltsamen Typen spielen würde. Wenn Maggie Smith diese verrückte Alte wäre. Wenn es sich um eine Szene aus einer Geschichte von (hier Lieblingsautorinnen mit eher heiteren Werken einsetzen) handeln würde.

Ich habe mich also nicht weiter mit meiner Wertung befasst, ich habe nur fasziniert hingesehen und mir einige Notizen gemacht, zur späteren Verwendung. Wie eine dieser Figuren von … Na, von wem auch immer.

***

Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch. Die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

2 Kommentare

  1. Manchmal kommen mir Zweifel auf, ob die Erzählungen Tatsachen sind, oder ob sie doch Ihrer Fantasie entspringen. Andererseits ist in unserer heutigen Zeit nichts unmöglich und ich habe jetzt ein Bild vor dem Auge. Gruß aus Thüringen

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit exceeded. Please complete the captcha once again.