Beifang vom 25.11.2016

Die geschätzte Juramama über den schwangeren Sigmar Gabriel. Sie wissen schon, der ach so offensive Papa.

Margarete Stokowski über weiße mittelalte heterosexuelle Männer. Sehr guter Text.

Stefan Mesch über Kommentare und die Kunst, in der aktuellen Lage einen geraden Satz zu schreiben.

Das hier ist der vermutlich allernovemberigste Text, den man gerade im deutschsprachigen Netz auftreiben kann: “Mach’s gut, Dose.” Leserinnen, die ihr monatliches Traurigkeitsvolumen bereits aufgebraucht haben, lassen den vielleicht lieber aus, ein völlig ernstgemeinter Hinweis. Nach dem traurigsten Text des Novembers kann man sehr schön den besten Weihnachtstext 2016 anlegen und ja, die Wahl ist schon entschieden, doch, doch. Gucken Sie hier. Man möchte Tilman Rammstedt sofort irgendeinen Preis für den Text geben. Oder wenigstens einen Zimtstern.

Aus naheliegenden Gründen interessieren mich oder uns Schulthemen immer mehr. Wir waren gestern auf dem ersten Infoabend zum Thema weiterführende Schulen, dort waren unfassbare acht Schulen vertreten, die für Sohn I in Frage kommen, und das waren noch nicht einmal alle, so ist das eben in der Mitte von Großstädten. Zu viel Auswahl kann etwas lästig sein, zu wenig wäre aber natürlich auch nicht recht, das ist also alles Jammern auf hohem Niveau, schon klar. Immerhin ein paar wichtige Erkenntnisse gehabt, wenn auch keine Erleuchtung. Aber es ist ja noch Zeit. Wir fangen damit überhaupt nur in diesem Jahr (er ist erst in der 3. Klasse) schon an, weil es bei dieser Riesenauswahl tatsächlich etwas schwierig wird, sich alles in nur einem Jahr anzusehen, zumal die Tage der offenen Tür etc. gerne in die Vorweihnachtszeit fallen, in der man bekanntlich überhaupt keine anderen Termine hat, haha.

Man macht sich aber sowieso eventuell umsonst viele Gedanken, weil man die Schule, die man dann unbedingt für das Kind haben möchte, nicht zwingend bekommt. Gibt es nicht genug Plätze, entscheidet die Entfernung zur Schule, es gewinnen dabei die Nachbarn aus dem Stadtteil der Schule, weswegen es in Hamburg lustige Ummeldespielchen unter Eltern gibt. Da werden wir allerdings nicht mitmachen. Etwas seltsam kam mir in den letzten Wochen manchmal die Sicherheit vor, mit der einige Eltern ihr Kind zu kennen meinen, der oder die ist so und so, und zwar genau so – und bleibt auch so. Vielleicht stimmt das bei denen sogar, ich will das gar nicht ausschließen, das kann ja alles sein, aber diese Sicherheit habe ich eher nicht. Die Söhne ändern sich noch und können mich dabei jederzeit überraschen, ich habe keine Ahnung, wie die in drei, vier, fünf Jahren sind. Ich mag Kinder nicht hochrechnen. Dass alle Schulen mittlerweile irgendeinen thematischen Schwerpunkt haben, finde ich daher sogar etwas nervtötend, als ob man mit zehn Jahren schon so festzulegen ist, das ist doch immer noch ziemlich früh.

Herausragende Spezialbegabungen stelle ich bisher bei den Söhnen übrigens auch nicht fest, damit wäre natürlich alles einfacher. Na gut, Sohn I kann im Vorbeigehen aus dem Augenwinkel das neue Passwort für das iPad erkennen, das ich gerade heimlich eingebe, das fällt wohl in den Bereich alltagstaugliche Spezialbegabung, aber das ist keine dieser sofort schulisch brauchbaren Begabungen. Die Lage wäre deutlich einfacher, wenn er schon Opern komponieren, Spiele programmieren oder am Stufenbarren “Jugend trainiert für Olympia” anpeilen würde. Das würde ich allerdings höchst irritierend finden.

Als ich damals aufs Gymnasium kam, war es vollkommen diskussionsfrei das, auf dem auch schon mein Bruder war, ganz einfach. Und der war da, weil da auch schon meine Schwester war. Und die war vermutlich da, weil meine Mutter das so entschieden hat, vielleicht weil auf der Schule auch schon der von ihr geschätzte Thomas Mann war. Ich weiß es nicht, aber es wäre nicht erstaunlich. Als ob die eigenen Kinder dann auch irgendwann Bücher schreiben würden! Na, so hat jeder seine Strategie.

Was wollte ich sagen? Ich wollte eigentlich nur eben diesen Link zu einem Schulthema posten, pardon:

“Die Schüler sitzen hier gerade in einer der wichtigsten Unterrichtsstunden ihres Lebens.”

Filme

Ich habe zu dem Film “Ich, Daniel Blake”, den Trailer im Kino gesehen und habe große Lust, ihn mir anzusehen.

Diese Lust könnte sogar dazu führen, dass ich das tatsächlich mache, denn das sieht doch nach einem vernünftigen Umgang mit sozialen Themen aus – und wer würde soziale Themen zur Zeit nicht wichtig finden.  

Ich sah diesen Trailer in dem Werbeschwulst vor dem aktuellen Woody-Allen-Film, in dem ich in der letzten Woche mit der Herzdame war. Das war nach einer kleinen Kinderpause von nur neun Jahren das erste Mal, dass wir gemeinsam in einem Film für Erwachsene waren, wie wir etwas überrascht nachgerechnet haben. Das war dann wohl die Extended Version im Family-Style von “Man kommt zu nix”. Wir waren, das ist aber Zufall, kein seltsames Ritual, vor den Kindern zuletzt auch in einem Woody-Allen-Film, manchmal fügt es sich ja nett. Allerdings sind nicht nur wir älter geworden, Woody Allen ist es auch.

Der Film “Café Society” jedenfalls besteht aus hübscher Langeweile, in der man sich etwa alle zehn Minuten bei einem Satzfetzen wehmütig daran erinnert, dass Woody Allen früher mal Dialoge und Erzählung konnte, und wie er das konnte. Ansonsten ein Film mit seltsam unwirksamer Ausstattung, die überhaupt nicht überzeugt. Das soll in den Dreißigern des letzten Jahrhunderts spielen, aber nichts im Film fühlt sich danach an, nicht die Kulisse, nicht die Kostüme, nicht die Texte. Ganz merkwürdig. Ich lasse mich im Kino gerne auf Ausstattungszauber ein und bin etwas enttäuscht, wenn da nichts kommt. Die Handlung, wenig überraschend, lässt die Liebe wandern, das trifft einen als Zuschauer bei dem Regisseur nicht gerade unerwartet.

Die Herzdame fand auch das Ende vollkommen daneben, ich fand, das war das Beste am Film, genau der richtige Moment, mitten im fortgeschritten lakonisch und altersmilde betrachteten Bäumchen-Wechsel-Dich-Spielchen der orientierungslos Liebenden ein glatter Schnitt, das passte schon. Aber möchte man einen Film nur für ein gutes, wollte sagen immerhin passendes und halbwegs originelles Ende sehen? Wohl kaum.

Immerhin: Kristen Stewart. Wie die FAZ am Ende einer ansonsten eher mitleidigen Kritik schreibt: “Aber Kristen Stewart leuchtet.”

Ich rate dennoch eher ab.

Schlagwörter im November

Wenn ich Links für den wöchentlichen Wirtschaftsteil finde, speichere ich sie in Evernote, wobei sie mit einem Schlagwort versehen werden. Nicht alle Schlagwörter stehen für viele Texte, denn zu einigen Themen findet man jeden Tag etwas, zu anderen nur ganz selten. Die Schlagwörter, die im Moment mit Abstand am häufigsten vergeben werden, sind: Arbeit, Essen, Stadt und Plastik.

Und als mir das auffiel, da schien es mir, als würde das traurig klingen. Arbeit, Essen, Stadt und Plastik. Sehr modern, sehr sachlich, sehr unfroh. Es könnte auch der Titel einer ziemlich harten Kurzgeschichte sein: “Arbeit, Essen, Stadt und Plastik”, so etwas wird zu Literaturwettbewerben eingeschickt und ist ungeheuer ernst gemeint. Oder es ist ein Essay in einer hochtrabenden Zeitschrift, eine kristallklare soziologische Analyse der Milieus in deutschen Großstädten, künstliche Lebewelten in Großraumbüros mit Kantinenanschluss oder so etwas, Motto vorweg, weil ein literarischer Bezug immer gut kommt: “Sie essen das graue Zeug. Dann fallen sie tot von den Stühlen.” Um einmal den Herrn Brechbühl zu zitieren, der mir plötzlich wieder einfällt. Woher kenne ich das eigentlich, aus einem Schulbuch? Wahrscheinlich doch. Da hätte man sich über all die Jahre aber auch wesentlich erbaulichere Zeilen merken können. Na, egal. Das war nur, was mir eben gerade zwischen Arbeit und Essen in der Stadt so einfiel.

Es ist ein wenig November, ist es nicht? Aber nicht mehr lange. Am Wochenende holen wir Weihnachten aus dem Keller, dieses ganze Plastikdekozeug, Sie wissen schon. Dann ändert sich auch die Grundstimmung wieder. Hier und überall. Schon aus Tradition.

Beifang vom 22.11.2016

Ein Gespräch über Donald Trump. Mit jemandem, der sich etwas länger mit ihm beschäftigt hat. “Er ist nicht intelligent. Er ist nicht fleißig. Er hat kein historisches Verständnis. Er ist unglaublich ignorant. Er ist nicht selbstreflektiert. Er ist nicht freundlich. Er ist nicht warmherzig. Menschen, vor allem Frauen, sind für ihn nur Objekte. Er ist nicht seriös. Er hat keine Moral. Er hat sein Leben nichts anderem gewidmet, ich sagte es, als dem Geld, der Macht…, wollen Sie noch mehr hören?”

Die Soziologin Nilüfer Göle über den gewöhnlichen Islam in Europa.

Die Zeit über die wahre Regression in die 50er durch die Unterwerfungsformel. Die These am Ende des Textes, dass der allgemeine Hass auch mit der Überzuckerung der öffentlichen Konversation zusammenhängt, sie ist vielleicht etwas zu steil. Aber als in Hamburg lebender Lübecker möchte ich gerne einen Punkt ergänzen, einen konservativen, heimatverbundenen Punkt, das ist sonst nicht meine Art, aber hier doch einmal: diese maßlos übertriebene Höflichkeit, diese verbale Herumgeschwänzel, diese “Ausweitung der Floskelzone”, wie es im Artikel treffend heißt – das ist nicht norddeutsch. Das passt hier nicht. Wenn ich in in einen Laden gehe und “Moin!” sage, dann will ich “Moin!” hören und kein gejauchztes “Guten Morgen der Herr, wie schön, dass Sie wieder da sind, da freuen wir uns sehr, was können wir denn heute Gutes für Sie tun?” Das nimmt mir ein Stück Heimat, echtjetztmal.

Zwischendurch und ohne besonderen Anlass ein Hinweis auf das Journal der Kaltmamsell, das mit Einträgen wie diesem hier ein Format gewonnen hat, das man später einmal ausdrucken und als Geschichtsbuch binden lassen kann. Historiker reißen sich heute um solche Journale aus den vorigen Jahrzehnten, das wird später nicht anders sein. Ich lese das sehr gerne.

Bobby McFerrin mit dem Ave Maria wird fast jeder kennen, hier aber doch noch ein Tipp für Eltern. Ich habe den Söhnen mehrere dieser Aufnahmen gezeigt (mit Exkursen zum Thema Beatboxing, aber egal) und was soll ich sagen, es war nicht Absicht – aber jetzt wollen sie abends zum Einschlafen Bach hören. Manchmal ist es ja einfach.

Kurz und klein

Beifang vom 21.11.2016

Nachdem hier gerade etwas am Blog-Layout geschraubt wurde, werde ich auch inhaltlich hier und da etwas umbauen, das soll ja ab und zu ganz gesund sein. Ich bin z.B. mit dem bisher gepflegten Woanders-Format nicht mehr recht zufrieden, dieser wöchentliche Rhythmus passt irgendwie nicht mehr. Es gibt zu viele Links, besonders in speziellen Zeiten wie diesen (Satz bleibt ewig gültig, kann man ruhig so stehen lassen). Und wenn es sehr viele Links in einer Woanders-Ausgabe sind, dann ist das irgendwann nicht mehr zumutbar, weil niemand Zeit hat, sich achtzehn Links anzusehen, selbst wenn sie ihn interessieren könnten. Ich stelle also versuchsweise auf tägliche Links um, dafür in deutlich kürzeren Ausgaben und nenne das ganze nun Beifang, denn die meisten Links finde ich tatsächlich auf der Suche nach den Texten, die ich für den Wirtschaftsteil brauche. Und Beifang muss sofort zurück ins Meer, wie sicherlich bekannt, wobei das Meer hier im metaphorischen Sinne das Netz ist, da wird es also kompliziert und geht am Ende auch nicht auf, egal, man kann als Autor nicht immer Glück haben. Eine Handvoll Links also, mehr nicht, und darum etwas herumgedacht. Eventuell sogar täglich, aber sicher nicht am Donnerstag. Geht los.

Auch so kann ein Abschied vom Vater ausfallen.

“Finnland schafft die Schulfächer ab”, das konnte man auf etlichen Medienseiten lesen. Bei der Tagesschau wird das relativiert, es bleibt aber interessant. Projektorientiertes Lernen klappt auch zuhause besser als das herkömmliche “Wir machen mal Mathe”. Ich steige seit einer Weile nur noch bei dem ein, was die Kinder interessiert, man kann überall Aspekte von Mathe, Deutsch, Medienkunde, Englisch etc. finden, das ist nicht schwer und funktioniert gut – auch für Erwachsene. Wenn ein Kind in die Wanne will, kann man nebenbei gemeinsam herausfinden, wie viele Liter Wasser dort hineinpassen und hinterher googeln, ob man richtig lag, da fällt das Lernen nicht auf. Es ist auch nicht so, dass wir mit den Söhnen dringend irgendwas üben müssten, aber wenn wir solche Gespräche nicht führen würden, es bliebe uns vollkommen unklar, was die mittlerweile ungefähr können. Das ist ein kleiner Nachteil von Ganztagsschulen, wenn man es denn als Nachteil sehen möchte. Siehe beim Thema Schule auch hier über Nachhilfe von Youtube. So weit sind wir noch nicht, aber das kommt noch.

Boris wollte mich verbrennen”, ein Text aus dem österreichischen Falter über die Radikalisierung. Es lässt einen ratlos zurück.

Beim Techniktagebuch geht es um die Modernisierung der Hotelzimmernachttischbibel. Von denen ich lange keine mehr gesehen habe, werden die nicht mehr verteilt?

Ein Interview mit Wolf Haas: Es ist mir schon passiert, dass mir in einem Dialog für jemanden eine extrem gute Antwort eingefallen ist. Aber blöderweise ist die Figur schon im Kapitel vorher gestorben, und da hab ich sie dann halt doch weiterleben lassen.”

Nein

Zu den letzten beiden Lesungen musste ich jeweils stundenlang Zug fahren, das mag ich sehr. Im Zug gibt es oft kein Netz, da habe ich also tatsächlich frei, da kann ich in die Gegend gucken oder lesen oder dösen, ich finde das herrlich. Dösen wird überhaupt stark unterschätzt, finde ich.

Der Zug fährt von Nord nach Süd. Ein Mann steigt ein, er wird etwa am Anfang des Rentenalters sein. Seine Frau geht hinter ihm her, sie sieht etwas älter aus. Er wirkt bestens gelaunt, sie eher müde und verhalten. Er verräumt die Koffer, die sind groß und schwer, das wird eine längere Reise. Sie setzen sich, sie haben zunächst einen Tisch für sich alleine. Er sitzt breitbeinig und raumgreifend, sie lehnt sich ans Fenster und sieht ins graue Novembernichts der norddeutschen Tiefebene, das da eintönig vorbeizieht. Er holt ein Fischbrötchen aus einem Rucksack, gräbt weiter darin herum, bis er auch noch eine Flasche Apfelschorle findet. Nimmt das Fischbrötchen in die rechte Hand, die Flasche in die andere und beißt und trinkt abwechselnd, wobei er die Hände an die Tischkanten legt, das ist jetzt sein Revier., das hat er reserviert. Er kaut konzentriert, kommentiert dann das Fischbrötchen, das Fischbrötchen ist gut, jedenfalls für ein Imbissfischbrötchen vom Bahnhof, da weiß man ja nie. Gut und groß mit ordentlich Zwiebeln drauf, so muss das sein. Die Frau nickt und isst nichts.

Er holt eine Regionalzeitung aus der niedersächsischen Provinz heraus und breitet sie vor sich aus, zuerst kommt der Politikteil. Er zeigt mit dem Fischbrötchen auf eine Überschrift, er liest vor, er erklärt seiner Frau kopfschüttelnd die Weltlage, ohne den Rest des Artikels zu lesen. Die Frau nickt. Das Fischbrötchen weist schon zur nächsten Überschrift, er erklärt, das geht eine Weile so weiter. Seine Erklärungen beendet er immer wieder mit einem “Was?” Sie nickt, ja, das wird wohl so sein. Eine junge Frau setzt sich neben die Frau des Rentners, holt ein Notebook heraus, klappt es auf und korrigiert an einem Text herum. Unwillig zieht der Rentner die Zeitung ein Stück zu sich, das ist nicht schön, wenn man auf einmal weniger Platz hat. Er liest wieder eine Überschrift vor, lacht verächtlich, er befindet, dass das alles Idioten sind, die da in der Politik, is’ doch so? Was? Sind sie doch? Er guckt sich um, seine Frau nickt, die junge Frau sieht kurz hoch und sagt “Nein.” Das sagt sie nicht unfreundlich, das sagt sie einfach so, weil es für sie eben nicht stimmt. Und weil der Mann ihr gegenüber nun einmal so fragend guckt, der will ja wohl eine Antwort.

Der Mann guckt sie entgeistert an, er wiederholt sicherheitshalber seinen letzten Satz, die junge Frau hat vielleicht nicht verstanden, worum es gerade geht, manchmal hören Leute nicht richtig zu. Die junge Frau sagt: “Nein”. Und tippt weiter. Er schüttelt den Kopf, er lehnt sich schnaufend zurück und streicht die Zeitung glatt, er sieht zu seiner Frau, seine Frau sieht aus dem Fenster. Er zeigt wieder mit dem Fischbrötchen auf die Zeitung, er guckt die junge Frau an, er macht den Mund auf, er sagt dann aber doch nichts mehr. Er liest still weiter, murmelt nur ab und zu tonlos etwas und guckt auch ab und zu hoch, auf die seltsame junge Frau, die ihn nicht beachtet und weiter arbeitet. Er blättert um, er sieht sie noch einmal an und schüttelt den Kopf.

Jetzt kommt der Sportteil, er liest und rollt die Augen, verzieht angewidert den Mund, lacht kurz höhnisch auf. Er kaut den letzten Bissen, er fingert mit weit offenem Mund nach Fischbrötchenresten zwischen seinen Zähnen. Dann schiebt er die heruntergefallenen Zwiebelringe auf der Zeitung zusammen und steckt sie zurück in die Brötchentüte, knüllt sie zusammen und schiebt sie ohne hochzusehen mit langem Arm seiner Frau hin, die seinen Müll in ihre Handtasche steckt. Sie macht die Augen zu, den Kopf an das Fenster gelehnt.

Zwischendurch ein Dank …

… und zwar gleich zweifach! Nämlich an Oliver von Blogoli für das “Leben des Brian” von Monty Python, das ist immerhin ein Film, den sogar ich als ziemlich kategorischer Filmverweigerer gerne sehe, auch zum xten Mal. Ein Weltkulturgut, nicht wahr.

Außerdem an Carola von ddorfer.info für die Stickerbücher von Usborne (diese Stickerbücher sind übrigens ein guter Tipp für alle, die Familie mit Kindern besuchen, die sind als Mitbringsel sehr geeignet – hier kommen sie jedenfalls immer gut an).

Was schön war: Hanseatic Help und Forchheimer Bagger

Vor ein paar Wochen haben wir Altkleider zu Hanseatic Help gebracht. Hanseatic Help ist das, was aus der improvisierten Kleiderkammer in den Messehallen wurde. Die ist vor einem Jahr ja sogar bundesweit bekannt geworden, als tausend und mehr Hamburgerinnen dort Spenden für die vielen Geflüchteten hinbrachten, die dann andere Tausende (mit Schnittmenge) stunden- tage- und wochenlang sortiert und ausgegeben haben. Das war damals ein ziemlich unfassbarer Anblick, wegen der Menge an Spenden, wegen der Einsatzbereitschaft der Leute, wegen des riesigen Gewusels und auch weil es eine schnelle Entwicklung zu einem formidablen Ordnungs- und Organisationssystem gab. Diese Systeme waren dann sogar so gut und tragend, dass aus der Kleiderkammer der Verein Hanseatic Help wurde, der immer noch Spenden annimmt und sortiert, und zwar in ziemlich großem Maßstab.

Diese Spenden werden neu gebündelt und mittlerweile nur noch an andere helfende Vereine und Institutionen ausgegeben, Hanseatic Help arbeitet also wie eine Art Großhändler und ist keine Anlaufstelle für Einzelne mehr. Die Abnehmer helfen dann den Bedürftigen in der Stadt, Obdachlosen, Geflüchteten usw.. Das immer noch und besonders ganz rechts so beliebte Spiel, Gruppen von Bedürftigen gegeneinander auszuspielen, das klappt dabei also nicht mehr recht. Als ich dort war, wurden gerade Container für Haiti fertig gemacht, denn in Hamburg gab es noch genug gespendete Sommerkleidung, die hier im Winter keiner braucht, die aber auf Haiti vermisst wird. Das ist also noch einmal eine neue Dimension der Hilfe.

Der Mann, der mich dort herumführte, war darauf verständlicherweise stolz. Auf den Haiticontainer und auch auf die Organisation an sich. Wer sich ein wenig für Ordnungssysteme interessiert, der wird das nachvollziehen können. Ein Lagersystem, Verteilschlüssel, Sortierkriterien, neue Räume, Schichtpläne, Verpackungslösungen, Vernetzung in der Stadt, Öffentlichkeitsarbeit, Vereinsgründung etc. – alles von Freiwilligen aus dem Boden gestampft, innerhalb eines Jahres, das ist schon was.

Und es ist schön zu sehen, wie da Spenden ankommen und ihren Weg nehmen, wie glatt das alles läuft, wie das erfasst wird, gelagert wird, verarbeitet wird, verpackt wird, und wie am Ende dann Pakete rauskommen, die tatsächlich bei Menschen ankommen, die etwas benötigen. Man kann nach wie vor dort helfen gehen, auch kurz, man kann auch nach wie vor dort Spenden abgeben.

Das ist etwas, das in den letzten und höchst kritischen Monaten der Weltgeschichte dann doch positiv hängengeblieben ist, auch bei uns im Stadtteil: Diejenigen, die geholfen haben, die bleiben oft dabei, die haben in den letzten Monaten eine ganz neue Kultur des Helfens und eine Art sozialer Spontaneität entwickelt, weil Helfen auch Spaß macht. Der Herbst 2015 hat bei uns im kleinen Bahnhofsviertel zu einer neuen und vorher ungeahnten Verdrahtung des Stadtteils geführt, hier kennen sich jetzt mehr, hier weiß man jetzt, was man gemeinsam leisten kann, wenn es darauf ankommt. Zigtausend Portionen Suppe für hungrige und frierende Durchreisende etwa – das klappt, das kriegt man hin, man muss einfach anfangen, etwa beim Gemüseschnippeln und dann sieht man weiter. Der eine hat einen großen Topf, die hat einen Gefrierschrank, der hat Platz, die hat Zeit, der kann kochen, so ging es immer weiter – und es hat dann tatsächlich geklappt, die kleine Initiative hat wochenlang jeden Tag Suppe ausgegeben, an unzählige Menschen. Man weiß nicht, dass man so etwas kann, bevor man es gemacht hat, aber hinterher bleibt es einem dann. Das ist wirklich schön.

So zeigt eine Einrichtung wie Hanseatic Help, was diese Stadt und ihre Einwohnerinnen mitmenschlich leisten können, und das kann man ruhig einmal zur Kenntnis nehmen, bei all den schrecklichen Nachrichten gerade.

Als ich in Forchheim gelesen habe, fuhr ich am nächsten Morgen mit dem Zug zurück. Als unheilbarer Frühaufsteher und überpünktlicher Mensch war ich natürlich viel zu früh am Bahnhof, stand dort dumm herum und guckte in die Gegend. Die Gegend war in dem Fall eine große Baustelle, man war noch beim Tiefbau. Nicht ganz so tief wie in Stuttgart, aber Löcher an Bahnhöfen sind wohl gerade in. Bagger, Muldenkipper und andere Laster, die ich nicht einmal korrekt benennen könnte, fuhren dort herum, Raupenfahrzeuge, all das Zeug, was Kinder immer wieder so begeistert. Dazwischen Männer in alarmroten Westen, die das Ganze dirigierten, Sand von links nach rechts, undefinierbares Metallgerümpel von einem Laster auf den anderen, Werkzeugkisten von da nach dort. Das habe ich mir zwanzig Minuten lang angesehen – und das war auch schön. Wie das alles funktionierte und Sinn ergab. Das war wie bei Hanseatic Help, ein vernünftiges System. Menschen mit Einsatz, und dann wird da was bewegt. In diesem Fall sicher nicht ehrenamtlich, vielleicht nicht einmal gerne – aber es lief, vermutlich sogar nach Plan, ich möchte es einfach unterstellen.

Ich fand es belebend, bei so etwas wieder wie ein Kind kurz stehenzubleiben und mir das anzusehen, gerade weil die Nachrichten nur noch aus Bedrohungen, Weltuntergängen, Schreckensszenarien, Ängsten und unheilvollen Spekulationen bestehen, aus Meldungen und Kommentaren, in denen die Welt bereits zu Bruch geht. Es fühlt sich heilsam an, bei einem Aufbau irgendeiner Art zuzusehen. Weil der Mensch an sich was kann, wenn er will. Da muss man sich vielleicht zur Zeit etwas bewusster dran erinnern, sonst vergisst man das noch vor lauter Sorge.

Mit anderen Worten, ich brauche also schon Bagger und schweres Gerät, um wieder auf konstruktive Gedanken zu kommen – danke Trump!