15 Minuten am Dienstag

Zu den überraschenden Erkenntnissen, die man unfreiwillig hat, wenn man sechs Wochen wegen irgendwelcher Gebrechen nicht ins Büro geht, gehört es, wie unfassbar self-inflating die ganz normalen Aufgaben im Haushalt sind, wenn man ihnen nur Raum und Zeit lässt. Nehmen wir nur das tägliche Einkaufen, denn essen muss man ja, komme was wolle. Das mache ich sonst auf dem Rückweg vom Büro, dieses Einkaufen, quasi nebenbei, das fällt alles so an. Wenn ich aber gar nicht im Büro bin, dann gehe ich da erst einmal extra hin, also in welchen Laden auch immer, darüber kann ich ohne Büro auch viel länger nachdenken,weil ich ja nicht an meinen Heimweg gebunden bin. Ich kann also z.B. in den Laden gehen, der für ein Produkt genau richtig und nicht nur wie sonst halbwegs passend ist. Ich gehe vielleicht in einen bestimmten Laden, weil es das Zeug da in der genau gewünschten Form gibt, in regional oder in bio oder in billig oder so, wie es hier die Kinder unbedingt haben wollen oder was weiß ich. Plötzlich ist da alles voller Optionen. Ich kann auch nacheinander in drei Läden gehen und dann noch auf den Wochenmarkt. Das dauert viel länger, natürlich, aber warum auch nicht, ich habe ja nichts vor. Schon dauert das Besorgen der simplen Suppenzutaten nicht fünfzehn Minuten wie sonst, schon dauert das anderthalb Stunden und ich habe im Grunde gar nichts gemacht und wenig erreicht, die Suppe jedenfalls schmeckt trotz des Aufwandes so wie sonst auch. Und so geht das quasi mit allen banalen und sonst so mühsam kleingehaltenen Aufgaben im Alltag, sie blähen sich auf, sie wachsen, sie belagern und erobern Stunden, Vormittage, Nachmittage, sie machen sich im Kalender breit wie Bakterien in einer Petrischale. Wer Zeit hat, der wendet auch Zeit auf, das wird am Ende eine nicht leicht zu umgehende Grundregel sein, dazu muss man bis zur Rente also auch eine brauchbare Einstellung finden, merken wir das ruhig schon mal vor.

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Das oben erwähnte self-inflating ist übrigens ein Begriff mit Geschichte für mich, das erzähle ich noch schnell, die Uhr läuft, es wird knapp. Vor vielen, vielen Jahren habe ich mal an einem denkwürdigen Meeting teilgenommen, in dem es um ein Produkt ging, das “self-inflating”war. Ich weiß gar nicht mehr, welches Produkt das genau war, vermutlich waren die ersten self-inflating Isomatten damals gerade neu und wir haben etwas mit der Markteinführung zu tun gehabt, so etwas in der Art. Der Chef der Abteilung war neu in dem Job, er war gerade erst befördert worden und, das ist fast schon historisch interessant, er hatte einen der damals ganz neuen englischen Titel bekommen, Head of irgendwas, in der Unterzeile irgendwas mit Management, diese Bezeichnungen gab es bis dahin noch gar nicht, man war vorher einfach irgendwann Abteilungsleiter geworden, jahrzehntelang, aber das klang jetzt auf einmal muffig und nach Behörde oder bestenfalls nach Karstadt. Die coolen Leute wurden auf einmal Head of irgendwas und machten alle was mit Management und Projects und so. Man diskutierte also in dieser Abteilungsrunde herum, was genau man nun mit diesen self-inflating Dingern machen sollte, als sich nach einer Weile eine ältere Dame, gefühlt seit dem Kartoffelkrieg in der Firma, zu Wort meldete und eine einfache Frage stellte, für die man wiederum wissen muss, dass es einmal Zeiten gab, in denen in Büros gar nicht jeder Englisch verstanden hat, manche Menschen auch nicht ein einziges Wort, doch, das war normal. Englisch war damals eher für die von der Uni, das war aber nicht jeder. Die Dame fragte also, nachdem sie schon eine ganze Weile immer irritierter geguckt hatte, vollkommen berechtigt: “Aber was ist denn nun eigentlich self-inflating?”

Woraufhin ein stets schlecht gelaunter Kollege, allseits bekannt für deutliche Worte und eine eigene Meinung, gut hörbar für alle sagte: “Guck dir unseren Chef an.”

Liebe Kinder, Ihr habt es längst geahnt, dieser Chef war ich natürlich selber und dieser Meetingmoment war gar nicht so unwichtig für meine etwas später getroffene Entscheidung, die Karriere im Management trotz der überaus verlockenden Verdienstaussichten doch lieber selbst abzubrechen. Und die Moral von der Geschicht’: Deutliche Worte und eigene Meínungen sind gar nicht so schlecht und bewirken manchmal etwas, merkt Euch das. 

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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4 Kommentare

  1. Ja, es tut gut, wenn einem ab und an zum rechten Zeitpunkt ein wenig die Luft aus dem Ego lässt, um quasi im Bild zu bleiben.
    (Schön, dass Du wieder schreibst. Weiterhin zügige Genesung!)

  2. Deine Beobachtung zum Einkauf hat der Soziologe Northcote Parkinson anhand der englischen Bürokratie entdeckt und systematisiert. Er sagt, dass Arbeit sich anhand der vorhandenen Ressourcen, die für ihre Erledigung bereitstehen, ausdehnt. Parkinson hatte bemerkt, dass die Verwaltung der englischen Kolonien immer mehr Leute bekam, obwohl das englische Empire selbst schrumpfte.
    Eine Erkenntnis, die fast jeder an der Uni beim Verfassen einer Hausarbeit bemerkt hat.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Parkinson%27s_law

  3. Analog zu Parkinson’s Law gibt’s noch fas Gesetz unseres Haushalts: Wo Platz ist, kommt Kram hin!

    Übrigens nervt es, wenn man versehentlich das Datenschutz-Kästchen nicht anklickt und dann der ganze Kommentar weg ist.

    Trotzdem weiterhin gute Besserung!

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