Der wandelbaren Männer zweiter Teil

Ich lege noch einen Mann an. Also an meinen gestrigen Text, der eine kurze Verwandlung schilderte, den sekundenlangen Latino-Durchbruch am Geldautomaten. Wandelbare Männer scheinen ein Thema zu sein, ein Ding, wie man heute sagt, denn am nächsten Tag gab es schon die nächste und passende Anschlussszene. Von der Grundkonstellation her nicht unähnlich und auch mitten aus dem Alltag. In diesem Fall aus der Warteschlange an der Kasse im Drogeriemarkt.

Da stand vor mir einer, der ohne lange Überlegung nach klischeemäßiger Assoziation der Consulting-Branche zugerechnet werden konnte, Merger & Acquisitions vielleicht, Wirtschaftsrecht womöglich, dergleichen. Also in einem Anzug, der deutlich knackiger wirkte als meiner, strammer und slimmer zugeschnitten, frischer gereinigt, besser gebügelt. Neuer sicher auch, teurer natürlich. Dazu ein Haarschnitt, der nach Frisurenmodel aussah. Solche Köpfe werden auf Werbeplakaten abgebildet und ja, manche Menschen sehen erstaunlich gut aus. So viele sind es gar nicht, hier war aber einer davon. Die Rasur selbstredend ebenfalls makellos, trotz der schon etwas späteren Stunde. Glänzende Schuhe, kein Stäubchen an der ganzen Figur, keine Knitterfalte, kein Knick, kein Makel. Es war einer dieser Typen, bei denen ich denke, dass ich das gar nicht kann. So herumzulaufen, das ist mir einfach nicht gegeben, es ist mir beim besten Willen nicht möglich, derart perfekt auszusehen.

Und zwar nicht nur, weil mein Gesicht das nicht hergibt, sondern auch, weil ich nicht einmal einen Anzug so fehlerfrei durch die Gegend tragen könnte. Rundrücken und Bauchansatz, Hängeschultern und stets unerwünschte Falten im Sakko und in der Hose. Was man in einem Spiegel oder Schaufenster nicht alles sieht, wenn man dummerweise an einem vorbeigeht und unabsichtlich hineinsieht. Der Mann da vor mir aber … der sah aus, als hätte man ihn in diese Kassenschlange aus einem Katalog heraus hineingephotoshopt. Oder nein, das macht man heute per AI. Also eher so, als hätte man ihn per Prompt dort hineingezaubert, mitten unter die Durchschnittsbevölkerung und also genau neben mich, kein Tag ohne Demütigung.

Er kaufte Gutscheine für dieses und jenes. Vielleicht waren es Präsente für den Büronachwuchs oder auch für den eigenen, was weiß man schon. Ein ganzes Bündel Gutscheinkarten jedenfalls.

Und dann fand er sein Geld nicht. Oder seine Karte nicht, sein Smartphone vielleicht, womit auch immer er bezahlen wollte. Ein Griff in die eine hintere Hosentasche, dann in die andere. Danach in die vorderen und dann, schon etwas schneller werdend, auch in die Sakko-Innentaschen. Und in die äußeren auch noch. Nichts.

Er machte dann, und die aufkommende Hektik war schnell unübersehbar, seinen Notebook-Rucksack auf und wühlte von Fach zu Fach. Bückte sich fluchend, um mit beiden Händen besser wühlen und graben zu können. Richtete sich wieder auf und dachte so angestrengt nach, dass man es mitfühlen konnte. Ging sämtliche Taschen noch einmal, noch zweimal durch, den Rucksack auch wieder und dann von vorne, bewegte sich immer schneller.

Er geriet dabei zusehends und in flotter Steigerung aus der inneren und äußeren Fassung. Er fing an zu schwitzen beim wiederholten Bücken und Aufrichten, er wurde rot im Gesicht. Nach den bald etwas wilder werdenden Bewegungen hatte er ein aus der Hose hängendes Hemd und ein auf einmal schief sitzendes Sakko an, Nach kurzer Zeit und mehreren Suchdurchgängen durch alle Wegsteckmöglichkeiten am Mann wirkte er fortgeschritten desolat. That escalated quickly.

Er ging schließlich laut mit sich selbst redend aus der Schlange und zum Drehständer mit den Gutscheinen. Er steckte sie alle zurück, sogar in die jeweils richtigen Fächer. Ausgesprochen ordentlich machte er das, dafür reichte die Contenance gerade noch aus. Oder aber es war eine Beruhigungsmaßnahme nach der alten und tatsächlich recht brauchbaren chinesischen Regel: Wenn du es eilig hast, gehe langsam. Die Regieanweisung für seinen Gesichtsausdruck dabei lautete allerdings vollkommen zweifelsfrei: „Nagende Ungewissheit und entnervter Unterlippenzubiss.“ Dann verließ er den Laden unverrichteter Dinge. Erhitzt, erschöpft und derangiert, ein Bild des Jammers.

Mitten im Leben sind wir vom Chaos umfangen. Das immer bei allem mitdenken, so ging es mir durch den Kopf. Und ich tastete vorsichtig und unauffällig kurz nach meinem Portemonnaie. Alles noch da. Immerhin.

Dann verließ auch ich schließlich den Laden. In vergleichsweise gepflegtem Zustand.

Ein Büroneubau am Abend, im oberen Stockwerk ein hell erleuchtetes Fenster

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Der Montag, das Musical

Der Montag beginnt mit deutlicher Unlust, denn ich fühle ihn allzu deutlich. Um noch einmal Thomas Mann zu zitieren, diesmal aus der Erzählung „Der Kleiderschrank“, ebenfalls gerade in der ARD-Audiothek verfügbar, gelesen von Manfred Zapatka: „Er liebte es nicht, sich in Kenntnis über die Stunde oder auch nur den Wochentag zu wissen.“

Mit Murren und Knurren, wie eine frühere Kollegin zu sagen pflegte, beginnt also diese Woche. Denn es scheint eine normale Woche zu sein, was mir der Kalender da anzeigt, kein einziger Feiertag rückt in Sicht. Außer in Berlin und Luxemburg, ich weiß. Der Tag der Befreiung in der einen Gegend, der Europatag in der anderen. Das klingt allerdings weder spezifisch berlinerisch noch ausschließlich luxemburgisch. Diese Anlässe kann ich vielmehr auch beanspruchen, all your Feiertage are belong to me.

Auch meine Eltern wurden schließlich befreit (Geburtsjahre 1933 und 1938, wie sehr nach Geschichtsbuch können Jahrgänge klingen), auch ich schätze Europa.

Aber was bekomme ich? Nichts, gar nichts. Bzw. nur fünf betont schlichte und gewöhnliche Werktage in der Normal- und Mindestausführung. Graue Durchschnittsware auf Werkseinstellungen, ohne alle Extras und Premiumfeatures. So steht man immer wieder vor neuen Herausforderungen und Todsünden, in diesem Fall erneut vor dem Neid.

Egal, nächste Station Himmelfahrt. Immerhin noch in diesem Monat. Ich klappe das Brotberuf-Notebook auf, ich lese die erste Mail, ich beginne, alles zu veratmen. Was soll man auch machen.

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Am Abend des ansonsten vollkommen ereignislosen Tages hebe ich an einem Automaten Geld ab. Das macht auch jemand neben mir, ein Mann, der es offensichtlich eilig hat. Er tippt da nicht nur das Übliche ein, nein, er trommelt auch wild auf dem Display herum. Er zischt dabei außerdem so etwas wie „Mach schon“ und „Los, los“, weil diese Maschine eher gemächlich vorgeht und über seine Eingaben erst einmal gründlich nachdenkt.

Dann kommt er zur Bildschirmansicht, auf der er die Summe auswählen soll, und da weiß er auf einmal nicht recht, das haut es ihm eine Bremse in die Eile. Er will erst mit Schwung auf etwas tippen, aber die Hand mit dem ausgestreckten Finger biegt mitten in ihrer Flugbahn ab, nimmt eine steile Kurve nach oben und es kommt dort zu einer Übersprungshandlung: Es wird keine Summe gewählt, es wird mit den Fingern geschnippt. Er weiß es gerade nicht mehr, was er will, nimmt er nun diesen oder jenen Betrag. Kurz sieht er zur Decke des SB-Raums, aber da steht die Lösung nicht.

Und weil er für einen Moment nicht recht weiß, schnippt die Hand da oben einfach weiter und da wird es auf einmal ein Rhythmus. Und weil dies nun ein Rhythmus ist, bei dem er wohl mitmuss, macht er vier, fünf ganz kleine, kaum ausgreifende, wenig Raum fordernde Tanzschritte. Bei denen er aber auch die Hüfte wippend einsetzt und überhaupt auf einmal eine unübersehbare und eindeutig außerhanseatische Sonderform der Körperspannung aufweist, quasi Auftrittsmoment.

Würde man ihn lassen und würde jetzt die Musik losgehen, würde der Soundtrack passend einsetzen, es würde sicher eine großartige Tanznummer werden. Man müsste mich nur dringend aus diesem Bild schieben. Eine Art Musical-Effekt im Alltag wäre es, und kein schlechter. Denn die Schrittchen, die ich da sah,  die waren zwar klein und kurz, sahen aber ungeheuer gekonnt aus. Jemand, der so etwas mal eben nebenbei macht, in dieser Haltung,  der unterrichtet womöglich abends Salsa oder dergleichen, stammt von karibischen Tanzdynastien ab, gewinnt vielleicht seit Jahren mit seinem Tanzsportverein jedes Latein-Turnier. Es ging dann aber keine Musik los, es war ein wenig bedauerlich.

Sonst habe ich nicht viel gesehen an diesem Tag. Aber immerhin einen Geldautomaten, der mit kurz aufflammender Leidenschaft angetanzt wurde.

Eine Art Papierorden mit einem Smiley, der weggeworfen auf dem Pflaster liegt

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Küstenschutz, Bücher, Nachrichten

Am Sonntagmorgen regnet es einige Tropfen auf die staubtrockene Wüstenstadt Hamburg. Da erreiche ich das gesegnete Immerhin des Tages also in Rekordzeit, nämlich direkt nach dem Aufstehen. Dazu ist es rollkragenkühl und seefrisch windig aus Nordwest. Ich nutze daher in meiner enthemmten Sucht nach der Stimmigkeit von Themen, Klängen und Szenen die Gelegenheit und höre mir beim ersten Spaziergang ein Radio-Feature über den Küstenschutz an Nord- und Ostsee an. 55 Minuten, danach ist man dann upgedatet. Was man in Norddeutschland wohl auch sein sollte.

Ich hatte in den letzten Jahren den Eindruck, dass dieses Thema nicht ganz die Prominenz hat, die es bei uns klimawandelbedingt haben sollte. Auch in Hamburg nicht, wo es in den Medien kaum jemals vorkommt. Dabei stellen wir hier sogar neue Stadtteile in die Elbe.

Vielleicht übersehe ich aber auch etwas, immer vorsichtig urteilen.

Die Elbe am Fischmarkt im Morgenlicht

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Nach dem „Gentleman über Bord“ bot es sich an, etwas aus dem englischen Sprachraum weiterzulesen, auch wenn einige deutsche Bücher schon viel mehr Zeit auf dem Nachttischstapel verbracht haben. Ich greife zu „Scoop“ von Evelyn Waugh, das ich unbegreiflicherweise noch nicht kenne. „2015 wählten 82 internationale Literaturkritiker und -wissenschaftler den Roman gemeinsam mit Waughs Erstlingswerk Verfall und Untergang zu einem der bedeutendsten britischen Romane, heißt es in der Wikipedia. Da kann man einmal reinlesen, denke ich und konsumiere die ersten Seiten dann auch mit erheblichem Vergnügen. Deutsch von Elisabeth Schnack.

Bei Waugh muss ich immer daran erinnern, dass seine Frau ebenfalls Evelyn hieß und sie daher von Freunden He-Evelyn und She-Evelyn genannt wurden. Eine Anekdote, bei der ich mit einiger Sicherheit annehme, dass sie nicht stimmt. Was sie meiner Meinung nach nicht verschlechtert.

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Die Landlebenbloggerin kriecht währenddessen über vogesische Wiesen, knipst Grünzeug und erläutert kurz den angemessenen Umgang mit der Nachrichtenlage im Urlaub: „Ich checke maximal einmal am Tag ganz grob die Weltenlage, schlage dann mit dem Kopf einmal kräftig auf den Tisch und schließe das Internet wieder.

Wobei zu überlegen ist, ob das in diesen Zeiten wirklich nur für den Urlaub gilt. Ich habe da so einen Verdacht, und tatsächlich hat sich mein Nachrichtenkonsum in den letzten Wochen ebenfalls auf weiter schrumpfende Kernzeiten reduziert.

Meine News-Junkie-Periode mit stündlichen Updates scheint also ekelbedingt erst einmal vorbei zu sein. Da lande ich wieder bei einer grundsätzlichen Wahrheit: Es ist alles nur eine Phase.

Wozu mir gerade Mick Flannery noch einmal einfällt. Es passt schon.

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Die Hüpfburg als Ausdruck hipper Gegenwärtigkeit

Vorweg ein Dank für die Zusendung eines Romans: „Thomas Mann macht Ferien“ von Kerstin Holzer. Laut dieser Rezension geht es um das Gewinnen von Haltung, ist damit also topaktuell und jederzeit anwendbar. Herzlichen Dank!

Das Buch "Thomas Mann macht Ferien" von Kerstin Holzer

Und apropos Thomas Mann: In der ARD-Audiothek gibt es eine Lesung seines Erzählstückchens „Eisenbahnunglücks“ aus dem Jahr 1909, noch vor der Tegernseezeit aus dem oben erwähnten Roman geschrieben. Gesprochen vom Autor selbst. Da hat man noch einmal eine nicht mehr zeitgemäße Sprache in nicht mehr zeitgemäßer Betonung, das 19. Jahrhundert weht durch den Text. Einige moderne Einsprengsel hier und da, es ist ungemein interessant.

Etwas geziert und manieriert klingt es, was da berichtet wird, und dass den Text in einer anderen Version Loriot vorliest, es scheint perfekt zu passen.

Ich höre keine Spur eines Tonfalls aus Lübeck in der Aussprache von Thomas Mann, nicht den geringsten Anklang. Und ich wundere mich, wieso er das Wort „gottlob“ nicht so ausspricht, wie ich es kenne, sondern eindeutig als „gottlopp“. Bei der ersten Nennung halte ich es noch für einen Fehler, einen Verleser, wie er jedem passieren kann, bei der zweiten muss es doch Methode haben. Gottlopp. Seltsam. Gehört das irgendwo so?

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Am Sonnabendmorgen frage ich bekannte und ruhmreiche AI-Modelle nach dem Veranstaltungsprogramm für Hamburg, denn ich stelle fest, an diesem Tag ein verblüffendes Ausmaß an freier Zeit zu haben. Das ist ein wundersamer Zustand, mit dem ich nach gründlicher Entwöhnung nicht mehr gut umgehen kann. Da brauche ich Hilfe und Hinweise.

Das eine Modell sagt mir, es fände heute ein großer Marathon statt. Was nicht stimmt, der war am letzten Wochenende, ich berichtete. Das andere Modell sagt, es fände heute der Hafengeburtstag statt. Was ebenfalls nicht stimmt, der ist erst am nächsten Wochenende, ich werde keineswegs berichten. Es ist mit diesen Modellen also manchmal in etwa wie mit dem Googeln früher, nur mit viel schlechteren Ergebnissen.

Aber hey, es geht voran. Oder wohin auch immer.

Einig sind sich die beiden Modelle dann darin, dass die Spider Murphy Gang am Abend ein Konzert in der Stadt geben wird, das immerhin. Demnach sind wir erneut Richtung Achtziger abgebogen, aber darauf kommt es mir schon nicht mehr an.

Der Fairness halber: Bei zwei Recherchen zu abwegigen Themen habe ich gestern hervorragende Antworten von diesen Modellen bekommen, wirklich gutes Zeug, das noch vor etwa einem Jahr so nicht möglich gewesen wäre.

Das muss man auch sehen, wollte ich nur eben sagen: Es ist nicht so, dass die gar nix können, diese Modelle. Spitzenleistungen und Desaster liegen bei ihnen vielmehr direkt nebeneinander in seltsamer, staunenswerter Gleichzeitigkeit vor.

Woher kennen wir das nur? Genau, aus dem eigenen Hirn. Tu quoque, AI.

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Das Veranstaltungsprogramm der Millionenstadt Hamburg liest sich ansonsten, wenn man es sich erfolgreich zusammengeklickt hat, wie das einer mittleren Kreisstadt. Es gibt Flohmärkte, eine Hüpfburg in einem Park, einen Lagerverkauf in einem Industriegebiet am Rand der Welt und dergleichen, sowie abendliche Naturführungen mit Fledermäusen und Vogelsang. Hm.

Vielleicht bin ich zu größenwahnsinnig anspruchsvoll für diese Angebote. Was gut sein kann, denn was stelle ich mir eigentlich vor. Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk.

Das mit Edding geschriebene Wort Nimmersatt auf den weißen Kacheln einer U-Bahnstation

Oder aber, diesen logischen Schluss darf ich nicht vergessen, Kreisstädte sind unterschätzt und im Grunde auf der Höhe der Zeit, welche durch Hüpfburgen hinreichend symbolisiert werden kann.

Immer positiv enden, wenn es geht. Ja, ja.

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Das eingangs erwähnte Problem mit der freien Zeit löste ich dann ebenso routiniert wie konstruktiv durch Gulasch. Mit der Zubereitung von Gulasch kann man nämlich ein paar Stunden in der Küche verbringen. Man ist weg von der Straße, die Familie wird satt und der Tag geht vorbei.

Immerhin.

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Gardam, Lewis, Diverses

In der FAZ gibt es einen Nachruf auf Jane Gardam, in welchem allerdings die Verdienste ihrer ersten Übersetzerin in die deutsche Sprache, Isabel Bogdan, versehentlich nicht gewürdigt werden. Wie auch immer, wenn Sie Jane Gardam nicht gelesen haben, was dann ebenfalls versehentlich wäre, holen Sie das ruhig nach. An den langen Sommerabenden oder so, es lohnt sich.

Siehe dazu auch im Guardian: A natural storyteller.

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Apropos Würdigung: Ein letztes Mal empfehle ich nach finalem Umblättern den „Gentleman über Bord“ von Herbert Clyde Lewis. Ein Roman aus dem Jahr 1937, vor zwei Jahren erst entdeckt und übersetzt (von Klaus Bonn). Der Titel umreißt und spoilert zugleich den Inhalt, ein Mann geht über Bord, absichtslos, durch banales Ausrutschen auf einem Ölfleck. Er hat dann im Pazifik viel Zeit, bis zu seinem endgültigen Untergang über sich und sein wenig bemerkenswertes Leben als mittelmäßiger Börsenmakler nachzudenken. Deutlich mehr Zeit, als er diesem Nachdenken sonst jemals zubilligen würde. Wie ergebnisreich dieses Nachdenken ist, darüber könnte man debattieren. Wie auch darüber, was es nützt, in seinen letzten Stunden noch zu Erkenntnissen zu kommen.

Ein äußerst elegantes Buch über den Tod, der die Leserinnen hier nicht tränendrückend erwischt, der sie zunächst eher kaltlässt, aber irgendwann doch noch fast unvermutet anfasst. Und die Frage, ob und was man selbst denken würde, allein im Pazifik, während es dunkel wird und das Schiff, von dem man fiel, gerade am Horizont verschwindet, sie erscheint nicht eben abwegig. Sie wird einem aber auch nicht aufgedrängt.

Die Passagiere auf dem Schiff, von dem dieser Gentleman gefallen ist, sie nehmen, nachdem ihnen sein Fehlen erstaunlich lange entgeht, einfach an, dass er gesprungen sein muss. Wie würde man sonst im Meer landen, einfach so, es ist doch etwas ungehörig. Und sie beginnen, seine Person nachträglich ein wenig umzudeuten, so dass dieser seltsame Abgang auch zu ihrem Bild von ihm passt. Eine feine Gesellschaft, aber eben: Die Gesellschaft, in geradezu lässig kurzen Beschreibungen festgehalten.

Auf der Verlagsseite stehen Rezensionszitate, ich gebe das der Gießener Allgemeinen wieder, es trifft besonders gut: „Auf nur rund 160 Seiten lässt Lewis Tragik und Komik gleichberechtigt nebeneinanderstehen, wirft die großen Fragen im Kleinen auf, wird bei aller Dramatik nie hysterisch. Es passiert nicht viel, und doch alles.“

Ein schmales Buch ist das, schön im Schuber, gepflegt mit Nachwort (Jochen Schimmang) und allem. Jetzt ans Schenken denken, es wird auch wieder Dezember. Irgendwann.

Das Buch "Gentleman über Bord"

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Und sonst: Herr Paul spielt mit ChatGPT und Thomas Gigold erklärt noch etwas zur bereits erwähnten BloggerRolle.

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Mauersegler, Mai, Magnetic Fields

In den Timelines sehe ich in dieser Woche die ersten Mauerseglermeldungen, aus Hamburg-Mitte kann ich aber noch keine Sichtung vermelden. Eventuell verspätet sich bei uns auch der Mauerseglerzug, das passt dann immerhin gut zum Hauptbahnhof im Stadtteil. Es bleibt alles in einem harmonischen Gefüge.

Es gibt ferner die ersten Anzeichen für den Frühsommer im phänologischen Kalender, etwa vier Wochen sind sie wohl zu früh. So verzeichnen wir etwa den Blühbeginn des schwarzen Holunders und der Kastanie. Einzelne Pfingstrosen gehen auch deutlich vor, außerdem ist es Herrn Buddenbohm und sicher auch Frau Novemberregen bereits zu warm. Selbst wenn ich aktuell noch keine Wetterbeschwerden in ihrem Blog gelesen habe.

Am Nachmittag dann eine weitere Saisoneröffnung. Zum ersten Mal stehen stundenlang Hubschrauber über dem Haus, vermutlich um die Maidemos von oben zu beobachten. Brummende Riesenhummeln aus Metall, ein Geräusch, das man kaum ausblenden kann, dystopisch-bedrohlich dringt es durch alle Versuche, sich auf etwas zu konzentrieren. Dazu anschwellender Baulichtverkehr auf den größeren Straßen. Ein besinnlicher Feiertag ist es auf diese Art eher nicht, sondern wiederum so etwas wie die urban buzzing version eines Sondersonntags.

Die bei uns so furchtbar zahlreichen obdachlosen Opfer des Alkohols und anderer Drogen, die vor einigen Tagen noch in zu leichter Kleidung draußen gefroren haben, sie schlafen jetzt in der prallen Sonne ihren Rausch aus. Wiederum zu leicht bekleidet, mit sich rötender Haut. Hast Du kein Dach überm Kopf, hast Du auch kein gutes Wetter mehr.

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In der ARD-Audiothek gibt es das Buch zur aktuellen Woche und zur historischen Erinnerung: Volker Ullrichs „Acht Tage im Mai“, über das Ende des Dritte Reichs. Hier die Perlentaucherseite dazu. Das Buch ist erschreckend spannend, obwohl man weiß, wie es ausgeht.

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Das Erholungskonzert des Tages gab es von The Magnetic Fields. Sie spielten dabei am Ende auch den Song „The book of love“, und das ist ein Lied, dessen Text man nicht genug loben kann.

“The book of love is long and boring

And written very long ago

It’s full of flowers and heart shaped boxes

And things we’re all too young to know.”

 

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Im Bild architektonische Highlights der Hafencity, direkt neben dem neuen Einkaufszentrum.

Hässlich wirkende Neubauten in der Hafencity, so aufgenommen, dass keine Schönheit den Eindruck mildert

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Auf Kosten meiner Ruhe

In Kanada gab es neulich das, was in Demokratien normal sein sollte, nämlich eine Wahl. Die man aber heute, siehe nahezu sämtliche Medien, stets Schicksalswahl zu nennen pflegt. Was vermutlich mittlerweile für alle Restdemokratien gilt, in denen Rechtspopulisten und Rechtsextreme antreten, um die Parlamente von innen anzugreifen. Es gilt also schlicht für alle Länder, in denen überhaupt noch freie Wahlen stattfinden können: Überall Schicksalswahlen.

Dieses Wort daher am besten auch gleich normalisieren, den modernen Sprachgebrauch einfach annehmen. Was soll der Widerstand gegen den Wandel, am Ende gewinnt der doch. Deswegen schlage ich vor, dass wir bei der nächsten Wahl, welche ist es denn überhaupt, dass wir also bei der Kommunalwahl in NRW im September auch korrekt von Briefschicksalswahlunterlagen reden, von Schicksalswahllokalen, Schicksalswahlberechtigten und überhaupt von der Kommunalschicksalswahl, die man dann an den ganzen Schicksalswahlplakaten im Stadtbild erkennen wird, wenn es soweit ist.

Und hinterher reden wir entsprechend von den schicksalsgewählten Bürgermeisterinnen usw., die ihre Dankesreden selbstverständlich alle standardmäßig anzufangen haben mit „Ich danke meinen Schicksalswählerinnen und -wählern.“

Und dann werden diese beiden Silben so häufig, dass man sie gar nicht mehr hört und also auch wieder weglassen kann.

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Gehört: Einen Zeit-Podcast über den politischen Aktivisten Thomas Mann, dessen Leben auch nicht unerheblich von Schicksalswahlen beeinflusst wurde. Auch für Thomas-Mann-Kennerinnen sind vielleicht noch zwei, drei Bildungs-Updates in dem enthalten, was da berichtet wird. Mir war etwa nicht bewusst, in welchem Ausmaß er nach dem Kriegsende aus Deutschland angefeindet wurde.

Sympathisch fand ich außerdem eine Kleinigkeit am Rande. Als er seine Ansprache im Goethejahr hielt, 1949 in Frankfurt am Main, verwies er auf seinen Kampf der vergangenen zehn Jahre, den er „auf Kosten seiner Ruhe“ geführt habe. Eine Formulierung, die man spontan nachempfinden kann. Man möchte lediglich ungestört vor sich hindichten und in Frieden am Schreibtisch sitzen, und dann findet da draußen aber Welt und Politik, Krieg, Geschichte und alles statt, und man meint dauernd, sich kümmern zu müssen.

Auf Kosten der Ruhe. Ja, wir kennen das.

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Bei SWR-Kultur gibt es, leider passend zu den anderen Absätzen heute, in der Reihe „Das Wissen“ zwei Folgen zu Benito Mussolini und Georgia Meloni, hier die erste, hier die zweite Sendung. Da Meloni in rechten Kreisen als Erfolgsmodell gilt, ist es sicher richtig, auch über sie einige Kenntnisse zu haben.

Man beachte etwa ihr Verhältnis zu den Medien und denke dann noch einmal über die Lage bei uns nach, über die seltsamen Tendenzen etwa bei der ARD, die immer unübersehbarer werden.

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Zur Erholung von all diesem habe ich mir das Tiny-Desk-Konzert von Alicia Keys angesehen. Warum auch nicht.

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Im Bild heute der Hansaplatz mit dem Hansabrunnen, auf dem oben die Hansa selbst steht, obwohl es sie eigentlich gar nicht gibt, nicht einmal in Sagen oder Mythen. Eine ausgedachte Figur, eine Allegorie.

Aber nun, siehe Bildbeweis, da steht sie nun einmal und symbolisiert die einstige hanseatische Macht vor sich hin. Ausgerechnet auf einem der schlimmsten Plätze der Stadt, was Kriminalität, Drogenkonsum etc. angeht. Es geht dort nicht eben hanseatisch zu, wenn man zu dem Begriff klassisch herumassoziiert.

Man sieht es aber nicht jedem Bild an, das man dort macht.

Der Hansabrunnen im Weitwinkel, Bäume mit frischem Grün an den Bildrändern

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Betrübnis, Pein und Belastung

Ein Hinweis für die Anhänger der freien Bloggerei: Thomas Gigold aus dem Freundeskreis digitale Unermüdlichkeit hat schon wieder etwas Neues gebastelt. Nämlich eine Blog-Ping-Seite, die „BloggerRolle“ mit laufender Aktualisierungsanzeige der teilnehmenden Blogs. Da kann man dann vielleicht etwas entdecken.

Dabei habe ich etwa auf dem Blog von Dominik Schwind den Link zum Podcast Three Rules gefunden, auch bei Youtube verfügbar, „where guests share 3 rules that helped them find success or happiness“. Solche Formate können zwischendurch auch einmal interessant sein. Obwohl es meist recht erwartbar ausfällt, was da aufgesagt wird, obwohl es oft mit dem korreliert, was in den üblichen Lebenshilfebüchern zu finden ist. Aber doch nicht immer.

Und es ist für Hobbydenkerinnen und – denker vielleicht schon deswegen interessant, weil man sich dabei fragen kann, was man selbst dort erzählen würde. Wie streberhaft man damit dann wohl wirken würde, oder ob man überhaupt eine brauchbare Regel parat hätte, also außer „Erst aussteigen lassen“ und dergleichen mehr.

James Hoffmann jedenfalls wird vor der Aufnahme des Podcasts etwas länger nachgedacht haben, nehme ich an.

Das Betrachten des Blog-Update-Monitors von Thomas Gigold fühlt sich unweigerlich etwas wie damals an, aber im eher positiven Sinne. Nostalgie muss nicht immer nur irreführend sein.

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Ich sah in den sozialen Medien viel Betrübnis, Pein und Belastung, als die Besetzung der Kabinettsposten in der nächsten Regierung bekanntgegeben wurde.

Es schmerzte doch erheblich, was man sah und las, ein wehes Aufstöhnen bei jedem Namen. Das ging mir nicht anders, auch Buddenbohms unter den Opfern. Und wieder diese Erinnerungen, mit denen ich erneut nicht allein war, an die erste Kohl-Regierung. Und an die Fassungslosigkeit, mit der man sich damals angesehen hat, wie es anfing.

Es war von da aus ein weiter Weg bis zur kollektiven Lethargie und Dickfelligkeit, mit der wir die Merkel-Jahre ertragen haben. Obwohl man dieser Zeit im Nachhinein doch einige erstaunlich progressive Entwicklungen zuschreiben muss.

Nun also noch einmal über Start. Das war so nicht bestellt, nein, und wie lange wird man sich damit abmühen müssen. Ich sehe eben die Lebenserwartung der Männer meines Jahrgangs nach. Danach habe ich statistisch noch etwa zwanzig Jahre vor mir. Werden die ausreichen, um die Rückbewegung des Pendels noch einmal mitzubekommen, die Überwindung des dummerweise diesmal globalen Rechtsrucks? Das könnte knapp werden, aber man weiß es natürlich nicht. Immer alles für möglich halten. Da sind wir schon wieder bei den Lebenshilfebüchern, und sie liegen bei dieser Frage vermutlich sogar richtig.

Ich recherchiere etwas diesen historischen Rechts-Links-Zyklen hinterher, merke aber bald: Das ist eines der tieferen Kaninchenlöcher, für das ich deutlich mehr Zeit haben müsste. Auch um das Gelesene mit dem Erlebten abzugleichen. Man hat immerhin schon etwas Geschichte mitbekommen, man könnte Verbindungen ziehen und Parallelen suchen.

In dem Kaninchenloch liegt etwa die Strauss-Howe-Theorie, von der ich noch nie gehört hatte, bei der aber im verblüffend langen Wikipedia-Text bald auch Steve Bannon vorkommt, es also unappetitlich wird und man die Umgebung lieber meidet.

Weiterführend dann der Artikel zu historischen Wiederholungen. Mit den besonders zahlreichen Links in diesem Artikel könnte man sich tagelang beschäftigen, vermutlich ohne jemals zu einem Schluss zu kommen (oder hier noch zu sozialen Zyklen, mit Nennung weiterer Theorien, es ist ergiebig).

Faszinierend, das alles, man könnte glatt ein langes Wochenende damit zubringen, das zu studieren, aber hilft es? Where’s the beef? Und diese Frage aus dem Werbeclip, die Älteren erinnern sich, sie ist auch schon 41 Jahre alt. Meine Güte.

Ich überlege jedenfalls, ob ich einer Meinung zuneige, ob in den nächsten zwanzig Jahren noch eine Umkehr beginnen kann oder nicht und wie wahrscheinlich mir was gerade vorkommt. Aber ich verbleibe für heute bei: Ich habe keine Ahnung und auch kein Gefühl dafür.

Egal. Weitermachen und Haltung bewahren. Es ist am Ende doch der Weisheit letzter Schluss, zumindest vorläufig.

Blick auf die Elbphilharmonie vom Alsterfleet aus

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Neuer Schwung

Sport wirkt sich verjüngend aus, das kann sogar der Autor dieser Zeilen bestätigen, welcher keiner Sportart auch nur ansatzweise zuneigt. Es gab aber gerade, das ist vom Wochenende noch eben nachzutragen, diesen Marathon in der Stadt. Sogar einen mit erneuertem Streckenrekord, las ich, bei vermutlich bestem Laufwetter. Sonnig, nicht zu warm, ein kühlendes Windchen wehte. Es lief, man lief, und wie man lief. Mir war es wie immer egal.

Am Nachmittag ging ich durch die Stadt. Erst durch die good old Innenstadt, durch mein Revier. Dann flanierte ich runter zum neuen Einkaufsriesending am Hafen. Denn ich muss als Hamburger Blogger ab und zu pflichtgemäß nachsehen, wie sich dort alles entwickelt und ob überhaupt. Es war dann aber gar nicht die Architektur oder die Shopping-Infrastruktur, die Wirkung der Locations, die ich diesmal interessant fand, es waren eher all die desaströs erschöpften Menschen, die am Vormittag am Marathon teilgenommen hatten. Und die sich jetzt, wie man es im Tagestourismus unweigerlich so macht, noch hier und da etwas herumtrieben, bevor sie die Stadt dann in Scharen wieder verließen.

Sie waren leicht zu erkennen, diese Menschen mit dem ausgeprägten Interesse am eskalierenden Galopp. Nicht nur an den Standardrucksäcken vom Sportevent und den dazu passenden kurzen Hosen, auch am seltsamen Gang. Sie hatten sich sämtlich Blasen, Krämpfe, Wölfe und anderes gelaufen. Sie hatten sich beim endlosen Laufen dies und das nachhaltig verzogen und verbogen, und so gingen sie dann auch. Als hätte man einer ganzen Heerschar von Komparsen zugerufen, sie mögen bitte einmal Marathonläuferinnen und -läufer nach dem Zieleinlauf parodieren, so übertrieben laientheaterhaft sah es in vielen Fällen aus. Wie sie da karikaturhaft bemüht x- oder auch o-beinig herumgingen, wie sie enderschöpft humpelten, schlurften und lahmten, es war teils zum Gotterbarmen.

In den sozialen Medien sah ich nebenbei das Bild eines Marathonlaufs, es war nicht in Hamburg, da stand eine Frau an der Strecke und hielt ein Pappschild hoch, wie es in Motivationskreisen üblich ist, aber auf ihrem stand groß: „Why?“. Das Bild passte ausgezeichnet zu den Nachwirkungen, die mir in diesen Stunden überall begegneten.

Ich dagegen hatte keinen Sport gemacht. Ich ging normal, also schnell wie immer und gut gelaunt. Und ich merkte immer öfter im Vergleich zu den desolaten Sportopfern in lazarettreifer Haltung um mich herum, dass ich federnd ging, in guter Haltung und einfach bestens in Form. Ich zog also an allen vorbei und fühlte mich etwa zwanzig Jahre jünger. Eine angenehme, erfreulich belebende Erfahrung.

Für das nächste Jahr werde ich es mir gleich im Kalender vormerken, nach dem Marathon einen besonders langen Spaziergang zu machen. Um wieder neuen Schwung aufzunehmen, nur durch vergleichende Betrachtung, denn wie einfach und einladend ist das denn.

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Das neue Einkaufszentrum wurde bisher übrigens viermal wegen Feueralarm geräumt, die Innenstadt dagegen kam in diesem Zeitraum ohne besondere Vorkommnisse durch. Ich werte das als leichten Punktvorteil für den alten Stadtkern. Aber ein neutraler Beobachter bin ich dabei nicht, ich möchte die Innenstadt oder in großmütigen Momenten auch beide gewinnen sehen, nicht aber nur die Neubauten.

So viel Parteinahme muss schon sein.

Eine Außentreppe am Westfield-Einkaufszentrum

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Wiederum habe ich einige Menschen auf Youtube gefunden, denen ich gerne bei der Arbeit zusehe: The Bleachers. Die kannte ich nicht, aber wenn man etwas über die Band nachliest, wird klar, dass man zumindest den Leadsänger Jack Antonoff durchaus kennen könnte. Vor allem wohl, wenn man etwas jünger wäre, was nicht als Sehnsuchtsbekenntnis gemeint ist, nur als sachliche Einordnung. Er arbeitete mit Taylor Swift etc., und da ist meine Altersgruppe bekanntlich oft raus.

Aber dieses Kleinkonzert fand ich jedenfalls gut. Wobei man sich bei der Reihe ohnehin jederzeit feststehen kann.


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Filme, Mythen, Dosensuppen, Algorithmen. Dazu Salami.

Eine weitere Doku habe ich bei arte gesehen, über Glenn Close: Die Kunst der Verwandlung. Sie sind mir ein angenehmes Stück Freizeit, diese arte-Formate zur Filmgeschichte und zu Schauspielerinnen und Schauspielern. Ich bekomme dabei regelmäßig Lust, all die Filme zu sehen, aus denen da zitiert oder bildzitiert wird. Wozu es dann selbstverständlich nie kommt, aber das macht einfach nichts, es ist vollkommen egal.

Sehr entspannend ist das. Eine Art von gefühltem To-Do-Druck, der sich nach einer Weile einfach wieder auflöst, wie ein über Wiesen zergehendes Nebelwölkchen am Morgen. Man müsste dieses Muster auf etliche weitere To-Do-Arten übertragen können, und zack, die Welt wäre etwas besser.

Jedenfalls für mich.

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Apropos Muster! Beim Deutschlandfunk gibt es eine Lange Nacht über Joseph Campbell (157 Minuten). Gemeint ist der Campbell mit der Heldenreise und den Mythen, nicht der mit der Dosensuppe und später mit Andy Warhol, der faszinierenderweise auch Joseph hieß.

Ich höre mir diese wiederum gut gemachte Sendung an, zumindest erst einmal einen guten Teil davon. Nebenbei lese ich auch brav nach, was von Campbells Thesen heute überhaupt noch übrig ist, da ich da nicht im Bild bin (es ist gar nicht so wenig) und sehe auch nach, wie der Stand der Wissenschaft bei dem Thema ist. Ich stoße dabei auf ein Fachgebiet, dessen Bezeichnung ich so noch nie gesehen habe. Ich finde sie aber sofort und besonders faszinierend, diese Fachrichtung, schon vom Begriff her. Es ist erneut ein deutlicher Fall von „Ach verdammt, Beruf verfehlt“, aber ich konnte es damals auch nicht wissen. Wie auch immer, es gibt jedenfalls die Neuronarratologie, und wie anziehend klingt das denn.

Ein wunderbares Wort, nicht wahr, noch mit faszinierend wenigen Googletreffern, falls das heute überhaupt noch eine Messgröße für irgendwas ist. Diese Fachgebietsbezeichnung würde eine Visitenkarte ganz ungemein schmücken, denke ich.

Aber wie es aussieht, muss ich altersbedingt etwas abkürzen, denn es wird in diesem Leben und den verbleibenden Jahren wohl nur noch zum Neuronarren reichen. Das aber immerhin souverän.

Ein unordentlicher Haufen Bücher in einem Fenster, man sieht jeweils die Schnitte

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Ich höre und gucke weiterhin ab und zu auf Youtube nach dem Songwriter L. A. Salami (er kam im Blog bereits hier und hier vor, und beide Lieder sind immer noch empfehlenswert). Sein Wikipedia-Eintrag beginnt fast schon literarisch lapidar: “Salami grew up in foster care, developing a fascination with music.” So könnte auch eine Short Story anfangen, und ein schlechter erster Satz wäre es nicht.

Faszinierendes Zeug ist seine Musik jedenfalls. Da kann man ruhig mal reinhören, reinsehen und auch die Texte nachlesen, die sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließen. Aber pardon, darum ging es mir gar nicht, ich schweife ab und wollte auf etwas anderes hinaus.

Nämlich auf die manchmal schwer zu ertragende Strunzdummheit der Algorithmen. Denn wenn ich auf Youtube dreimal nach dem Songwriter L. A. Salami suche, was wird mir dann unweigerlich zusätzlich als weitere Empfehlung angezeigt? Clips zum Thema Pizza Salami, genau.

Manchmal möchte man vor Empörung den Bildschirm hauen. Aber der kann ja nichts dafür und der Ersatz kostet am Ende nur das eigene Geld. Schlimm.

My thoughts, tey too will tire. Passt schon, an einem Montagmorgen.


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