Freie Tage

Ich habe vor einiger Zeit eine neue Kalender-App auf meinem Handy installiert. Das habe ich ab und zu anfallsartig, dass ich denke, mit einer neuen Kalender-App klappt künftig alles besser, ganz ähnlich verhält es sich übrigens mit To-Do-Listen-Apps, ich bin da anfällig. Ach komm, machste mal, und ab morgen haste dann alles besser im Griff, den Alltag, das Leben, die Jobs. Ich mag neu installierte Apps dieser Art sehr, solche Apps, in die man dann feierlich einen ersten Termin und ein erstes To-Do einträgt, Montag zum Kinderarzt und Milch kaufen, dann lehnt man sich zurück und denkt: Geht doch. Wirklich sehr übersichtlich, so etwas.

Das Gefühl kenne ich übrigens noch aus meiner Kindheit, das hatte ich bei jedem neuen Schulheft, in dem ich dann die erste Seite in angestrengtester Schönschrift gefüllt habe, immer mit dem Gedanken im Kopf: Ab jetzt bist du gut. Gut und strebsam. Und ordentlich. Und überhaupt viel brauchbarer als bisher. Aber so kam es dann natürlich nicht, zwei Seiten weiter entglitt mir die Schönschrift schon wieder zur gewohnten Sauklaue, waren die Häuser vom Nikolaus wieder am Rand und auch “Franka ist doof” sowie die wenig schmeichelhaften Lehrerporträts, Kulikritzeleien. Es war hoffnungslos.

Apps dagegen werden nicht unordentlich, Apps werden nur uninteressant, das ist eigentlich netter und nicht ganz so demütigend. Man trägt einfach nichts mehr in den Kalender ein, man erfasst einfach keine To-Dos mehr – und das war es dann. Irgendwann löscht man die App, wenn man denn mal dazu kommt. Die aktuelle Kalender-App jedenfalls schickt mir Tagesbriefings, das ist eine ganz feine Sache. Denn da ich in den Kalender natürlich wieder nichts eintrage, bekomme ich jetzt jeden Morgen pünktlich um sieben Uhr eine Nachricht aufs Handy, sie hat den wunderbaren und jeden Tag zu feiernden Wortlaut: “Sie haben heute einen freien Tag.”

Jeden Morgen eine fette Lüge also. Aber eine schöne. Ich lösche diese App noch lange nicht.

11 Kommentare

  1. Offenbar gehören wir derselben Spezies an ? Bin seit einigen Jahren wieder auf die guten alten Zettel zurückgekommen – bei wirklich wichtigen Dingen auch gern mal strategisch platziert („Tanken!“ mittig auf dem Lenkrad – ich wohne etwas abseits der Versorgungszentren). Das funktioniert deutlich besser als irgendwelche Apps, sieht aber natürlich nicht schick aus, und die Botschaft „Sie haben heute einen freien Tag“ bekomme ich so auch nicht – wobei, die könnte ich mir natürlich auch selbst schreiben, auf DIN A 4 und in Schönschrift ?

  2. Dankeschön, jaaaa, so ticke ich auch. Als weibliches Wesen falle ich auch regelmässig auf wahnsinnig schön gebundene und teure Kalender rein, die ich dann ein halbes Jahr lang sehr dekorativ mit mir herumtrage, obwohl nur zwei-drei Seiten ausgefüllt sind….heute meditiere ich bestimmt länger über deinen Satz „Ab jetzt bin ich gut“. Für den Anfang steckt dahinter ja der Gedanke, dass man es bisher nicht war, der Wunsch nach Läuterung. Muss was Urkatholisches sein, auch das ewige schlechte Gewissen…

  3. Zeit- / Energie-Management u Selbstorganisation – so wichtig! Hier kann man einem Profi über die Schulter schauen 😉
    Ich wünsche Euch einen schönen Freutag.

  4. Das mit den Schulheften hat umgehend Erinnerungen ausgelöst! Dafür, dass ich allerdings in Fächern, wo man „Mappen“ führen musste (Bio usw.) immer so schlampig war und alles auf Zetteln, die mittlerweile auch für alles Mögliche andere herhalten mussten, vermerkt hatte und die chronologische Reihenfolge auch nicht mehr nachvollziehbar war, hatte ich immer tipptopp-Mappen wenn sie zur Benotung eingesammelt wurden. Ich habe mir dann immer kurz vorher von einem Streber-Mitschüler die Mappe geliehen und in einer Nachtschicht alles in einem Rutsch erledigt und da waren natürlich alle Blätter noch glatt und schön….Zettel sind auch heute noch mein bevorzugtes Erinnerungsmittel: sie fliegen überall rum und wenn ich Glück habe, dann finde ich sie noch rechtzeitig…

  5. Ich hab’ sowas mit Zeitaufzeichnungsapps, z.B. Tyme. Das ist eine App, die mir mitteilen soll, wieviel Zeit ich auf welchem Projekt verbracht habe. Übers Jahr kann man dann schön visuell aufbereitet sehen, womit man so seine Zeit verbracht und Geld verdient hat Ich verkaufe allerdings schon eine ganze Weile nicht mehr meine Arbeitszeit, sondern rechne grundsätzlich nach Art der Arbeit und den benötigten Nutzungsrechten ab. Insofern ist diese Zeiterfassung nicht abrechnungsrelevant sondern nur informativ für mich selbst.

    Diese App kaufte ich also zu Beginn des Jahres, trug brav die ersten zehn Projekte ein und ab Tag 2 vergaß ich natürlich, auf den Knopf zu drücken und die Uhr mitlaufen zu lassen. Hektisch begann ich zu schätzen, wie lange ich wohl heute woran gesessen hatte und trug es manuell nach. Im Hinterkopf stellte ein leises Stimmchen die Frage, ob ich wohl noch ganz knusper sei, Zeit darauf zu verplempern, unnötige Zeiterfassungstools mit pi mal Daumen Zeiten zu füllen. Ich erwiderte brüsk, das sei ja nur eine Frage der Selbstdisziplin und Gewohnheit und die App habe schließlich auch Geld gekostet und Ruhe jetzt, verdorri!

    Nunja. Inzwischen ist der April bald um und die App bringt sich nur alle paar Monate unangenehm in Erinnerung, wenn es ein Update gibt. Dann habe ich kurz ein schlechtes Gewissen und will sie löschen, aber bringe es bislang noch nicht übers Herz. ‚Irgendwann mal kann man sie sicher noch gebrauchen‘ denke ich mir und höre das Stimmchen leise vor sich hin prusten.

  6. Darf man fragen wie die App heißt, die so schöne Tagesbriefings schickt? Habe ein ähnliches To-Do-Listen-App-Hobby.

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