Ich bin ja so alt, in meiner Jugend galt der Stern noch als lesbare Zeitschrift. Und den hatten wir auch tatsächlich im Haus, den Stern für die bunten Bilder und die Aufreger, die Zeit für die langen Texte und das Bildungsgehabe, das war damals so die Mischung. Und wie mein Erdkundelehrer immer sagte: “Ab und zu auch mal die SZ!” Den Stern las ich auch tatsächlich durch, ich glaube fast, sogar bis zu den Hitlertagebüchern. Das ist das eine.
Das andere ist, dass ich etwa im Alter von dreizehn Jahren ein Stockwerk gewechselt habe, und zwar das in der öffentlichen Bücherei. Oben waren die Kinderbücher, da war ich größtenteils durch, unten waren die Bücher für die Erwachsenen, damit fing ich dann mal an. Natürlich völlig planlos und ohne viel zu verstehen, Krimis, Science-Fiction, Thomas Mann, was da eben so stand, wobei Klaus Mann daneben noch viel interessanter war. Einige Namen waren bekannt, in die guckte ich dann eben rein, über die sprachen ja alle, also etwa im Stern oder in der Zeit zum Beispiel, mehr Begriff von “alle” hatte ich damals gar nicht. Aber diese Bücher mussten ja gut sein. Und weil die Bücherei nicht sehr groß war, kam mir die Aufgabe auch überhaupt nicht unlösbar vor, sich in der Literatur auszukennen, das schien durchaus machbar, man würde eben ein paar Winter brauchen, na und, die Winter waren ja lang und öde genug an der Küste. Henry Miller, Stephen King, Balzac, egal, gib her. Auch so ein Name: Alberto Moravia. Den habe ich, wenn ich mich richtig erinnere, bis heute nie gelesen, der landete aber damals auf meiner geistigen Irgendwannmalliste, über den sprach man nämlich, das war so ein Großintellektueller, der sagte und schrieb wichtige Sachen. Im Stern war ein Interview mit ihm, das las ich natürlich auch, Interviews lasen sich schnell weg und zack, war man schon auf der Höhe der Zeit. Interviews waren super, dann wusste man, ach ja, Moravia, das war der mit dem Satz neulich. Und genau so etwas wollte ich wissen, als angehender Bildungshochstapler fand ich solche Formate besonders brauchbar.
Alberto Moravia war jedenfalls in Hamburg, vielleicht sogar wegen des Interviews, das weiß ich nicht mehr. Aber diesen einen Satz von ihm, den habe ich mir dann versehentlich sogar bis heute gemerkt, der besagte nämlich, dass ihn diese typischen Hamburger Mietshäuser aus roten Ziegeln, die Klinkerhäuser, an deutsche Schwarzbrote erinnerten, die in Bäckereien nebeneinander im Regal liegen. Häuser wie Schwarzbrote, dunkel und stabil. Natürlich weiß ich die genaue Formulierung nicht mehr, ich weiß nur das mit den Schwarzbroten. Und seit diesem Interview, das ist ein paar Jahrzehnte her, denke ich jedenfalls immer, wenn ich an dunkelroten Hamburger Wohnblöcken vorbeigehe, besonders an Regentagen, an Schwarzbrot und Moravia. Wobei es Moravia übrigens auch als Pils gibt, dadurch wird es noch besser, Bier und Schwarzbrot und rote Ziegel. Ich weiß sonst keinen einzigen Satz und auch keinen Fakt aus den paar Jahren Sternleserei mehr, aber den dann doch und vermutlich werde ich diese Assoziation auch noch für den Rest meines Lebens behalten, rote Klinker, Bier und Schwarzbrot. Sie dürfen das jetzt gerne übernehmen, wenn Sie mal durch Hamburg gehen. Falls Sie sogar hier wohnen, es fühlt sich herrlich heimatlich an, wenn man mit diesem Gedanken durch Hamm oder Borgfelde oder durch die Schlankreye geht und an den Häusern hochsieht.
Und das wollte ich nur kurz sagen, wie seltsam und wie lange Print wirken kann.
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Andi Almquist! “We don’t fall in love around here anymore, it all turned out to be – Pornography.”
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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.
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Die Fortsetzungsromane im Stern, die damals nicht einmal schlecht waren, waren der Beginn meiner (insgesamt eher zweifel- und lückenhaften) literarischen Bildung.
Den Stern bekam ich ab circa Gymnasium immer bei meiner Oma, Lehrerin a.D., zu lesen, die ihn abonniert hatte. Vorher riss sie jedoch alle Seiten raus, die Unzüchtiges abbildeten – ich bekam also zumeist nur ein sehr dünnes Heft…
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Hätte es keine öffentlichen Bücherhallen gegeben, wäre mein Leben sehr viel trostloser verlaufen.
Das Eltern- und Großelternhaus zerbombt, gab es ersten neuen Wohnraum für die Familie Anfang der 1950er Jahre in der Hamburger Neustadt am Fuße der Michaeliskirche. Bücher waren Luxusware, Notwendigkeiten hatten Vorrang. Und daher frequentierte ich seit Lesefähigkeit meine nächst erreichbare Bücherhalle an den Kohlhöfen (die älteste ihrer Art) in Permanenz. Auch ich durfte frühzeitig überwechseln in den Erwachsenenteil. Wurde aber leider nicht begleitet mit guten Ratschlägen sondern wurschtelte mich so durch. Meine Dankbarkeit diesen Einrichtungen gegenüber ist groß, umso trauriger machte es mich, von der Schließung eben dieser Bücherhalle als erster Sparmaßnahme zu hören, in einer Gegend, die eine solche Bildungseinrichtung sicher dringender brauchte als andere.
Ebenso wurschtelte ich mich auch durch den Lesezirkel oder Büchermappe, der nur erreichbar war während unserer Besuche bei der geballten Tantenschaft und den ich in Windeseile durchlesen musste. Ich habe wirklich jeden Mist gelesen, bin aber noch heute der Meinung, es hat mir nicht geschadet sondern ein breites Spektrum der Gesellschaft gezeigt. Im Laufe der Zeit gefiel mir der STERN am besten und diesem habe ich deshalb bis heute die Treue gehalten, ja, bewusst auch durch schwierige Zeiten hindurch. Die Editorials von Henry Nannen haben mein Weltbild als junger Mensch wesentlich beeinflusst.
Kam ich durch den STERN auf Moravia? Wahrscheinlich. Meine inneren Bilder von Italien sind vermutlich beeinflusst worden durch dessen Bücher.