Die Milch der frommen Denkart

Falls da jemand gerade gestolpert ist, es heißt im Original bei Schiller tatsächlich Denkart, nicht Denkungsart, wie alle immer sagen, ich natürlich auch bis gerade eben. Immer Zitate googeln, bevor man sie schreibt, dann merkt man so etwas. Aber sowieso geht es heute um Milch, nicht um Klassiker.

Adelhaid schreibt hier auch über Plastik und Einkauf, das ist natürlich immer großartig, wenn andere da so mitspielen, “Wie früher!”möchte ich da immer rufen, “Wie früher!”. Blogstöckchen, die Älteren erinnern sich. 

Bei Sven ist die Milch auch noch einmal Thema, und die Milch haben wir familienintern reichlich diskutiert, denn der Rahm in der Flaschenmilch stört die Kinder hier auch. Was etwas seltsam ist, denn im Heimatdorf der Herzdame trinken sie die Milch ganz frisch, sehr fett und quasi euterwarm auf dem Hof nebenan, aber egal. Milch in der Flasche ist jedenfalls schwierig. Und schwer.

Und weil es alles so schwierig ist, habe ich gestern einen Experten befragt, das soll ab und zu ja weiterhelfen. Ulf Schönheim ist auch als Regionalulf bekannt, ferner Vorstand der nördlichen Regionalwert AG (nein, keine Werbekooperation) und er war auch schon einmal bei “Was machen die da”.

MB: Das Tetrapak-Dilemma – hat der laienhafte Privatkonsument eine Chance, bei Themen wie Milchverpackung etc. etwas richtig zu machen – oder reicht das Richtigmachen nur bis zur Regionalentscheidung, weil man weiter einfach nicht kommt?

US: Grundsätzlich gilt: Je näher dran, desto besser ist Mehrweg. Denn Glas und Flüssigkeiten durch die Gegend zu fahren verbraucht viel Energie. Man muss dabei auch berücksichtigen, dass große Molkereien auch große Einzugsgebiete haben. Das heißt, die Milch fährt im Extremfall schon mal 200 Kilometer, bevor sie überhaupt in der Molkerei ist. Und: Die Pfandflaschen müssen ja auch zurück.

Mein persönlicher Tipp für Normalkäuferinnen und Normalkäufer in Hamburg, die keinen Hofladen und keine Milchtankstelle um die Ecke haben, ist die Vier-Jahreszeiten-Milch von De Öko Melkburen. Die ist zwar im Tetrapak, kommt aber von drei Bio-Höfen direkt vor der Stadt und wird in der Meierei Horst abgefüllt. Leider hat die Meierei keine Flaschenabfüllung, aber das kann sich eines Tages bestimmt ändern. So lange finde ich es wichtig, kleine regionale Projekte zu unterstützen, die ziemlich viel richtig machen, bis hin zur muttergebundenen Kälberaufzucht.

Und mein allgemeiner Tipp für andere Regionen: Möglichst bio, möglichst nah, möglichst kleine Molkerei, möglichst Mehrweg. In Hessen zum Beispiel von der Upländer Bauernmolkerei, in Schwaben und Franken von den Schrozberger Milchbauern, im Norden von der Meierei Horst, den genannten Öko-Melkburen oder von der Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof. Und noch ein Tipp: Viele der genannten Erzeuger bieten Besichtigungen und Veranstaltungen an. Dort kann man direkt mit den Menschen sprechen und ein Gefühl dafür bekommen, wieso sie so arbeiten wie sie es tun.

MB: Hat das Regionalthema mit dem Unverpackt-Thema und dem Plastikfrei-Thema überhaupt einen Sinnzusammenhang?

US: Naja, Sinn kann man sich ja überall basteln, sagt der Soziologe in mir. Aber ja, natürlich: je verpackungsärmer desto besser, und je plastikfreier desto besser. Denn bei Lebensmitteln und insbesondere bei Flüssigkeiten, die sich länger in Plastik aufhalten wie etwa Säften, ist eine Glasverpackung auch aus geschmacklicher und gesundheitlicher Sicht in der Regel besser. Und meistens kommt die Verpackung ja auch nicht aus der Region, das sollte man beachten im Sinne einer regionalen Ernährungssouveränität – was ja ein Ziel der Regionalwert-Bewegung ist.

Langfristig sollte es möglich sein, auch Verpackungen bio-regional zu erzeugen, zum Beispiel aus Abfällen der Lebensmittelproduktion. Die Forschung ist da schon recht weit – unter anderem mit Milchfasern  Dann sorgt die Milch nachher womöglich für ihre eigene Verpackung. Aber natürlich braucht man dann erstmal die Produktionskapazitäten. Und die kosten ziemlich viel Geld. Aber auch da wollen wir ja mithelfen.

MB: Warum eigentlich gibt es nicht mehr Märkte mit regionalen Zulieferern in der Stadt und gibt es dazu irgendwo Modellprojekte?

US: Ja, bald im Hamburger Oberhafen. Dazu kann ich in zwei, drei Wochen mehr erzählen. Oder in der Markthalle Neun in Berlin.

Aber grundsätzlich: Die klassischen Wochenmärkte leiden unter drei Dingen. Erstens: sozialer Wandel. Freitags und sonnabends funktionieren Wochenmärkte nach wie vor gut. Aber wer hat heute noch Zeit, zum Beispiel dienstagsvormittags auf den Markt zu gehen? Selbst auf dem Hamburger Isemarkt gibt es zu dieser Zeit Lücken, weil zu wenig Kunden kommen. Zweitens: Die Anbieter auf dem Wochenmarkt oder in Markthallen haben relativ hohe Personalkosten. Insbesondere im Vergleich zum normalen Supermarkt, der auf großen Flächen mit wenig Personal hohe Umsätze erzielt. Und: Wochenmarktstände müssen ihren kompletten Umsatz mit Lebensmitteln machen. Für viele Supermärkte sind frische Lebensmittel dagegen häufig nur noch Sonderangebotswerbung, damit die Kunden in den Laden kommen. Ihr Geld verdienen sie dann mit Convenienceprodukten, Aktionsware, Duschgel oder Kosmetik. Da kann eigentlich kein Wochenmarktstand mithalten, es sei denn, er kauft beim billigsten Großhändler.

Bei Markthallen kommt drittens dazu, dass die Mieten an guten Standorten in der Regel so hoch sind, dass sie kein kleiner Standinhaber zusätzlich zu den Personalkosten bezahlen kann. Oder dass die Lebensmittel dann furchtbar teuer werden. Eigentlich wäre das eine städtische Aufgabe: Neben sozialem Wohnungsbau für sozialen Markthallenbau zu sorgen, wo sich die Bewohnerinnen und Bewohner zu vernünftigen Preisen bei kleinen Erzeugern eindecken können. Solange das nicht der Fall ist, muss man es eben selber machen, zum Beispiel über Marktschwärmereien, Solawis und Mitgliederläden oder im größeren Zusammenhang über die Regionalwert-AGs, die es bald in fünf Regionen Deutschlands gibt. Und weitere Regionen haben Interesse.

Nach dem Interview fiel noch ein Satz, den ich hier mit aufnehme, weil er auch für die Experimentzeit bei uns wichtig ist:

US: Persönliches Engagement ist immer super. Aber man sollte sich damit nicht überlasten und nicht versuchen perfekt zu sein. Das macht nämlich unglücklich. Letztlich wäre das Plastikproblem auch eine Aufgabe der Politik. Irgendwo habe ich mal den Vorschlag gelesen, Kraftstoffpreise im Vorhinein langsam und berechenbar steigend festzusetzen. Liegen die realen Preise drunter, geht das Geld in einen Fonds. Liegen sie drüber, nimmt man Geld wieder raus. Dann wissen Verbraucher und Wirtschaft Bescheid und können sich darauf einstellen. Das sollte man dann praktischerweise nicht nur für Kraftstoffe, sondern gleich für alle Mineralölprodukte machen.

Soweit Ulf Schönheim. Wir halten währenddessen für die Mich das Zitat fest: “Möglichst bio, möglichst nah, möglichst kleine Molkerei, möglichst Mehrweg.” Das sage ich dann am Regal einfach auf und zähle ab. Easy.

Es wurde Regen für den Nachmittag angekündigt, vielleicht komme ich dann noch einmal zum Schreiben, denn es fehlt hier weiterhin der Dienstag, es fehlt mittlerweile auch der Mittwoch, es fehlt die Antwort auf die Frage, wo die Kartoffeln hin sind, was eine Knoblauchsrauke ist, warum ich mittlerweile fast gar nichts mehr einkaufe und warum das sehr erhellend ist, ich möchte fast sagen, es ist erschreckend erhellend. Aber keine Sorge, ich habe gestern und vorgestern alles stichwortartig mitgeschrieben, kommt alles.

Währenddessen wird im Garten die Laube gebaut, wir sind daher ein wenig abgelenkt, pardon. Immerhin aber ist die Laube nicht aus Plastik, Schwein gehabt! Allerdings: Die Holzstapel waren in Plastik verpackt. Schlimm.

22 Kommentare

  1. Ich habe kürzlich einen sehr pragmatischen Umgang mit Milchrahm aus der Flasche kennengelernt: Am Frühstückstisch lag ganz selbstverständlich ein kleines Küchensieb (aus Metall) bereit, durch das die Milch von der Milchtankstelle erstmal durch musste – adios, Milchrahm!

  2. Danke! Danke auch an Ulf. Das mit den Personalkosten ist so logisch und dennoch habe ich nie darüber nachgedacht. Mein Markttermin ist Dienstagmorgen (noch was, was toll ist als Freiberuflerin!).
    Bei Milch hab ich ein riesiges Problem, ich trink nämlich die mit unter 1% Fett und viel davon! Und die gibt es nicht von vernünftigen Anbietenden … (Ernsthafte Frage: Ist Hansano noch als regional zu bezeichnen? Dann kauf ich halt doch die teure Weidemilch statt der Edeka-Hausmarke.)
    Vom Hamfelder Hof gab es mal eine entrahmte Milch, aber die war nicht zum Schäumen zu bewegen. Gar nicht. Ich war wohl nicht die einzige, die die 1x und nie wieder gekauft hat. Schade!!

  3. Solltet ihr vorerst doch nicht ums Tetrapak herum kommen, könnt ihr es nach Gebrauch immerhin noch wiederverwenden (also „reuse“, falls „reduce“ nicht klappt): eine der vier Längsseiten abschneiden und somit zum Blumentopf für das Vorziehen von Pflanzen machen. Bei Bio-Milchkartons mit grüner Farbgestaltung sieht das gar nicht so übel aus…

  4. @Dominik: Ich las auch den Tipp, sie als Gefrierboxen zu verwenden: Deckel abschneiden, an den Falzen einschneiden, nach dem Füllen oben übereinander zuklappen, Gummiband drum. Was mich davon abhält, ist die Wasserverschwendung, denn in der Spülmaschine klappt das eher nicht.

  5. @Dominik und @Ania: Das mit dem Re-Use von Tetrapacks ist schon klar, aber wenn man als Familie zwei oder mehr pro Tag verbraucht – so viele kann man weder bepflanzen noch einfrieren.

  6. @Maximilian, das ist natürlich ebenso klar, aber hier lesen ja noch mehr Piepelz mit; und irgendwann liest mensch jede Idee zum ersten Mal ;))

  7. Genau, die Mich von der Landwirtschaftsgemeinschaft Hamfelder Hof nehm ich auch immer. Gibt’s nicht nur bei Edeka, sondern auch bei Denn’s.

  8. Hansano kommt aus Norddeutschland, gehört aber zu Arla Foods. Die sind zwar noch irgendwie genossenschaftlich, aber inzwischen so groß, dass der einzelne Landwirt eigentlich nichts mehr zu sagen hat. Außerdem gehören sie zu den Treibern der Konzentration: Vor ein paar Jahren hätten sie fast die Hamfelder Meierei plattgemacht.

    Ich bin heute auf Hof Dannwisch, Hoffest (Vorzugsmilch! In Pfandflaschen!). Weitere Infos entweder dort oder die nächsten Tage in dieser kleinen digitalen Stube.

  9. Zum Rahm: wir holten früher Milch direkt ab Hof, füllten sie in einen Krug. Nach einem Tag konnte man den Rahm mit einer kleinen, geraden Suppenkelle prima abschöpfen. Der kann dann für Salatsaucen oder zum Kochen verwendet werden.
    Zudem hält die restliche Milch länger, denn der Rahm wird zuerst sauer. Was wiederum zum Kochen kein Problem ist, Sauerrahm eben.

  10. @Ania: Hier noch eine kleine Ergänzung. Weidemilch ist immer besser als Nicht-Weidemilch. Denn nur wenn die Kühe Gras und Heu fressen, enthält die Milch zum Beispiel Omega-3-Fettsäuren. Außerdem ist der Kuhfladen auf der Wiese prima für Bodenleben und Insekten. Gülle aus dem Stall ist das nicht.

  11. @Ania
    Natürlich ist das *auch* ein Marketinggag. Wie häufig geht’s um die Details. Im Winter kann es zum Beispiel keine Weidemilch geben, weil dann das Gras gar nicht wächst. Ich hab mal nachgeguckt: Hansano schreibt bei der Weidemilch „Weidegang an mindestens 120 Tagen im Jahr.“

    Meine persönliche Empfehlung wäre die 1,5%-ige Milch der Meierei Horst, bei deren Bauern sind die Kühe im Zweifel so lange wie möglich draußen. Die Meierei arbeitet handwerklich, ist gemeinwohlzertifiziert und kümmert sich wirklich sehr um Kunden. Und die Landwirte bekommen einen im Vorhinein feststehenden Preis, mit dem sie kalkulieren können (was bei Hansano nicht der Fall ist). Alle Edeka-Märkte im Norden können die Horster Milch seit April über ihre Zentrale bestellen.

  12. Nebeninfo: Wir Regionalwert-AGs erweitern das Konzept gerade zur Regionalwert-Ökonomie mit einer eigenen sozialökologischen Buchhaltung. Das wird sehr spannend. Die Freiburger testen das schon bei landwirtschaftlichen Betrieben.

  13. Und noch ein Detail. Letzte Woche war ich in der Hamfelder Meierei. Bei ihrem neuen Joghurt haben sie sich für einen Papp-/Plastikbecher entschieden, Einweg. Der Becher wiegt etwa zehn Gramm. Zum Vergleich: Der Einweg-Deckel eines Mehrweg-Joghurtglases wiegt neun Gramm. Dazu kommen mehrfache Transporte der Gläser (Sprit, Reifenabrieb). Deshalb würde ich auch hier sagen: möglichst bio, möglichst nah, möglichst kleine Molkerei, möglichst Mehrweg (aber eben nicht unbedingt und an erster Stelle).

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