Zwischenstand

Wir haben, wie berichtet, das Jahresende genutzt, um die Wohnung wieder einmal umzubauen und etwas zu renovieren. Diese Wohnung, der ein Zimmer fehlt, nicht aber Grundfläche, eine etwas spezielle Situation. Wir können die Wände nicht verschieben, wohl aber die Möbel, wir haben da bereits eine gewisse Erfahrung. Gefühlt hat hier jedes Möbelstück schon an jeder nur irgend denkbaren Stelle gestanden. Und wenn uns gar keine Möglichkeiten mehr einfallen, tauschen wir einfach ein paar Möbel gegen neue aus, der eine oder andere wird das aus der eigenen Wohnung kennen. Man optimiert so vor sich hin.

Wir haben das Kinderzimmer gegen das Schlafzimmer getauscht, die Kinder haben jetzt deutlich mehr Platz, wir weniger. Das ist allerdings in Ordnung, denn die Kinder spielen gerne und viel auf dem Boden, die Herzdame und ich eher nicht. Das Schlafzimmer ist jetzt so kuschelig, dass man es gar nicht mehr verlassen möchte, auch dieser Artikel entsteht im Bett, so etwas gab es hier früher nie. Was bin ich wieder wandlungsfähig! Immer flexibel und beweglich bleiben, zumindest im Kopf, das ist ganz wichtig. Körperlich gilt das allerdings nur noch mit Einschränkungen, das merken wir gerade an den neuen Hochbetten der Söhne. Sie haben jetzt jeder so ein Hochbett mit Schreibtisch und Schrank und Regal drunter, jeder hat sozusagen seine eigene Insel im Raum, wenn sie schon keine eigenen Zimmer bekommen. Was ich so schlimm übrigens nicht finde, wir hatten damals ja auch keines, wir hatten überhaupt nichts.

Sie haben also neue und ziemlich hohe Betten, wir haben erst nach dem Aufbau gemerkt, dass wir Erwachsenen da oben kaum noch in die Lager hineinkommen. Also wir kommen schon hinein, es hat aber etwas von einer Zirkusnummer. Sie wissen schon, diese Schlangenmenschen, die sich in merkwürdig kleine Behältnisse sortieren können. Und wenn wir oben sind, können wir uns nicht mehr aufrichten, ohne an die Decke zu dengeln, es ist tatsächlich etwas kompliziert. Und es erfordert etwas Vorbereitung, sich von dort wieder hinunter zu bewegen, es will dabei gründlich überlegt sein, welcher Körperteil zuerst zu bewegen ist. Seit dem ersten Absturz überlege ich das noch etwas gründlicher. Die Söhne haben diese Probleme natürlich nicht, die turnen in ihrem Raum jetzt so munter herum, als hätten wir ein perfektes Biotop für ihre Altersphase geschaffen.

Um zwei Zimmer einer Dreizimmerwohnung gegeneinander zu tauschen und sie auch noch zu streichen, muss man jedenfalls, so viel noch als Erfahrungsbericht, sämtliche Möbel aus den beiden betroffenen Zimmern in den Rest der Wohnung schieben, was dazu führt, das dort garantiert etwas umfällt, wenn sich jemand bewegt. Wir haben zwei sehr bewegliche Söhne, den Rest kann man sich denken. Es war ein wenig herausfordernd.

Die Herzdame hat sich während der Umbauphase in einen immer ausgeprägteren Inneneinrichtungsrausch gesteigert. Sie las bis spät in die Nacht Wohnmagazine, schlief mit Farbfächern in der Hand ein und sah alles in dieser Wohnung, lebendes Inventar eingeschlossen, mit einem ganz neuen und beeindruckend entschlossenen Blick an. Ich hatte am Schreibtisch dauernd Angst, dass sie mir irgendwann im Vorbeigehen eine Husse überwerfen würde, um dann resolut “So schon besser!” zu verkünden und sich dann immer weiter tatkräftig dem nächsten Stück mit Optimierungsbedarf zu widmen.

Mein Schreibtisch ist wieder einmal das letzte noch unbewegte Teil der Wohnung, ich habe ihn, immer wieder die Ballade von John Maynard murmelnd, bis zum Schluss eisern umklammert. Eventuell wandert aber auch er am Wochenende an einen neuen Platz. Dann würde ich zum ersten Mal seit acht Jahren wieder regelmäßig bei Tageslicht schreiben – was mag das für die Texte auf dieser Seite ausmachen? Wird es hier wonnig-sonnig an jedem Tag mit blauem Himmel? Oder färbt jede vorbeiziehende Wolke die Inhalte grau und betrüblich? Denke ich beim Bick auf die Kirchturmuhr vor dem Wohnzimmerfenster unentwegt über Zeit und Vergänglichkeit nach? Oder bringt mich der Spielplatz vor der Kirche eher wieder auf Familiengeschichten? Ich kann mich tatsächlich gar nicht erinnern, wie es ist mit Aussicht zu schreiben. Spannend.

Falls hier aber in den nächsten Tagen immer noch erstaunlich wenig passiert – alles okay. Ich schiebe vermutlich nur gerade wieder irgendwas durch die Wohnung statt zu schreiben. Es kann sich nur noch um Wochen handeln.

 

Sohn II mit Luftballons im Fahrstuhl

Auch schön, wenn man draußen herumläuft und ebenso lange wie erfolglos nach interessanten Bildern sucht, nur um zu Hause im Fahrstuhl festzustellen, dass das Motiv die ganze Zeit neben einem herläuft.

Sohn II mit Luftballons im Fahrstuhl

 

Esoterisch-philosophische Deutungen auf Kalenderspruchniveau bieten sich an, aber selbstverständlich unterlassen wir das, wo sollte das auch hinführen. Jeder denke sich einfach irgendwas, es wird schon passen.

 

The same procedure

Kein Silvester ohne dieses Bild, eh klar. Die Erinnerung an eine norddeutsch-ausgelassene Silvesterparty in einem Hamburger Vorort, es ist bereits viele, viele Jahre her. Deutlich erkennt man die sogenannte Hanseaten-Ekstase in meinem Blick. Denn man muss gerade die süddeutschen und auch rheinländischen Leser gelegentlich daran erinnern: wir hier oben, wir sind gar nicht so. Wir können auch ganz anders.

Hanseaten-Ekstase

Gleicher Abend, einen Meter weiter: Die Herzdame, liebreizend wie immer.

Die Herzdame

Wir wünschen einen guten Rutsch und ein wundervolles Jahr 2016 – bewahren Sie unbedingt Haltung!

Bis nächstes Jahr. Ein Jahr, in dem – wenn alles klappt – mehr getanzt und mehr geschrieben wird. In diesem Jahr habe ich nur eine einzige Kurzgeschichte verfasst, das ist ein wenig dünn, ist es nicht? Es ist. Ich habe also gewissermaßen einen Vorsatz, das ist doch einmal etwas anderes, zu so etwas neige ich eigentlich gar nicht.

Ich werde dazu meinen oder unseren Alltag wiederum etwas umbauen müssen, das passt dann bald hoffentlich nett zur gerade komplett umgebauten Wohnung. Wobei es hier immer noch eher nach Baustelle als nach Wohnmagazin aussieht. Na, die Manuskriptseiten sehen auch noch eher nach Notizensammlung als nach Buch aus. Man schraubt so vor sich hin, hier wie da. Wie auch immer, es bleibt alles in Bewegung. Die Herzdame beginnt am ersten Werktag des Jahres einen neuen Job, Sohn II kommt im Sommer in die Schule, Sohn I schon in die dritte Klasse, Veränderungen alle paar Meter.

Und was auch immer dabei herauskommt: ich werde dann berichten.

 

Noch ein Dank

Weihnachtspost  kam noch von Brigitte D und von der Sanddorndiva, ich danke herzlich und hoffe wirklich, ich habe niemanden vergessen. Es war und ist hier wegen Wohnungsumbau etwas chaotisch, to say the least.

Weihnachten war aber auch wegen der Leserinnengeschenke für die Söhne wieder großartig, sie wissen das beide sehr zu schätzen. Wie in jedem Jahr lagen diese Geschenke auch diesmal wieder extra, damit dieser doch sehr besondere Umstand auch von den Kindern angemessen gewürdigt werden kann, diese Gaben gehen hier also nicht im Rauschen unter.

Gelesen, vorgelesen, gesehen, gehört im Dezember

Ich habe im Dezember bemerkenswert wenig gelesen, das liegt an der Rubrik „Gesehen“ und erklärt sich also weiter unten.

Alex Capus: Léon und Louise

Ich bin noch gar nicht allzu weit gekommen, die Fluffigkeit seines Schreibstils kann ich dennoch schon wieder preisen. Und ich meine das durchaus als Kompliment.

Kilian Kleinschmidt: Weil es um die Menschen geht

Da gab es neulich ein viel beachtetes Interview mit Kilian Kleinschmidt, dem ehemaligen Leiter eines gigantischen Flüchtlingscamps. Ich habe mir daraufhin auch sein Buch besorgt und durchgelesen. Er erzählt darin von seinem Leben als Katastrophenhelfer im Auftrag der UNO, weiß Gott kein gewöhnlicher Karriereweg. Nur Chuck Norrris und Kilian Kleinschmidt konnten diesen Weg genau so gehen, wie er nicht müde wird zu betonen, wenn auch ganz ohne Erwähnung des Schauspielers. Von der kaum zu überlesenden Machohaftigkeit abgesehen (die im Buch allerdings auch erklärt wird, so unreflektiert ist es nun auch wieder nicht), gibt es interessante Hintergründe zu den Themen Flucht, Verfolgung, Krieg und Nothilfe, es handelt sich natürlich um Erfahrungen, die man sich als gewöhnlicher Schreibtischmensch kaum vorstellen kann. Es sind viele Absätze enthalten, die wirklich erhellend sind, und die man sicher auch mit Gewinn lesen wird, wenn man in irgendeiner Form hier mit Geflüchteten zu tun hat.

Vorgelesen

Was im Dezember vorgelesen wurde, kam schon in den Weihnachtsmedien vor. Die waren zwar nicht ganz vollständig, aber was fehlte, wird einfach im nächsten Jahr im Dezember ergänzt, das ist ja auch quasi gleich. Bis dahin aber Pause von Weihnachten. Was gab es noch?

Tjibbe Veldkamp & Kees de Boer (Illustrationen): Bert und Bart retten die Welt – aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf

Ein großartiges Buch. Über zwei Jungs, die der Mutter nicht lieb genug sind, was man aber verstehen muss, da sie gerade vor größeren Aufgaben stehen, immerhin ist die Welt mit Schusswaffen vor einer Alieninvasion zu retten. Was die Mutter selbstredend nicht recht versteht, sie ist zu erwachsen und auch zu lieb, sie ist sogar so lieb, dass sie Schmetterlinge als Haustiere hält, es ist kaum auszuhalten. Es gibt sehr amüsante Ideen im Buch, die man als Elternteil ganz hervorragend klauen kann. Der Gedanke etwa, dass nicht ausreichend liebe Jungs zum Beweis ihrer freundlichen Gesinnung Bäume umarmen und knuddeln müssen, bevor sie wieder ihre Waffen zum Spielen bekommen – die Söhne kriegen sich vor Gruseln gar nicht wieder ein. Auch die Variante, dass nicht zureichend liebe Kinder zur inneren Befriedung unbedingt Elfenbilder malen müsen – ganz großartig. Im Buch malt einer der Jungs dann ein Meisterwerk mit dem Titel “Die Rache der Zombie-Elfen”, darüber lachen die Söhne immer noch. Wir empfehlen das Buch also wirklich einigermaßen dringend. Wobei ich beim Vorlesen Bert und Bart gegen die Vornamen der Söhne eingetauscht und aus der Mutter die Herzdame gemacht habe, das hat zum Spaß natürlich erheblich beigetragen.

Gesehen

Downton Abbey

Selten genug, dass ich eine Serie sehe, hier bin ich immerhin schon bei der zweiten Staffel. Die rauschend positiven Kritiken kann ich zwar nicht ganz nachvollziehen, ich finde die Story doch eher auf Groschenromanninveau, besonders wenn es um die ach so intrigante Dienerschaft geht, meine Güte. Aber ich bin sehr begeisterter Ausstattungsgucker, ich mag die Möbel und die Mode und die Autos, das ist alles ganz hinreißend. Hinreißend ist auch Michelle Dockery als Lady Mary und wunderbar sind etliche andere Hauptfiguren, etwa die umwerfende Großmutter oder der Butler. Wie überhaupt alle seltsam gut spielen, nach ein paar Folgen wundert man sich – da muss doch mal einer etwas abfallen, vergleichsweise gekünstelt wirken, weniger überzeugen? Aber das zieht sich tatsächlich durch, ich finde die Serie bis in die kleinste Nebenrolle hervorragend besetzt. Und es sind noch etliche Folgen übrig, wie nett. Das könnte sich allerdings negativ auf den Buchkonsum im Januar auswirken. Schlimm.

Hotel Transsilvanien Teil 2

Schon im November im Kino gesehen. Teil I kannten wir nicht, das machte aber nichts. Ein sehr schneller Film, mir sind diese modernen Kinderfilme alle zu schnell, aber das fällt natürlich unter Krückstockgefuchtel, das ist egal, ich bin ja nicht die Zielgruppe. Die Tochter von Graf Dracula heiratet einen Menschen und bekommt einen Sohn, von dem man nicht recht weiß, ob er ein Vampir oder doch leider nur ein Mensch ist. Der Großvater hofft selbstredend auf Vampirnachwuchs, aber die Zähne sehen nicht richtig aus und fliegen kann das Kind auch nicht …

Sohn I: “Ich fand den Film genial. Zu gruselig war er auch nicht, das ist ja alles nur gezeichnet. Für Kinder ab sechs Jahren müsste das schon gehen. Der Film ist mehr lustig als gruselig.”

Sohn II: “Ich fand den Film prima. Und ich möchte mich bei meinen Eltern bedanken, dass sie uns ins Kino eingeladen haben und dass es Popcorn gab.” [Die Söhne spielen zur Zeit gelegentlich ausgesucht höfliches Verhalten, das Spiel hat faszinierende Folgen.]

SOS – Ein spannender Sommer

Noch ein Kinderfilm, den haben wir auf DVD gesehen, der Film ist schon etwas älter. Etwas mehr zum Film gibt es hier. Das ist ein sich angenehm langsam entwickelnder Krimi, der Film eignet sich gut auch für kleinere Kinder, die das Genre Krimi noch nicht kennen. Auch die Spannung passt schon für Kleinere. Sehr beeindruckend dürfte für deutsche Helikoptereltern die Freiheit der Kinder in den norwegischen Fjorden sein, die Söhne hier waren davon jedenfalls sehr angetan: “Die fahren da den ganzen Tag mit dem Boot herum! Alleine! Irgendwohin!”

Gehört

Ich habe im Dezember dauernd Sachen gehört, zu denen es leider keine schicken Videos auf Youtube gibt, das ist auch schlimm. Hier immerhin die Resterampe:

Gisbert zu Knyphausen: Kräne

Den Herrn haben wir bei dem Release-Konzert zu “Unter meinem Bett” (Sohn I schrieb hier über die CD) live gesehen, dann habe ich hinterher noch etwas weiter seine Sachen gehört und die Kräne ziemlich schön gefunden.

Und daraufhin liefen hier wieder ein paar mehr deutschsprachige Titel, und wenn so etwas läuft, dann will immer jemand “Rosalinde” hören. Weil die ganze Familie da den Text kann, weil wir das völlig enthemmt alle mitsingen.Warum auch immer, das weiß gar keiner mehr so ganz genau. Es war auf jeden Fall einmal das Lieblingsstück von Sohn II und lief deswegen tagelang immer wieder und wieder. Wie auch immer, das ist hier seit Jahren im Standardrepertoire.

Johannes und Eckart Strate: Rosalinde

“The Notting Hillbillies”: Your own sweet ways

Von der Gruppe hatte ich bis vor kurzer Zeit noch nie gehört, da spielt allerdings ein gewisser Mark Knopfler eine Rolle, der Name kommt einem doch irgendwie bekannt vor. Ein schönes Winterlied. Also musikalisch, auf den Text habe ich noch gar nicht geachtet. Man kommt ja zu nix.

Sarah Vaughan: Misty

Das ist schön, dass sie hier vor dem Song etwas spricht, denn dann merkt man noch einmal dieses Whow, das man unweigerlich denkt, wenn sie die erste Zeile singt.

Fiona Apple: Why try to change me now

Das Stück ist gar nicht speziell für sie geschrieben worden. Erstaunlich.

Ana Moura: A case of you

Von Zeit zu Zeit höre ich Fado gern – wobei das hier kein Fado ist. Aber doch unverkennbar eine Fado-Sängerin. Das Lied ist übrigens von Joni Mitchell.

Das kann man natürlich mit dem Original vergleichen:

Oder man vergleicht mit Diana Krall. Youtube ist super, aber das sagte ich womöglich schon einmal irgendwann.

Frohe Weihnachten!

Das Artikelbild kann in diesem Jahr natürlich gar nichts anderes zeigen als den bewusst weihnachtsrot gewählten Gips von Sohn II, der hier eindrucksvoll vorführt, dass man sich in jedem Zustand irgendwie sinnvoll einbringen kann.

Sohn II hält Kerze

Machen Sie es sich schön, seien Sie nett zueinander und zum Rest der Welt!

Weihnachtsmedien

Es gibt auch ein Lied, das ich zu dieser Jahreszeit hier nur für mich laufen lasse. Das hat mit der familiären Weihnachtsseligkeit und der alles durchdringenden Marzipansüße des Dezembers nichts zu tun, da geht es um etwas ganz anders – wohl aber geht es auch um Weihnachten. Es ist das Lied zum 24. Dezember vom hochgeschätzten Manfred Maurenbrecher. Man kann es ganz hervorragend abends hören, wenn die Kinder längst im Bett sind und von Schnee und Geschenken träumen. Wenn man als Vater bei Durchsicht der E-Mails zur Erkenntnis kommt, dass das Problemvolumen des Jahres wider Erwarten noch längst nicht aufgebraucht ist. Ein Lied, um auf die allgemeine Chancenlosigkeit und auf das Weitermachen und das “Stets bemüht” und das immerwährende Dennoch im Alltag anzustoßen. Und natürlich darauf, dass alles eine Geschichte ist.

Bei uns ist am ersten Urlaubstag ein Heizkörper von der Wand gefallen, am zweiten hat sich Sohn II einen Arm gebrochen. Zwischen den Jahren bauen wir die ganze Wohnung um, eine Wahnsinnstat mit ehrgeizigem Zeitplan nur begrenzter Aussicht auf Gelingen. Aber allgemein oder speziell: Am Ende der Nacht wird es doch wieder hell.

Und wenn man das zweimal oder dreimal gehört hat, dann geht auch wieder Frosty the snowman. Und all das andere Zeug.

Sankt Georg hilft: Zum Beispiel Markus von den Kirchenübernachtungen

Ich bin Markus Merz, seit 1985 wohne ich in Sankt Georg. Beruflich mache ich alles Mögliche, Texte, Fotos, Computer, Internet, Marktforschung, Marketing.  Zurzeit bin ich Koordinator für Notübernachtungen in der evangelischen Kirche Hamburg Sankt Georg/Borgfelde.

Markus Merz

Wir haben hier eine Kirche in Sichtweite vom Hauptbahnhof. Die Kirche ist nicht besonders gastlich, aber durch den Standortvorteil ist sie besonders gut geeignet für z.B. Flüchtlingsfamilien, die kurzfristig bleiben, sehr früh wieder aufstehen und früh einen Zug bekommen müssen. Und die Kirche ist immerhin beheizt. Das ist natürlich auch so eine Sache, wärmer als sechzehn Grad wird es hier drin nicht. Es ist eben ein riesiges Kirchenschiff. Aber es ist immerhin trocken, es ist halbwegs warm, es ist geschützt, man kann liegen. Und es ist ein relativ sicherer Raum.

Wir bieten Notübernachtungen, wir haben Matten auf dem Boden, Decken und heißen Tee. Und von den Helfern am Hauptbahnhof bekommen wir hier auch noch Versorgung, ein, zwei Kisten mit Sandwiches oder so. Das klappt manchmal, manchmal auch nicht. Wenn es gut läuft, werden die Flüchtlinge schon am Bahnhof erstversorgt, bevor sie hier herkommen. So sollte es jedenfalls sein.

Wir hatten hier in den letzten Wochen bis zu 75 Menschen pro Nacht.  Wenn es geht, nehmen wir Familien auf, mit Einzelreisenden wird alles wesentlich wuseliger im Kirchenschiff. Die größte Familie, die wir hatten, waren 28 Personen, eine komplette Sippe, die hier als gekapselte soziale Einheit ankamen. Aus Afghanistan oder Syrien. Ich weiß es gar nicht genau, wir haben auch nicht so viel Kontakt, mit vielen kann man nicht reden, da fehlen die Sprachkenntnisse auf beiden Seiten. Die Leute sind aber froh, wenn sie hier herkommen, wenn sie sich hinsetzen können, wenn sie etwas zur Ruhe kommen können. Sie sind froh, wenn wir ihnen Ruhe geben, Und der Punkt ist eben, wir sind keine sozialen Ansprechpartner oder Kellner, wir sind Helfer.  Wir fragen nicht ab, was sie wollen, wir bieten an, was wir haben. Wir versuchen, ihnen trotz der Situation ihre Würde zu lassen. Und wenn sie müde sind, dann gehen sie schlafen, meistens sehr schnell. Dann sitzen wir hier und passen auf. Wir betreiben sozusagen eine kleine Pension.

Teekannen

Wir haben 38 Leute auf stand-by. Je nach Motivation machen die eine Abendschicht,  eine Nachtschicht, eine Frühschicht. Bei voller Besetzung haben wir in der Abendschicht drei Leute, in der Nachtschicht zwei und in der Frühschicht drei bis vier. Im Moment sind wir auf Bereitschaft, die Flüchtlingszahlen haben stark abgenommen. Wir können die Kirche aber innerhalb einer halben Stunde bereitstellen, falls es erforderlich wird, und damit muss man rechnen. Man würde dann eine spontane Nacht mit zwei oder drei erfahrenen Helfern schaffen. Die Kirche ist komplex, man muss etwas Ahnung vom Gebäude haben. Die Technik hier erfordert Wissen, die Heizung, das Licht, die Küche etc.

Ich bin Koordinator, d.h. ich stimme mich mit dem Mitarbeiterkreis der Gemeinde und mit dem Hauptbahnhof ab . Ich helfe auch bei der Welcome-Soup und bringe häufig die Töpfe mit Suppe zum Bahnhof, dadurch kriege ich da die aktuelle Entwicklung ohnehin mit.

Schild Minztee

Man kann die weitere Entwicklung im Grunde nicht absehen, es ist wie an der Börse: wir gucken immer auf Zahlen, die sich schon entwickelt haben. Ich versuche aber auch nach vorne zu gucken, ich sehe mir die Zahlen von UNHCR an, ich versuche, etwas für Hamburg zu prognostizieren. Was sich irgendwann ereignen könnte. Aber das ist alles nur Theorie, reine Spekulation.  Es gab Nächte, da tauchten nachts um eins am Bahnhof noch hundertfünfzig Leute auf, es gibt auch Nächte, da taucht keiner auf.

Meine Projektkoordination läuft komplett über das Handy, das ist überhaupt mein erstes Projekt, das ich nur über Handy abwickele. Ich hab jetzt zwei Handys, eines ist nur zum Telefonieren, das andere für den ganzen Rest, Termine, Kalender, Mails etc. Ich habe mir Mailgruppen eingerichtet, viel läuft auch über Whatsapp und sehr viel über Facebook. Facebook ist eigentlich DAS Informationsmedium in der Willkommenskultur. Allein in Hamburg gibt es da über 25 Gruppen, die sich mit dem Thema beschäftigen, von Internetzeug bis Kleiderkammer. Alles mehr oder weniger erfolgreich, weil das Tool so geeignet nicht ist. Aber es haben eben alle.

Kirchenschiff

Ich mache das hier, weil ich eben so bin. Ich sehe ja die Nachrichten. Ich bin in gewissem Sinne auch patriotisch, gerade in Bezug auf meinen Stadtteil. Sankt Georg kann das, Sankt Georg schluckt das, Sankt Georg verarbeitet das. Das ist hier so, das wollen wir so.

Hier war früher ein Stadttor, ein paar Meter weiter, das war abends zu. In Sankt Georg waren dann die, die nicht mehr reinkamen, man muss auch die Historie im Sinn haben. Es war hier immer ein Stadtteil der Aufnahme und der Versorgung, wie auch Sankt Pauli. Und hier landen heute noch Menschen, die versorgt werden müssen.

Schild "Bitte bedienen Sie sich"

Für die Hilfsinitiativen hier im kleinen Bahnhofsviertel kann man weiterhin spenden. Für die Suppe, die den Geflüchteten am Bahnhof gereicht wird, für so elementar Wichtiges wie Trinkwasser und heißen Tee, für die Nachtquartiere, für etwas Hilfe auf dem Weg. Spendenbescheinigung auf Wunsch möglich! Vielen Dank.

 

Fremdgebloggt

Ich habe drüben beim Familienbetrieb im Adventskalender etwas über Erdmöbel geschrieben, die vermutlich einzige deutsche Band mit vernünftiger Weihnachtsmusik. Und ich werde daher den Rest des Tages schon wieder mit einem gewissen Ohrwurm verbringen, was soll man machen. Das könnte Ihnen natürlich nach der Lektüre auch so passieren, Sie sind gewarnt. Aber das Lied ist einfach zu und zu schön.

Bitte hier entlang: Ding ding ding dong.