Lesen und Wohnen

Gehört: Ein Zeitzeichen über F. Scott Fitzgerald, 15 Minuten.

Gelesen: Den Michael Maar habe ich gestern beendet. Sein Buch über die Details in der Literatur, „Das violette Hündchen“, hier der Verlagslink dazu. Und weil er sich darin in anziehende Lobeshymnen auf Graham Greene versteigt, habe ich in mein Regal gegriffen und mir den Band, um den es da bei ihm geht, noch einmal auf den Nachttisch gelegt. Denn es ist mir stets wichtig, bei der Auswahl des nächsten Buches möglichst irrational und spontan vorzugehen, jederzeit der Kaninchenspur zu folgen und nicht etwa einem schnöden Plan. Den man zwar haben, aber nur in hoffentlich seltenen, eher uninspirierten Notfällen befolgen sollte.

„Das Ende einer Affäre“ also, ins Deutsche übersetzt von Edith Walter. Vor vielen Jahren habe ich es zum ersten Mal gelesen, in meinen Zwanzigern vermutlich. Zusammen mit einer ganzen Reihe von Greenes Werken. Die im Regal noch heute eine Reihe bilden, nur im Geiste etikettiert mit „Noch einmal lesen und dann in den öffentlichen Bücherschrank.“ Was keine Abwertung darstellt, aber ich behalte nur noch die Bücher, in die ich tatsächlich sehr wahrscheinlich noch mehrfach hineinsehen werde. Also etwa Lyrikbände, die wenigen Lieblingsromane mit Immerwieder-Charme, dicke Tagebuch-Ausgaben und dergleichen.

Eine beeindruckende und selbstverständlich tragische Liebesgeschichte ist dieser schmale Roman von Greene, ein Roman, in dem Gott eine wichtige Rolle spielt. Und noch dazu eine interessante, denn der Hauptdreh des Buches, den ich hier nicht spoilern möchte, könnte auch heute erzählt werden. Mit anderem Ausgang vermutlich, mit anderen Denkmodellen auch, aber mit der gleichen grundsätzlichen Moralfrage im Hintergrund und als Basis des Ganzen.

Die Story, an die sich die meisten Leserinnen und Leser, so nehme ich jedenfalls an, nach der Lektüre ebenfalls länger erinnern werden, weil sie besonders interessant gebaut ist, beginnt mit einem ersten Absatz, der mir damals auch länger im Gedächtnis geblieben ist. Es ist eine Art von Anfang, über die jemand wie Michael Maar ohne Weiteres erneut ein dickes Buch in Weihnachtsurlaubsdimensionen schreiben könnte. Nämlich über die in der Tat unterhaltsame Frage, warum eigentlich Geschichten dort beginnen, wo sie beginnen.

„Eine Geschichte hat weder einen Anfang noch ein Ende. Willkürlich wählt man den Moment, von dem aus man ein Erlebnis rückschauend betrachtet oder sich vorstellt, wie es weitergeht. „Man wählt“ sage ich mit dem falschen Stolz des professionellen Autors, den man – falls er anerkannt ist und ernst genommen wird – wegen seiner Technik lobt, aber ich wähle tatsächlich, allein weil ich es will, jenen nassen, schwarzen Januarabend 1946 auf dem Gemeindeanger und den Anblick von Henry Miles, der vorgebeugt durch einen heftigen Regenguss stolperte – oder haben diese Bilder mich ausgesucht?“

Ein ausgezeichneter Anfang, denke ich.

Das Buch "Das Ende einer Affäre" in der TB-Ausgabe von dtv

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Ansonsten war gestern der Tag ohne familiäre Termine, ohne Besuche und ohne To-Dos. Herumgelegen und gelesen haben wir, stundenlang, nahezu ganztägig, vollkommen ereignislos, sehr gut war das. Und lange war es her, dass wir das in dieser Intensität und zeitlichen Erstreckung so hinbekommen haben. Es sind Steigerungen denkbar, möchte man sich selbst gegenüber beim Nachdenken über diese Gelegenheiten vielleicht anmerken, mit immerhin weihnachtlich mildem Tadel.

Beim abendlichen Blick aus dem Fenster sah ich außerdem etwas Ungewöhnliches, nämlich dass ringsum nahezu alle Fenster in den Häusern rund um den Platz erleuchtet waren. Ein durchaus ungewohnter Anblick; sonst sehe ich einen lückenhaften Lichterflickenteppich im Abendszenario. In jedem Haus leuchtet gewöhnlich nur hier und da ein Licht hinter den Scheiben, die Menschen haben verschiedene Rhtyhmen. Gestern dagegen war nahezu alles erhellt, was nur Mieterinnen oder Mieter hatte. Sogar die Kirche, in der nur nach der Meinung mancher jemand dauerhaft wohnt.

Nie bist du ohne Nebendir“, wie es bei Ringelnatz damals hieß. Auch in unserer Nachbarschaft war man offensichtlich allgemein zuhause, wohnte man nun ein wenig herum, waren die Weihnachtsreisen und Familienausflüge schon beendet worden, waren die Besuche absolviert und all die Geschenke überbracht und mitgenommen worden.

Man könnte glatt darauf wetten,

Überall belegte Sofas und Betten.

Überall das Marzipan im Magen,

Überall das Wohlbehagen.

Überall wird weihnachtlich umnachtet

Sehr besinnlich Raufaser betrachtet.

 

Wo man geistig eben landet, wenn man einen weiteren Tag lang eher positiv denkt. Sie kennen das, nehme ich an.

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Und dann noch ein Bild, welches man weihnachtlich deuten könnte, denn der Pflastermaler hat hier nachgelegt.  Man muss es aber keinesfalls weihnachtlich deuten, es bleiben andere Möglichkeiten.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Froh sein

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Ein Kommentar

  1. … die wenigen Lieblingsromane mit Immerwieder-Charme, dicke Tagebuch-Ausgaben …
    Da würden mich einige Tipps sehr freuen, denn das wäre auch was für mich.

    Bei den Tagebüchern lese ich immer wieder gerne die von Walter Kempowski und von Manfred Krug. Und was hat „Immerwieder-Charme“? Bei mir „Vor dem Sturm“ von Theodor Fontane, die klugen Sach- und Politbücher von Sebastian Haffner und Fritz Stern. Und „natürlich“ die frühen Maigret-Romane von Georges Simenon.

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