Nach Nordostwestfalen gereist, über seltsam leere Autobahnen und geisterhaft unbefahrene Landstraßen. Nichts als Gegend, wie meine Mutter bei solchen Gelegenheiten sagen würde, mit einem ausdrücklich missbilligenden Blick in die unverstellte Landschaft. Die beim Transit durch Niedersachsen bemerkenswert freudlos aussah, nach einem bestenfalls mäßig gelaunten Land, nach Dysphorie in der Fläche. Unter einem novembrigen, spätherbstlich anmutenden Himmel und in einer Tageshelle, die kaum als solche zu bezeichnen war. Eine etwas lichtere Dämmerung war es bestenfalls hier und da.
Wenig Weihnachtsdeko in diesem Jahr an der Strecke. In den Vorgärten und rund um die Kreissparkassen und Tankstellen leuchtete es kaum. Eindeutig weniger als im letzten Jahr. Auch dies folgt Trends, an deren Absprache sich niemand erinnert, deren Ergebnis aber überall besichtigt werden kann. Man wird es wohl nicht erklären können, nehme ich an.
Nach Fest und Winter sah es jedenfalls kaum irgendwo aus, Weihnachtslieder oder Gedichte konnten einem während dieser Fahrt kaum in den Sinn kommen. Von der Stimmung und Anmutung her war es eher ein Setting für Trakl-Lyrik, mit allen Arten von Brauntönen, Abendlicht und dunklerer Gefühlslage. Große Greifvögel am Wegesrand, die mit bronzefarbenen Augen starr auf die passierenden Autos sahen, unter den Krallen etwas blutrot Schimmerndes. So etwas dann hervorheben! Krähen zogen darüber hinweg und durchs Bild, selbstverständlich schwirren Flugs. Aber nicht etwa zur nächsten Stadt, denn da war weit und breit keine Stadt.
Mitten auf einem Feld stand ein Mann ohne erkennbaren Zweck. Still stand er dort und sah bewegungslos in die leere Ferne. Vogelscheuchenähnlich, aber doch besser angezogen. Ein Wartender, ein Hoffender, ein Ausgeklinkter oder Abgemeldeter. Ein Mensch wie Sie und ich, nur womöglich noch fehlplatzierter, noch unabgeholter als wir. Man weiß es nicht und man wird es auch nicht erfahren.
Und während wir fuhren, durch kahle Wälder, an gottverlassenen Naturschutzgebieten vorbei und über neugebaute Umgehungsstraßen um Dörfer herum, fiel die Temperatur um drei Grad. Ganz so, als ginge es weit nach Norden, diesem Weihnachten entgegen.
Richtung Weihnachten aber hätte man von der Stimmung dieser Fahrt aus in einem leicht resignativen Reimtonfall weiterdenken müssen, irgendwo zwischen Kaléko und Kästner vielleicht. Dezent angebittert, aber doch leserinnenorientiert mit etwas Resthoffnung im letzten Vers oder wenigstens im Abgang.
Aber apropos Resthoffnung. Den lokalen Medien aus Hamburg entnahm ich gestern die große Unzufriedenheit. Nämlich die der Weihnachtsmarktbetreiberinnen einerseits und die des Handels andererseits. Die Menschen haben weder genug Glühwein getrunken noch genug Schmalzgebäck oder Wurst verdrückt oder wenigstens genug Tand und Trödel gekauft. Geschweige denn neue Computer, Fernseher, Fahrräder etc. Man hielt sich vielmehr allgemein zurück, so stand es da. Man trank keinen zweiten oder dritten Becher mehr, man kaufte eine Portion Pommes für drei Personen.
Da kann ich etwas anlegen, was nicht in den Medien stand. Zwei Bemerknisse aus dieser Weihnachtszeit, zwei Veränderungen im Verhalten der Masse. Zwar habe ich nicht sehen oder erkennen können, dass es weniger Konsum gab, aber als Beobachter, der jeden Tag durch die Stadt geht, und das in jedem Jahr, stellte ich immerhin fest: Es wurde mehr Musik gemacht, und teils sogar spontan. Singende Freundeskreise, swingende Familien. Nicht immer war es als Straßenmusik gemeint, teils „einfach so“, teils also Selbstbespaßung. Man stand und sang, mit teils gar nicht einmal so deutlicher Ironie dahinter.
Und als ob das nicht schon absonderlich genug wäre, wurde auch mehr getanzt. Was sich sogar durch Instagram nachweisen ließe, ich sah dort etliche Clips davon. Nämlich wie Passanten vor Straßenmusikgruppen spontan einige Runden drehten, Foxtrott, Discofox und Freistil. Wenn man an Musikern vorbeigeht, kann man auch mal eben vorbeitanzen, und es macht nichts, dass ringsum sofort zehn, zwanzig Smartphones erhoben werden und alles gefilmt wird.
Menschen aus verschiedenen Altersgruppen und Ländern sah ich dabei. Ob wir da schon die Analogie zum Tanz auf dem Vulkan bemühen müssen, das weiß ich allerdings nicht, zumal die Vorstellung des Dezemberhamburgs in der Rolle als womöglich aktiver Vulkan stark überfordernd für meine Fantasie ist. Vielleicht aber gibt es einen Bezug zu den nun vielfach vermeldeten gesellschaftlichen Trends, die darauf verweisen, wieder mehr mit Freunden, analog und mit mehr Gefühl zu machen, also doch wieder mehr rauszugehen, sich öfter zu treffen etc. Pudding mit der Gabel zu essen, all das. Vielleicht ist das tatsächlich so, ich weiß es nicht.
Man steht staunend vor oder neben der Gesellschaft und rätselt so herum: Was macht sie jetzt wieder und warum. Schöne Grüße an dieser Stelle auch an den Freundeskreis Neurodiversität.
Im Heinatdorf der Herzdame gab es nach der Ankunft Kuchen von der Schwiegermutter. Der Baum war schon geschmückt, das Kaminfeuer war bereit und der Hund seufzte wohlig im Schlaf, desinteressiert an uns und überhaupt an der Welt, während die Katze ihre Meinung zum Thema Besuch vorerst rücksichtsvoll für sich behielt.
Die Nichte der Herzdame wird nächstes Jahr achtzehn Jahre alt, sagte sie nebenbei. Und obwohl ich doch Söhne im entsprechenden Alter habe, guckte ich genau so dumm und sinnlos erstaunt, wie alle Erwachsenen gucken, wenn die Kinder in ihrem Umfeld so etwas sagen. Diese Kinder, die neulich noch mit Bauklötzen gespielt haben. „Dann seid ihr ja bald alle erwachsen“, sagten wir etwas irritiert, denn manchmal ist man nun einmal nicht geistreicher und wird es an so einem Tag auch nicht mehr. Schon gar nicht nach zwei Stück Torte.


Nun. So jedenfalls ließ es sich an, das Fest in diesem Jahr. Wie immer aber gilt: Haben Sie es bitte gut. Und machen Sie es den Kindern schön.
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Lieber Max,
vielen Dank für viele Stunden (?) Lesegenuss, die ich dieses Jahr auf deinem Blog hatte.
Ich wünsche dir und deiner Familie ein fröhliches Weihnachtsfest, entspannte Feiertage und einen guten Start in 2026. (Möge es erwartungswidrig famos werden.) Und mir wünsche ich viele weitere Blogbeiträge im nächsten Jahr.
Herzliche Grüße,
Christian
Haben Sie es auch bitte gut mitsamt der Familie!
Danke, dass Sie mein morgendliches Leseritual füttern, mit Ihren Texten beginnt mein Tag, und das ist gut so.
Lieber Herr Buddenbohm,
Ihnen und Ihrer Familie wunderschöne friedliche Weihnachten. Sie sind meine allmorgendliche Frühstückslektüre und fassen so oft in Worte, was man so unterschwellig fühlt und wahrnimmt. Vielen Dank!
Lieber Herr Buddenbohm,
Haben Sie es gut und haben Sie schöne Weihnachten.
Bitte bereichern Sie uns auch im nächsten Jahr weiter mir Ihren Texten.