Was schön war

Ich habe den Verdacht, dass dieses Format auf mittlere Distanz am besten funktioniert. Wenn ich an den Tag denke, an dem ich gerade schreibe, fällt mir nichts ein, das ist zu dicht, das muss sich alles erst setzen. Wenn ich an Tage denke, die sehr lange her sind, ist es wieder ein Fall von “Opa erzählt vom Krieg”, das will ja auch keiner. Aber wenn ich ein paar Tage zurückdenke, dann fallen mir sofort Szenen oder Bemerknisse ein, die ich schön fand, und die ich auch nicht schon zehnmal erzählt habe.

Ohne Titel

In Südtirol, oberhalb von Lana, weit oberhalb sogar, auf einem Wanderweg entlang der Hänge voller Obstbäume. Es ist heiß und irgendwo sitzt eine einsame und vermutlich deswegen sehr laute Grille. Es ist nur eine, aber sie ist weit zu hören, weiter jedenfalls, als ich es bei Grillen überhaupt für möglich gehalten hätte, weiter, als ich es je bei einer Grille gehört habe. Schmetterlinge schaukeln durch die Hitze. Äpfel, viele Äpfel, manchmal Pflaumen, selten Birnen, warum essen die Menschen eigentlich so wenig Birnen? Oder wachsen die in Südtirol nur nicht so gut? Sie stehen hier jedenfalls ganz dicht neben den Äpfeln, man könnte sie fast damit vergleichen, aber das darf man ja nicht. Eidechsen auf den Mauern am Wegesrand, kaum hat man sie gesehen, sind sie auch schon wieder weg, ein Huschen im Augenwinkel. Die Söhne laufen durch die Reihen der kleingehaltenen Bäume und pflücken unter Absingen einer der vielen Hamburger Hymnen ein paar Äpfel. Und das macht einen als Norddeutschen dann doch etwas heidikabelnostalgisch – so wollte man früher auch nie werden! -, was soll man machen. Wenn die eigenen Söhne “Klauen, klauen, Äppel wolln wir klauen, ruckzuck übern Zaun” singen und in die Äste greifen und “ein jeder aber kann das nicht, denn er muss aus Hamburg sein” mit fröhlichem Lokalpatriotismus schmettern, die Hosentaschen voller Äppel, das hat schon was, das kann man ja auch einmal zugeben.

Wie es übrigens auch etwas hatte, als dieses Lied vor ein paar Wochen auf einem Straßenfest in unserem kleinen Bahnhofsviertel gesungen wurde, von einem Kinderchor aus einer Kita und einer Vorschule hier. Da standen zehn, zwanzig Kinder auf der Bühne, alle etwa fünf Jahre alt. Kinder aus etlichen Nationen, mit verschiedenen Hautfarben und verschiedenen Hintergründen (“Ach was”, möchte man da als literaturaffiner Mensch kurz und loriotsicher zwischenrufen, schon klar). Und wo auch immer die Kinder oder ihre Eltern oder Großeltern herkamen, aus München, Rio, Danzig oder sogar aus Bremen, jetzt sind sie eben aus Hamburg und singen auf Plattdeutsch das Lied von dem Jung mit dem Tüdelband und von der Deern mit dem Eierkorv, weil das hier nun einmal dazugehört. Es gibt auch schlechtere Traditionen in der Stadt.

Das Lied wurde 1917 im Bieber-Café zuerst aufgeführt, das war bei uns um die Ecke, im Bieber-Haus gleich neben dem Bahnhof. Die Gebrüder Wolf wurden später von den Nazis verfolgt, einer starb im Lager, einer floh nach Shanghai. Das Bieber-Café, meines Wissens war es ein Tanzcafé, gibt es längst nicht mehr, aber im Bieber-Haus wurden bis vor einiger Zeit die vielen Menschen betreut, die in den letzten Monaten vor anderen Regimen und vor Kriegen wiederum zu uns geflohen sind. Und die Kinder neulich sangen das Lied nur ein paar Meter weiter. Man merkt manchmal, wie die Geschichte Pointen setzt und Fäden durch die Jahrzehnte spinnt.

Gelesen – Petra Gust-Kazakos: Ganz weit weg – Leselust und Reisefieber

Petra Gust-Kazakos ist vielleicht von ihrem Blog bekannt, es ist dieses hier. Sie hat ein Buch über Reisen und Bücher geschrieben, ich habe es auf der Zugfahrt von Hamburg nach München gelesen, was natürlich, bei aller Bescheidenheit, ein äußerst cleverer Schachzug von mir war. Denn besser kann ein Buch für so eine Zugfahrt in Länge und Inhalt kaum passen, machen Sie das also ruhig nach.

Allerdings hatte die Lektüre auch Nachteile, die sollen hier nicht verschwiegen werden. Denn es geht in dem Buch um andere Bücher, und ich bin leider äußerst anfällig für die bei solcher Lektüre entstehenden Wünsche. Weswegen jetzt noch rund zehn weitere Titel auf meiner ohnehin ellenlangen Buchwunschliste stehen, es ist wirklich schlimm.

Und wieder gemerkt: Ich habe eine seltsame Schwäche für Sekundärliteratur. Ich lese ausgesprochen gerne, was andere über Bücher schreiben und an ihnen herumerklären, wenn sie Geschichten dazu erzählen und Hintergründe schildern. Ich habe dabei gar keinen Ehrgeiz, etwas zu lernen, ich finde es tatsächlich einfach unterhaltsam. Und ich lese so etwas sogar so gerne, dass ich es so gut wie nie dazu kommen lasse, weil ich sonst vermutlich gar keine Romane und Erzählungen mehr lesen würde, um die es doch eigentlich immer geht. Romanführer und dergleichen fallen für mich klar unter Suchtmittel.

Vom Zerstreuen der Sorgen

Kennen Sie das Gefühl, vollkommen unnötiger Weise Angst vor etwas Neuem gehabt zu haben, vor einer Änderung, vor einer Herausforderung? Natürlich kennen Sie das, wir alle kennen das gut. Denn wir neigen dazu, uns lieber ein paar Sorgen mehr zu machen, selbst wenn sie vermutlich eher irrational sind. Das fühlt sich immer noch tausendmal besser an, als allzu sorglos in irgendein Unheil gerannt zu sein, nicht wahr? Wir sind so. Es gibt so ein unangenehmes Trottelgefühl, irgendein Risiko nicht bedacht zu haben, frohgemut gegen irgendeine Wand gelaufen zu sein. Ganz komisch, unberechtigte Sorgen fühlen sich lange nicht so dumm an wie unberechtigte Freuden. Die Bilanz nach jedem großen Schritt fühlt sich wesentlich sauberer an, wenn wir uns vorher ordentlich gefürchtet haben.

Und man findet wohl nie im Leben das rechte Maß, man kann sich nie leicht entscheiden, welche Dimension von Sorge die genau richtige ist. Also man selbst kann das für sich nicht. Andere können das manchmal schon für einen. Ein kurzes Gespräch unter Freunden und zack – alle Sorgen und Bedenken weg. Das fühlt sich sehr gut an, jemandem so helfen zu können, man sollte das oft versuchen, es macht wirklich Spaß, wenn man Sorgen wegfliegen sieht. Ich hatte da gerade ein Gespräch mit einem Sechsjährigen, einem Kumpel meines Sohnes. Der steht gerade vor seiner Einschulung, und da macht man sich natürlich Gedanken. Da hat man vielleicht auch ein paar Befürchtungen. Schule, da hört man ja so viel! Er sagte: “Vor Mathe habe ich keine Angst. Mathe ist leicht, Mathe ist ja nur Rechnen. Aber Mathematik – da wird es bestimmt richtig schwer.”

Und da habe ich seine Sorgen mal eben zerstreut, es kostete mich nur einen Satz. Wenn es doch bloß immer so einfach und klar wäre.

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)

Was schön war

In meiner aktuellen Versuchsreihe, asiatische Bratnudeln so hinzubekommen, dass sie so junkfoodmäßig gut wie am Imbiss oder sogar noch besser schmecken, habe ich einen Zwischenerfolg mit einem Bratnudelrezept aus dieser App (nein, keine bezahlte Werbung), in der die Sauce nämlich aus  2 TL Reisessig, 2 TL Honig, 4 EL Sojasauce und 2 EL Sesamöl besteht. Sesamöl, darauf war ich noch nicht gekommen, Sesamöl bringt die Sache deutlich nach vorne. Manchmal ist es ja einfach.

Aber es geht womöglich auch noch besser. Ich brate weiter.

Krückstockgefuchtel

Früher war nicht alles besser, früher gab es aber einiges noch nicht, das wird man ja noch feststellen dürfen. Und vielleicht ist es ohnehin spannend, ein wenig mehr Aufmerksamkeit (fast hätte ich Achtsamkeit geschrieben, so weit kommt es noch, Maximiliano Buddenbohmelho, Gott bewahre!) auf die kleinen Änderungen im Alltag zu richten, vielleicht mache ich das jetzt öfter, man will doch merken, wie die Gegenwart einen allmählich überrollt.

Vermutlich betrifft die im Folgenden geschilderte Form des Genervtseins von speziellen Phänomenen der Gegenwart noch gar nicht so viele Menschen, sie ist mir aber in letzter Zeit gleich zweimal aufgefallen. Ich hatte das hier schon einmal ansatzweise, in den Bergen von Südtirol gab es eine Fortsetzung.

Bäume auf dem Vigiljoch

 

Da sind wir mit der Seilbahn auf einen Berg gefahren, in ein hochgelegenes Wandergebiet, bekannt für uralten Baumbestand, flechtenbehangene Lärchen, sehr schön und märchenhaft, wirklich bemerkenswerte Bäume. Eine autofreie Zone, Naturschutz und alles, da geht man hin, wenn man seine Ruhe haben will. Und dort, ausgerechnet über diesen wirklich entlegenen Waldwegen, ließ jemand eine Drohne über uns fliegen. Nicht speziell über uns, aber doch über den paar Wanderern im Gebiet und damit immer wieder auch über uns. Ob man nun zwischen den Bäumen stand oder am Seeufer entlangging oder über eine Alm, immer wieder war dieses Ding in mäßiger Höhe hinter uns her. Eine motorisierte Drohne mit beständigem Surren, ziemlich laut sogar, ein Geräusch, das man unmöglich romantisieren kann, wir sind hier ja nicht bei Star Wars.

Und wenn man da so in prächtigster Landschaft steht, umgeben von uralten Bäumen, noch älteren Bergen und seltenen Tierarten wie etwa dem Auerhahn, den man zwar nicht sieht, von dem man aber doch weiß, dass er dort noch vorkommt und man ihn also immerhin jeden Moment sehen könnte, wenn man so naturbegeistert, wie man es als überzeugter Städter eben sein kann, sich entschlossen erholungswillig in grandioser alpiner Kulisse umsieht, dann ist das Allerletzte, was man braucht, ein permanent brummender Motor mit Flügeln, der einen von oben verfolgt, wohin man auch geht. Das Erlebnis wird damit ziemlich gründlich versaut.

Weswegen wir auch eher nicht nach Auerhähnen oder Gämsen Ausschau hielten, sondern zu viert kreative Gewaltphantasien über Drohnenabwehr austauschten. Man kann da auf viele Ideen kommen, allerdings sind sie durchweg nicht recht anwendbar, wenn man nur Wanderstöcke und Tannenzapfen zur Hand hat, auch wenn man damals noch so viel MacGyver gesehen hat.

Gab es in Deutschland wohl schon erste Fälle von mit Steinen oder großen Ästen oder sonstigen rustikalen Mitteln vom Himmel geholten Drohnen, weil jemand einfach seine Ruhe wollte? Das wird auf jeden Fall so kommen.

Komm an den Tisch …

Ich habe in Südtirol zehn Tage lang im Garten am Hang geschrieben, an einem kleinen Tisch neben dem Pool, in dem sich die Söhne bemerkenswert ausdauernd amüsierten. Da saß ich auf einem wackeligen alten Stühlchen aus morschem Holz, mit abblätternder roter Farbe und verrostetetem Gestänge. Der Tisch stand unter einem jungen Obstbaum, ein längst sonnenverblichenes Wachstuch lag darauf und WLAN gab es ganz und gar nicht, nur meinen Text, das kann tatsächlich auch einmal hilfreich sein.

Bauernhoffassade in Lana

 

Und weil hin und wieder kaum zu deutende Musik von irgendwo vorbeiwehte, hatte ich zehn Tage lang immer mal wieder den ollen Degenhardt im Kopf, mit “Komm an den Tisch unter Pflaumenbäumen”, das ist ein Lied, bei dem man den weiteren Text auch besser nicht mehr nachlesen sollte, du meine Güte.

Aber es ist und bleibt doch ein schöner Anfang: „Komm an den Tisch unter Pflaumenbäumen, der Hammel ist gar überm Lauch. Paprika soll uns im Halse brennen, der reife Kartoffelschnaps auch …“ – den kann man sich ja ein paar Tage lang ausleihen, um einer Nostalgie zu frönen, die sich auf etwas bezieht, was man selbst gar nicht erlebt hat. Leihnostalgie, geborgte Romantik, warum auch nicht, dazu ist Musik ja da, auch nur ganz vage vorüberwehende. Man hat ja auch nicht neben Alice gewohnt oder jemals irgendwas in Lindenbäume an Brunnen geschnitzt, nicht wahr, und dennoch erwischen die Lieder den einen oder anderen.

Zehn Tage lang dachte ich zwischendurch jedenfalls immer wieder, dass ich vermutlich noch nie im Leben an einem Tisch unter Pflaumenbäumen gesessen habe, schon gar nicht mit Freunden, schon gar nicht mit Hammel und Paprika und Schnaps, solche Landlustepisoden habe ich immer eher vermieden. Und wenn man ausreichend nostalgisch eingestimmt ist, dann denkt man so etwas mit ein wenig Wehmut, denn es gibt auch eine Nostalgie des Nichterlebten, in der man sich natürlich mit jedem Lebensjahr mehr und länger suhlen kann. Ein paar Tage lang macht das auch durchaus Spaß. Und dann ist man aber froh, wenn man in diesem Gefühl nicht hängenbleibt.

In einem anderen Teil des Gartens stand ein alter Pflaumenbaum, stattlich und üppig tragend. Der Boden darunter voller gefallener Früchte, mit Wespengewimmel und süßlich faulem Geruch. Ob man da nun unbedingt sitzen muss – ich weiß ja nicht. Und Hammel schmeckt eh nicht jedem, sagt man.

Geschrieben im erstaunlich herbstlichen Hamburg, mit Regen vor dem Fenster, am eigenen Schreibtisch. Und das ist auch gut so.

Gelesen – Florian Wacker: Albuquerque

Ein schön gestaltetes Buch, endlich mal wieder. So eines, das man richtig gerne in die Hand nimmt, das sich gut anfühlt. Schmal aber wertvoll, was dann auch äußerst geschmackvoll zu den enthaltenen Kurzgeschichten passt.

Kurzgeschichten mit, das muss man gleich lobpreisen, Heldinnen und Helden, die nicht Schriftstellerinnen, Werbetexter, Fotografen, Künstler oder Onlinemarketingirgendwasse sind, sondern Busfahrer und Straßenbauarbeiter und Damen an der Hotelrezeption und Menschen auf der Flucht. Geschichten jenseits der Schreibtischwelt also. Das gibt es immer noch zu selten in der deutschen Gegenwartsliteratur, jedenfalls in dem Teil, den ich mitbekomme. Man denkt ja immer nur in Ausschnitten, die können auch täuschen, schon klar.

Es sind Geschichten in einer hard-boiled Tradition, deren Ursprünge man gleich zu erkennen meint, wobei ich über so etwas aber nicht lange nachdenke, das hält nur vom Lesen ab. Ich bin hier nicht im Studium und muss den Aufbau der Geschichten also nicht mit Herrn Carver abgleichen. Eher härtere Geschichten von eher größeren Schatten über Alltagssituationen mit herben Helden jedenfalls. Ich mag das, große Empfehlung, sehr gerne gelesen.

Das Bild im Hintergund von Sohn II, Ehre, wem Ehre gebührt, ich habe es nicht so mit dem geduldigen Ausmalen.

Auf Amazon stellt ein Leser in einer Rezension etwas überrascht fest, dass die Geschichten nicht pointenorientiert sind – als ob Kurzgeschichten zwingend mit einem heiteren Knaller enden müssten. Nanu. Es kann schon angemessen und fein sein, wenn das nicht so ist.

Zu lesen ist das Buch vorzugsweise an einem Tag mit eher schlechterem Wetter. An einem Tag, an dem man morgens zum Himmel guckt und dann etwas resigniert den Kopf schüttelt, die gibt es hier ja in jeder Jahreszeit, diese Tage, der Spätherbst wäre aber doch ideal. So ein Tag etwa eine Woche vor dem ersten Schnee, an dem man ihn schon zu riechen meint. Aber es ist nur so eine Ahnung und man weiß eigentlich nicht recht. Siehe hier.

Ich habe das Buch unter einem Dachfenster gelesen, auf das der friesische Nordseeregen trommelte, das war auch gut.

Gelesen – Sarah Kirsch: Aenglisch

Ich mag ja, das darf man gar nicht laut sagen, die Prosa von Sarah Kirsch lieber als ihre Gedichte. Schlimm! Ich habe die Prosa-Bände mittlerweile alle verschlungen. Eine schwer zu erklärende Liebe, da passiert nämlich eher nichts in den Texten. Es gibt keine treibende Handlung, keine umwerfenden Erkentnisse, keine bewegenden seelischen Entwicklungen und der Stil ist zwar von einer schrulligen, liebenswerten Eigenart, aber auch nicht von einer stilistischen Brillanz, die einen als Leser umnietet und sprachlos beeindruckt zurücklässt. Sarah Kirsch geht einfach „spazoren“, in diesem Fall in England, an irgendeinem Tag im „Septembrius“, sie freut sich über Wasserkocher in Hotelzimmern, über das Wetter und immer äußerst kenntnisreich über Büsche und Bäume und nebenbei auch über excentric people. Ich könnte es stundenlang lesen, ich finde es ungeheuer entspannend, dabei aber überhaupt nicht belanglos. Die Seiten hätten auch als Blog gut funktioniert, denkt man bei der Lektüre so nebenbei. Ein Blog, das man gerne abonniert hätte.

Sie ist, das merkt man schnell, sehr eigen, aber auch recht oft sehr zufrieden, eine vermutlich gar nicht so häufige Mischung. Sie ist den Mitmenschen in der Erscheinungsform als Gesellschaft eher nicht zugewandt, aber sie wird nicht aggressiv. Das ist eigentlich schon ein beachtliches und feines Kunststück. Man möchte beim Lesen dauernd “Siehste, geht doch!” murmeln, denn man kann eben auch mit allem nicht einverstanden und eher auf der Flucht sein, ohne dabei dauernd Gift und Galle zu spucken, wie es gerade so en vogue ist.

Der Band enthält einige Abbildungen ihrer Handschrift, das ist immer interessant, so etwas zu sehen.

Ferner enthalten ein Nachwort von Frank Trende mit einer wunderbar passenden und ganz dezenten Spukgeschichte über ihre Beerdigung, das hat mich alles gefreut. Ein dünnes und schön gestaltetes Buch, das kann man in einem Bissen weglesen, vorzugsweise selbstverständlich in einem Garten oder in einem Park.

Vor dem Husumer Bad

Während ich heute völlig außerplanmäßig beim Zahnarzt in Husum war, ging die Familie mal eben ins Husumer Schwimmbad. Aus organisatorischen Gründen, die zu erklären jeden vernünftigen Rahmen sprengen würde, hatte die Herzdame sowohl meine Badehose als auch die Autoschlüssel mit hineingenommen, daher saß ich nach dem Zahnarztbesuch stundenlang vor dem Schwimmbad und wartete, dass die Familie irgendwann wieder herauskommen würden. Ich hätte natürlich auch irgendwohin gehen können, auf einen Kaffee oder so, aber einem bestimmten Zahn und mir war gerade nicht so und ich hatte einfach keine Lust. Auf gar nichts. Also saß ich da eben herum.

Das Schwimmbad von Husum ist ein flacher Betonklotz mit ein paar roten Dekomäuerchen daran, damit es nicht ganz so trostlos aussieht. Nicht sehr groß, nicht sehr klein, Schuhkartonarchitektur, die den Zweck erfüllt. Spiel, Spaß, Sport, Sauna, das steht da dran, in bunten Buchstaben auf einem Schild neben dem Eingang.

Vor dem Eingang stehen ein paar Bänke. Sonst ist da ein Parkplatz, auf dem einige Bäume stehen, am Rand gibt es noch Fahrradständer. Das war es. Da ist eigentlich überhaupt nichts, da ist auch nicht viel Verkehr, da ist es ruhig. Man kann von da aus die Stadt nicht sehen, man sieht auch sonst nichts, was irgendwie interessant oder reizvoll wäre. Ab und zu kamen Menschen mit nassen Haaren aus dem Bau. Der Himmel war mild und grau, die Bäume waren normalgrün, die Gehwegplatten sauber gesetzt, es war nicht warm und nicht kalt.

Das war wahnsinnig entspannend, da zwei Stunden zu sitzen. Mit Blick auf nichts, mit überhaupt nichts zu tun und mit nichts im Kopf. Das waren mit Abstand die erholsamsten zwei Stunden der letzten Tage.

Das Schwimmbad von Husum von außen: Gerne wieder.

 (Der Rest der Familie fand es innen auch gut. Wenn man auf Eiderstedt ist und unaufgeregt in ein Schwimmbad möchte, also nicht so schick, hip und irre teuer wie in Sankt Peter-Ording, Husum ist wirklich eine gute Wahl.)