Falls das noch jemand vormerken möchte, bitte:
Woanders – diesmal mit Fabian, Siri, Dieter Meier und anderem
Erich Kästners Roman Fabian erscheint endlich in der Originalfassung und das liest sich in der Besprechung so, als müsste man das gleich mal kaufen.
Siri in der Partnerschaft. Faszinierend. Gleich ausprobiert, da ist es natürlich praktisch, wenn einen die Kollegen eh schon lange für meschugge halten. Das macht es viel einfacher.
Dieter Meier hat ein Soloalbum, klingt interessant.
Isa hat Thomas Pletzinger und Tobias Schnettler zur Übersetzung von Graphic Novels interviewt.
Bilder: Frauen mit Haaren an Stellen, wo heute üblicherweise bei Frauen keine Haare mehr sind. Interessant, wie absurd einem das mittlerweile erscheint, dort behaart zu sein. In meiner Kindheit liefen noch alle so herum, das war ganz normal. Das muss aber schon sehr, sehr lange her sein. Keine Angst, das sind keine pornösen Bilder.
Kinderfrei
Ich war mit der Herzdame aus. Und weil wir ein kinderfreies Wochenende hatten, waren wir in einem besseren Restaurant. Wir dachten, ohne Kinder passt das. Kerzenlicht, Klavierspieler, so in der Richtung. Das war ungewohnt, als wir uns an den Tisch gesetzt hatten, mussten wir nicht pausenlos irgendwem Anweisungen geben, um schlimmste Desaster zu verhindern. Wir mussten keine seltsamen Fragen nach Dinosaurierarten oder Piratenwaffen beantworten, wir mussten nicht dauernd aufpassen, dass die Gläser nicht umkippen und wir mussten nicht darauf achten, was gerade von wem in die Kerze gehalten wird. Das war ganz entspannend. Und verblüffend langweilig. Wir haben uns angesehen, Händchen gehalten und Konversation gemacht, man ist so etwas als Elternpaar gar nicht mehr gewohnt.
Dann kam die Vorspeise, ein winziges Etwas, ein verquirlter Geschmackswirbel. Sehr hübsch. Dann kam der zweite Gang, ein Süppchen. Das Süppchen füllte zwei Löffelchen, dann war es weg. Dritter Gang, ein Hauch von Fleisch an einem Gemüsegel, ja, da stand wirklich Gel auf der Karte. Und zum Nachtisch ein kleiner Joghurtscherz. Das war wohlschmeckend und bestens zubereitet, keine Frage. Ehre, wem Ehre gebührt, der Koch konnte was.
Aber wir haben doch gemerkt, was man eigentlich machen muss, wenn man ohne Kinder ausgeht. Man ist dann völlig falsch in einem feinen Restaurant. Man sollte lieber auf seine Vorbildfunktion pfeifen, in den nächsten Imbiss gehen und alles in rauen Mengen verdrücken, was man den Kindern sonst dauernd als ungesund verbietet. Man sollte beim Essen die ganze Zeit lesen, die Ellenbogen auf dem Tisch haben und wild mit dem Stuhl kippeln. Das wäre erst der wahre Genuss der Freiheit. Einfach hemmungslos sündigen. Und danach natürlich: Schokolade satt. Gleich tafelweise. Ein Traum.
Na, nächstes Mal.
Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung
Zwei, drei Anmerkungen zur TEDx Hamburg
Es gibt Texte, vor denen man etwas ratlos sitzt. Und gar nicht einmal, weil das Thema zu schwer oder zu unbequem wäre. Oder weil einem nichts einfallen würde. Sondern einfach nur, weil jemand schon alles geschrieben hat. Das war in diesem Fall Isa, die ansonsten nicht gerade zum Early Bird neigt, aber jedem seine Chance, man muss auch gönnen können, schon klar.
In ihrem Artikel stehen jedenfalls etwa 99% dessen, was ich auch geschrieben hätte, wenn sie sich nicht vorgedrängelt hätte, weswegen ich da nur noch einige Ergänzungen hinterher werfe.
Da ist zum einen die Sache mit dem WLAN und da könnte ich mich immer noch aufregen. Ich finde es wirklich nicht mehr lustig, dass es keine Veranstaltung dieser Art mit funktionierendem WLAN zu geben scheint, das kann doch nicht mehr wahr sein? Was erlauben Saaltechnik? Ist das denn wirklich unmöglich? Sie dürfen jetzt im Chor “Wir fliegen doch auch zum Mars…” murmeln. Ich begreife es nicht. Man macht eine Veranstaltung mit Vorträgen, in denen es zu nicht gerade geringen Anteilen auch um moderne Technik geht, man betreibt einen immensen Aufwand, um diese Veranstaltung angemessen modern zu inszenieren, man lädt Blogger und Twitterer ein, die diese tollen neuen Kommunikationstechniken lieben – und dann gehen alle in einen Saal, in dem genau diese Technik nicht funktioniert. Kein WLAN, kein Internet. Kein Twitter, kein Facebook. Wir hätten Zettelchen mit Botschaften herumreichen können, wie damals in der zehnten Klasse, ganz großer Retro-Spaß. Da sitzt die ganze hippe Meute der willigen Veränderer kollektiv zusammen und redet über ziemlich abgefahrene Dinge und Lösungen. Aber die Basics, die Basics. Herrje.
Dann der Saal. Es wäre vielen Menschen in Hamburg gedient, wenn man den kleinen Saal der Laeisz-Halle einfach ein Schild schrauben würde: Für Veranstaltungen über zwei Stunden Länge verboten. Dann würden solche Veranstaltungen vielleicht künftig in vernünftig belüfteten Gebäuden stattfinden.
Dann der “style”. Als etwa der Chef von change.org sprach, hatte ich nach den ersten zehn Minuten, als er etwa hundertmal die Begriffe “love”, “passion” und “awesome” erwähnt, rührende Bilder gezeigt und mit bebender Unterlippe an sein Herz gefasst hat, das dringende Bedürfnis, ihn kurz zu unterbrechen und zu fragen: “Haben sie vielleicht auch etwas in Excel dabei?” Vermutlich bin ich einfach zu norddeutsch für so etwas. Ich habe gar nichts gegen ein wenig Pathos, aber eine Überdosis davon ist dann doch furchtbar. Leider greift aber dieser Style, der dem TEDx-Format natürlich im Kern innewohnt, auf etliche der Beteiligten über, so dass auch die Veranstalter und nicht wenige der Gäste so reden. Alles voller love, alles awesome, alles oh so great and wonderful and inspiring, oh so inspiring. Zucker mit Honig auf Nutella an Sahne, wie bei einer Teambuildingmaßnahme in einem Großkonzern mit durchgeknallten Animateuren.
Ich werde mit dem Format also nicht recht warm, es ist aber dennoch immer auch interessant. Man lernt ohne Zweifel etwas, sei es über den Mobilmarkt in Afrika, sei es über Petitionsplattformen, über Techniken des Widerstands in totalitären Systemen, über Hilfsmittel für Blinde. Themen, mit denen man gar nicht rechnet – und das ist auch gut so. Der Überraschnungseffekt ist wirklich ein Vorteil der TEDx, man weiß zwar in etwa, was einen erwartet, lässt sich dann aber doch von den Details überraschen, nicht selten positiv. Wobei, das kann man auch nicht übersehen, die Gästeschar natürlich nur aus den üblichen Verdächtigen besteht. Das sind die Interessierten, die Aufgeschlossenen, die Hipster, die Webjunkies, die Start-Upper und so weiter. Eine Szene, die zusammengehört. Das hat mit dem Titel der Veranstaltung “Urban Connectors” nichts zu tun, hier verbindet sich im Publikum erst einmal gar nichts, die sind nämlich alle schon verbunden. Da kommen keine verschiedenen Zielgruppen zusammen, da mischt sich nichts, da wird nichts connected, das ist gar nicht so awesome.
Aber dennoch, es ist interessant. Man nimmt immer irgendwelche Anstöße mit, es sind immer Vortragende da, die Bewundernswertes leisten, die sensationelle Ideen hatten, man denkt hinterher immer, dass man selbst auch mehr machen könnte, müsste, wie auch immer.
In Hamburg gibt es seit ein paar Tagen neue Mülleimer. Die haben einen Deckel mit Solarzellen, aus denen gewinnen sie Energie, um den Inhalt zusammenzupressen. Dadurch passt jetzt etwa sechsmal mehr Müll in diese Mülleimer. Wenn sie voll sind, dann merken sie das und schicken automatisch eine Mail an die Stadtverwaltung und die schickt dann die Truppe los, die diese Mülleimer leert. Das ist ein schöner, eleganter, zeitgemäßer Prozess, das sieht man sich an und denkt: “Ja, das passt in die Zeit und in die Stadt, da hätte man auch früher drauf kommen können.” Und man kann sich sehr gut vorstellen, dass solche Ideen auf Veranstaltungen wie der TEDx geboren, befördert oder weitergesponnen werden. Die Mülleimer wären übrigens auch ein nettes Thema für einen Vortrag mit lokalem Bezug gewesen.
Die TEDx schafft schon eine Szenerie, in der solche Ideen viel möglicher scheinen, als sie es im Alltag vielleicht zunächst sind. Und das ist es ja allemal wert. Wenn jemand so eine Veranstaltung noch nicht erlebt hat – da verpasst man schon auch was.
Übrigens…
… ist bei dem neuen Projekt „Was machen die da“ wieder ein neuer Artikel erschienen, den findet man hier. Und Isa und ich bemerken gerade die feine Ironie der Angelegenheit, dass man nämlich, wenn an andere beim Machen von Sachen besucht und beobachtet und mit ihnen Interviews führt und sie fotografiert, nicht mehr dazu kommt, andere Sachen zu machen. Also etwa Blogeinträge zu schreiben.
Dabei gäbe es zu der Modedesignerin, zu dem Kurator, zu der Schuhhändlerin und der Buchbinderin durchaus noch etwas anzumerken, so ist es ja nicht. Kommt auch noch. Wir üben etwas am Timing herum, ich bin da ganz zuversichtlich. In der Zwischenzeit können Sie drüben ja schon einmal nachlesen, was passiert, wenn man mit 42 noch eine Ausbildung anfängt. Für den einen oder anderen kommt das sicher noch rechtzeitig, nehme ich an.
In Kürze hier dann mehr zu den Risiken und Nebenwirkungen des neuen Projektes, ich schreibe da mal zunächst etwas in Bezug auf die Modedesignerin zusammen. Schalten Sie auch morgen wieder ein, wenn es heißt: „Herr Buddenbohm steht vor dem Spiegel und fragt sich, warum er die Kleidung trägt, die er trägt.“
Woanders – diesmal mit Urs Widmer, dem Grünofant und anderem
Ein Nachruf auf Urs Widmer. Seine Autobiographie liegt in Kürze auf meinem Nachttisch.
Stevan Paul über den Grünofant.
Eine Kritik an der neuen Hafencity-Universität in Hamburg.
Mal eben ans Meer
Da waren also wieder die üblichen zwei Tage im Jahr, die wir ohne Kinder verbringen. Also tatsächlich die einzigen beiden Tage im Jahr komplett ohne Kinder, in die muss dann sehr viel Erholung passen. Weswegen wir immer wieder an den selben Ort fahren, nach Kühlungsborn. Kühlungsborn ist in Wahrheit so toll nun auch wieder nicht, aber da ist der Ablauf geregelt, da geht alles immer genau den Gang, den wir vorgesehen haben, und Überraschungen braucht man nicht, wenn man zwei bis drei Nickerchen pro Tag machen möchte. Mindestens.
Deswegen schaffen wir es, nach Ablauf eines Jahres zu nahezu identischer Uhrzeit wie im Vorjahr im selben Café auf den üblichen Plätzen die gleiche Torte wie im Vorjahr zu bestellen. Womöglich sind wir ein klein wenig schrullig, okay. Jedem seine Abgründe. Wir ziehen aber immerhin in Erwägung, nächstes Jahr doch einmal woanders hinzufahren. Die Torte hat nicht geschmeckt, da bin ich eigen, so etwas muss Folgen haben.
Wir sind in Hamburg bei bestem Wetter losgefahren, das Wetter war sogar so schön, dass ich keine Jacke mitgenmommen habe. Das fiel mir aber erst abends in Nordostwestfalen auf. Wenn wir nach Kühlungsborn wollen, dann müssen wir erst nach Nordostwestfalen, um die Kinder zu den Großeltern zu bringen, das ist ein dezenter Umweg, wie die kartenkundigen Leserinnen ahnen können. Da stand ich dann im Abendhauch frierend am Rand des Nachbarackers und mir fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass Schwiegermutter gerne meine abgelegten Outdoorjacken aufträgt, um sich auf Hundetrainingsplätzen damit angemessen zu kleiden. Ich habe also so eine dieser Jacken von ihr zurückgeliehen, es war schon dunkel, ich habe mir die Jacke nicht näher angesehen.
In Kühlungsborn war es bei unserer Ankunft nicht mehr frühlingshaft, sondern kühl und grau, wir standen etwas verblüfft am Strand. Genau genommen war es so kühl, dass man es auch kalt nennen konnte, wenn nicht sogar saukalt. Es wehte ein ganz ordentlicher Wind, der Himmel hing tief und die See roch aufgewühlt. Dieser Geruch an der Küste, wenn die Wolken so nah sind, dass alles komprimiert wird und intensiver wird, wenn man meint, jeden Halm Tang riechen zu können, jede einzelne brechende Welle, jedes nasse Stück Holz am Steg. Es war grau, sehr grau um uns herum und die wenigen Spaziergänger hatten diesen forsch bemühten “Das ist aber jetzt trotzdem schön!”-Schritt, mit dem sie die Strandpromenade einmal auf- und abgingen, um sich ihren Nachmittagskaffee zu verdienen oder die Hunde zu bewegen. Das war so ein Grau, dem man ansieht, dass es nicht weggeht, heute nicht und auch nicht morgen und übermorgen nur vielleicht. So ein festsitzendes Strandgrau. Wir sahen aufs Meer, wir sahen auf den leeren Strand, die Luft war wie im November. Oder wie im März? Im Januar? Die Luft war nicht wie im Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, die Luft war wie graues Wetter an der Ostsee, das ist eine fast ganzjährige Möglichkeit, eine regionale Sonderform, und wenn man aus der Zeit gefallen plötzlich am Strand stünde, man wüsste unmöglich, in welchem Viertel des Kalenders man gerade ist. Irgendwo im kühlen Grau eben. Outdoorjackengrau.
Dieses kühle Grau, das mich früher so gekränkt hat. Ich könnte Bücher darüber schreiben, wenn ich es nicht schon getan hätte. Dieses Grau,in dem ich heute noch unweigerlich geisterhaft Hilde am Strand sehe, auch wenn ich gar nicht in Travemünde bin. Eine betrunkene Hilde, wie sie schwankend und Obszönitäten in den Wind brüllend Steine in die Brandung der Ostsee wirft, mit offener Pelzjacke und derangierter Frisur, der Pudel wie immer mit indigniertem Blick starr daneben. Wie sie mir zuwinkt und lacht, wild lacht, vulgär lacht. Ich sehe heute noch Stefan, Sarah und mich über den Strand gehen, planlos und lustlos, Miesmuscheln zertretend, von Nord nach Süd und wieder zurück. “Was machen wir jetzt?” Weit vom Sommer, diese Strandspaziergänge, sehr weit sogar. Ich sehe heute noch den alten Hugo aus dem Kioskfenster zur Fahrrinne starren. Ausdruckslos, geduldig und grau wie die See. “Pommes für euch?”
Die geliehene Jacke hat der Familienkatze jahrelang als Schlafplatz gedient und ist so haarig, wie man es bei glatten Outdoortextilien gar nicht für möglich hält. Ich schüttele sie herum, ich zupfe an den Haaren, das ist alles völlig sinnlos. Sie war einmal schwarz, jetzt ist sie altkatzensilbergrau. Ich trage eine Katzenhaarjacke und sehe aus, als sei das ein neuer Hipster-Spleen. Ich gehe mit der Herzdame Hand in Hand, aber sie hält einen Meter Abstand, sie will keine Haare abbekommen. Meine Fingerspitzen an ihren Handschuhen. Wir gehen durch das kühle Grau und es ist alles in Ordnung. Das Grau ist fotogen, Handyfotos von schlechter Sicht am Meer werten die Szenerie dann doch etwas auf. Als ich jung war, da gab es kein Instagram, wir hatten ja nichts.
Es ist kalt und grau und es macht nichts. Wir wollen sowieso ins Bett, wir können da auch gleich bleiben, da ist schlechtes Wetter sogar praktisch. Ich habe eine Herzdame an der Hand und ich nehme sie mit. Wir haben zwei Kinder und Sarah hat zwei Kinder und Stefan hat ein Kind und wir schreiben uns ab und zu auf Facebook oder auf Twitter. Das Grau hier vor mir ist jetzt völlig okay, so ist es gekommen. Es riecht fischig und es riecht gut, soll das Wetter doch so bleiben. Schön ruhig hier, man könnte eigentlich auch öfter ans Meer fahren.
Hinten im Yachthafen schaukelt ein Schiff mehr als die anderen, man hört Musik herüberwehen. “Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein…” und die Herzdame muss stehen bleiben, weil es sie so rührt, dass da jemand im Grau auf einem ziemlich kleinen Boot sitzt und feiert und etwas von wilder Kaperfahrt singt. Die jungen Männer mit dünnen Bärten, die da an Bord sitzen und das Lied mitgrölen, die würden wahrscheinlich nicht wollen, dass ihre Party irgendwelche Herzdamen rührt, aber was soll man machen, so ist das mit der Jugend. Man wird nicht verstanden.
Wir gehen ins Bett und im Wald hinterm klopft ein Specht und schreit ein Käuzchen und vor dem Hotel rufen die Möwen über der Ostsee und der Regen trommelt leise an unser Fenster und wir ziehen die Decke hoch.
Zwei Tage an der Ostsee. Auch mal schön.
Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im März
Gelesen
Guy de Maupassant: Stark wie der Tod. Übersetzt von Hermann Lindner und illustriert von Jim Avignon.
Wiedergelesen, weil die Büchergilde jetzt diese schön illustrierte Ausgabe hat. Das ist, wie man bei Edeka sagen würde, ein sehr geiler Roman, gar keine Frage, der wäre bei einer Auswahl meiner zehn liebsten Romane ganz sicher dabei. Ein alternder Maler, der seinen kreativen Höhepunkt deutlich hinter sich hat, hat immer noch seine Muse als Geliebte, eine Dame, die ihn vor vielen Jahren in die richtige Richtung seiner Kunst geschoben hat. Man ist gemeinsam älter geworden, das Feuer ist heruntergebrannt, man ist sich aber nach wie vor sehr gewogen. Bis der Maler sich in die Tochter der Dame verliebt, die aussieht wie eine verjüngte Ausgabe der Mutter, schön wie damals, lockend wie damals, unwiderstehlich wie damals. Das ruiniert selbstverständlich alles und konsequenterweise endet das Buch äußerst betrüblich. Aber egal, wer schon einmal ein paar Runden in seinem Leben geliebt hat, der versteht, was hier passiert, der leidet mit. In der Story passiert nicht viel, das findet alles nur in den Herzen statt, und man möchte den bluttriefenden Plakatwerbungen für aktuelle Thriller zurufen, dass das hier wirklich grausam ist und einen mitnimmt, diese Liebesgeschichte, nicht die noch so bestialischen Morde in den Bestsellern. Wenn Sie das Buch nicht kennen, lesen Sie doch mal in einer Buchhandlung nur die ersten drei Seiten. So gehen großartige Romananfänge.
Robert Louis Stevenson: Die Herren von Hermiston. Eine dieser kostenlosen Klassikerausgaben für den Kindle, leider ohne Übersetzerangabe – oder ich bin zu blöd, sie zu finden, das kann natürlich auch sein. Stevenson meisterhaft wie immer, ich habe es dennoch wieder weggelegt. Das klingt übrigens immer noch besser und gepflegter als wieder weggeklickt, nicht wahr? Tatsächlich wurde es sogar eher weggewischt, wenn man es sprachlich genau nimmt. Ein Zeigefingerstrich durchs Menü. Am Ende ist das Lesen auf dem Tablet vielleicht doch etwas herabwürdigend für die Werke, wer weiß. Ich kann im Frühling jedenfalls keinen englischen Klassiker lesen, der in Schottland spielt, das fühlt sich komisch an. Als würde man neben den blühenden Forsythien draußen am Spielplatz in der Sonne einen Glühwein trinken, das ist falsch. Das Buch gehört in den Oktober, vielleicht besser noch in den November.
Ulrich Hub: Füchse lügen nicht. Illustrationen von Heike Drewelow. Das ist ein Kinderbuch, aber die Söhne sind noch ein wenig zu klein, da fehlt ihnen noch zu viel Wissen, um die Anspielungen zu verstehen. Also selber hineingelesen – zwar nur ein paar Seiten, aber das werde ich auch weiter lesen, das gefällt mir. Das ist ein wenig Beckett für Jüngere, Tiere, die am Flughafen herumlungern und mehr oder weniger unbestimmt warten, die Situation wird immer absurder und grotesker. Hier eine schöne Rezension dazu, ich schreibe im nächsten Monat mehr.
Zwei weitere Bücher bereits hier erwähnt.
Vorgelesen
Roald Dahl: James und der Riesenpfirsich. Deutsch von Inge M. Artl und Kai Ohlen. Ein Buch, das mir schon in meiner Kindheit gefallen hat und das jetzt geradezu spektakulär gut bei den Söhnen ankommt, sogar bei beiden. Und das sich sehr gut vorlesen lässt, mit einem Spannungsbogen, der die Kinder geradezu atemlos zurücklässt. Sollte hier jemand versehentlich schwarzpädagogischen Erpressungen anhängen, ich erwähne das nur ganz diskret unter uns, dann ist dieses Buch wirklich bestens dafür geeignet. “Ich lese noch drei Seiten, wenn ihr…”
Die Eltern des kleinen James werden bereits auf der ersten Seite gefressen, das ist nicht schön, aber so ist es nun mal und danach kommt es erst richtig dicke für die Hauptfigur. Aber natürlich wird es auch wieder besser. Und wie! Das Buch kommt übrigens ohne zwischenzeilige Scherze für Erwachsene aus, keine Andeutungen, nichts, das Buch ist für Kinder und für die ist es perfekt. Nachdrückliche Empfehlung.
Gesehen
Nichts. Macht nichts.
Gespielt
Nichts. Macht auch nichts. Oder nur ein wenig Fussballgekicke auf dem Spielplatz, inkl. einer bemerkenswert erfolglosen Stunde vor einer Torwand, auf die Sohn I und ich pausenlos einschossen, ohne auch nur einen einzigen Treffer zu erzielen. Schlimm.
Aber darüber habe ich eben tatsächlich kurz nachgedacht, wieso spiele ich eigentlich nicht mit den Kindern? Die Antwort ist: weil die mit sich selbst spielen. Oder mit anderen Kindern. Es gibt so viele Kinder hier in der Stadtmitte, da sind immer mehrere Kinder bei uns oder unsere bei den anderen, da ziehen immer größere Kindergruppen um die Häuser, die haben gar nicht so viel Bedarf an pädagogisch wertvoller Bespaßung durch mich. Ich gehöre sicherlich zu den Vätern, die ziemlich oft verfügbar sind, vielleicht ist auch gerade deswegen die Nachfrage gar nicht so groß, BWLer verstehen das. Ich finde es jedenfalls toll, dass sie sich selbst beschäftigen können, auch fast tagelang, das fühlt sich alles ganz richtig an. Zum Vorlesen sind sie dann doch wieder an Bord.
Gehört
JJ Cale. Den habe ich lange vergessen gehabt. Dann habe ich irgendwo das Cover zu “5” gesehen und mich erinnert, dass meine Mutter das Album früher endlos gespielt hat. Und dann fand ich ihn überraschend angenehm zum Arbeiten. Doch, kann man ruhig mal wieder hören. “Magnolia” zum Beispiel.
Und die passende Neuentdeckung zum frühen Frühling: Hindi Zahra. Das perlt.