Zur Stimmigkeit von Offline und Online: Ich sehe auf Instagram, ohne danach gesucht zu haben, gleich drei Beiträge, in denen es um Krawatten geht. Bei denen man wohl gerade unterstellt, dass sie wieder zum Trend werden. Was einige Medienberichte zu bestätigen scheinen, auch wenn es schon eine Weile behauptet wird, und sicher nicht zum ersten Mal. Ich könnte aus den letzten Jahren nur wenige Sichtungen vermelden, sei es in der Innenstadt oder in meinem Büroumfeld.
Mit der modegeschichtlich nicht uninteressanten Ausnahme der Sicherheitsleute, die vor den Kaufhäusern in den Fußgängerzonen etc. stehen und durchweg schwarze Anzüge tragen, dazu schwarze Krawatten. Wobei also ein meist gering bezahlter Job durch dieses Accessoire gekennzeichnet wird. Während es nicht lange her ist, dass man dieses Zubehör eher am Hals der höher bezahlten Menschen im Gebäude vermutet hätte. Zeiten, Sitten, dies und das, es sind alles nur Symbole, und die kann man umdeuten.
Ein paar Minuten nach den Sichtungen auf Instagram steige ich jedenfalls in eine S-Bahn, und da sitzt er prompt neben mir, der leibhaftige Trendbeweis. Ein junger Mann, ungefähres Berufsanfangsalter vielleicht, mit Hemd und Krawatte. Er trägt kein Sakko. Er ist überhaupt nicht besonders förmlich oder teuer angezogen, er trägt aber auch keinen allzu braven Bank-Azubi-Look. Es ist eher so etwas wie schlichte Freizeitmode, was er da anhat, nur eben mit schönem Schlips.
Das gibt es jetzt also wirklich. Nanu.
Wie auch immer. Ich habe sie noch alle, die Krawatten von damals. Sowohl die allerersten aus den Second-Hand-Läden (in einem damals noch studentisch geprägten Eppendorf gekauft, Onkel Pö hatte gerade erst für immer geschlossen, das kann sich heute auch alles keiner mehr vorstellen), als auch die späteren und teureren Exemplare, bis hin zu der Designer-Variante, die ich bei der Hochzeit getragen habe. Also bei der zweiten. Danach, so nehme ich an, habe ich keine mehr erworben. Das Thema war ungefähr zu dieser Zeit komplett erledigt und das Accessoire verschwand allmählich aus sämtlichen Konferenzräumen und von den Bürofluren. In den Zeiten des Home-Office, das weiß ich genau, sah ich nur einmal eine in einem Call. Es wiederholte sich nicht.
Aber soll sie nur kommen, diese Retro-Mode. Am Ende werde ich dann doch noch das besondere und so traditionsverbundene Vater-Sohn-Vergnügen haben, das Knoten einer Krawatte der nächsten Generation vermitteln zu dürfen. Auch wenn YouTube vermutlich nennenswert besser als ich unterrichten würde, und das sogar ohne Dad-Jokes. Ich erkenne den Vorteil an.
Aber wie auch immer, heute werden es über 30 Grad da draußen und ich bekomme schon bei der bloßen Vorstellung, etwas um den Hals zu haben, Atemnot, Angstzustände, Schweißausbrüche und sonstige Hitzschlagsymptome.
***
„Die Geschichte der Arbeit beginnt vor etwa dreieinhalb Milliarden Jahren … Leben ist Arbeiten.“
Genau so fühlt es sich leider auch oft an, möchte ich da spontan ergänzen, auch wenn ich gerade Urlaub habe. Denn so weit reicht die Verdrängung in den angeblich schönsten Wochen des Jahres nicht, dass ich dieses Gefühl nicht mehr parat hätte.
Und man komme mir da bitte nicht schon wieder mit Camus und Sisyphus, wie ich vorsorglich und in Drohhaltung ergänzen möchte.
***
Heiko verbloggte eine Linksammlung. Linksammlungen verlinke ich besonders gerne, das ist eine Form der digitalen Brauchtumspflege. Auch für solche Begriffe ist das Internet längst alt genug.
***
Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch. Die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.