Specksteinvariationen

Es gibt hier im Haushalt ein überraschend großes und auch ziemlich plötzliches Interesse an Speckstein, genauer an der Specksteinbearbeitung. Die hat ein Sohn nämlich neulich in einem Kunstraum gesehen und war sofort fasziniert, um nicht zu sagen hingerissen. Wir haben dann dort etwas Speckstein geschenkt bekommen und das Stückchen wurde mit Hingabe rundgeschmirgelt, wonach es sich übrigens tatsächlich großartig anfühlte. Man möchte es gar nicht mehr weglegen, das kunstvoll geglättete Specksteinding, eine tolle Sache.

Heute war ich folgerichtig in einem Bastelgeschäft, man gerät mit Kindern ja in die absurdesten Läden. Im Bastelgeschäft haben wir Speckstein gesucht, wobei das mich begleitende Kind das Wort vor- und zurückbuchstabierte und zerlegte und mit Reimen versah, denn wenn man schon in einem Bastelgeschäft ist, dann kann man auch mit der Sprache basteln. Kostet nix, da freut sich der Vater! Wobei mir jedenfalls auffiel, das Speckstein ein hervorragendes Helmut-Schmidt-Wort ist, ich habe gleich wieder diese Stimme im Ohr gehabt und die spitzen S-Laute, gleich wieder den Tagesschaugong gehört, “Bonn”, und dann die Kamerasicht in den alten Bundestag, Helmut Schmidt tritt ans Rednerpult und hält eine Rede über die Specksteinversorgung in der Bundesrepublik, wobei er natürlich erwähnt, dass es sich um eine Frage der S-taatsdisziplin handelt. Er sagt S-peck-s-tein und es klingt ganz normal, das gehört so, S-peck-s-tein, als hätten Hamburger Kaufleute damit schon immer gehandelt, ein seit ewigen Zeiten wichtiges Wirtschaftsgut in den Hansestädten an der Küste, irgendwie banal und doch wichtig, wie Salz oder Hafer, so ein Wort ist das doch, eine gute und vernünftige Sache, verlässlich und bodenständig, wie gute Butter oder große Kartoffeln. Jedenfalls bis der Oppositionsführer das Wort ergreift und im Pfälzer Dialekt etwas zur Specksteinfrage erwidert, wobei der Speckstein aber nicht mehr wie ein klares und irgendwie auch würdevolles Wort klingt, der Schpeckschtein klingt jetzt eher feucht und rundgelutscht, sabberwarm und tendenziell scheußlich.

So denke ich da im Laden vor mich hin, fragen Sie nicht, ich weiß ja auch nicht, was in meinem Kopf immer so vorgeht und wie es dazu kommen kann, das hat man gar nicht immer im Griff und wer geht schon geistig unbeschädigt durch seinen Lebenslauf. Ich denke also immer weiter Speckstein, ich habe einen Sprung in der Platte, die Älteren erinnern sich, während ich schon an der Kasse stehe und den Sohn bitte, mir mal den Speckstein zu reichen, den ich dabei versehentlich formvollendet hamburgisch ausspreche, woraufhin mich die Kassiererin kurz irritiert ansieht, so ein fragender Blick unter ihrem Pony hervor, hat der Typ da einen an der Waffel oder ist er es wirklich, der allerletzte Hamburger, der so s-pricht? Im Ernst?

Wie auch immer. Jetzt wird hier weiter Speckstein rundgeschmirgelt. Macht Spaß. S-paß. Egal.

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Und ich habe drüben bei der GLS Bank drei Links gepostet, bitte hier entlang. Speckstein kommt da zwar nicht vor, aber das Grundeinkommen, die Ernährungslüge und der Feins-taub.

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7 Kommentare

  1. Jetzt weiß ich wohin ich den Specksteinvorrat entsorgen kann, der im Keller lagert. Braucht ihr mehr? Ich geb’s nach Hamburg mit! Unsere Jungs waren begeisterte Specksteinschmirgler. Infiziert waren sie nach einem Bauernhofurlaub, wo alle Kinder nachmittags sehr einträchtig nebeneinander saßen und die schönsten Gebilde und Handschmeichler produzierten. Schöne Erinnerungen.

  2. Jetzt ist der Speckstein auch eine wunderschöne Verbalskulptur geworden – ein Ohrenschmeichler sozusagen! Danke für die Einblicke in die Gedankengänge. Und ich finde es trostvoll, dass es offenbar noch mehr Menschen gibt, die plötzlich ein Wort, das bisher völlig unauffällig den Sprachschatz bevölkerte, dringend näher erforschen müssen…

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