In freier Natur

Obwohl es in den letzten Wochen viel zu wenig regnete, blieben uns doch immerhin die Dunkelheit und auch das große Grau, die lieferte der November verlässlich wie eh und je. Und die beiden reichten mir dann auch, um nicht rauszugehen, um noch mehr zu lesen als sonst, um einfach sitzenzubleiben. Ich finde, das gehört im November so, das ist quasi die saisonale Leitkultur. Gegen Ende des Monats fiel mir dann wieder auf, was mir in jedem November irgendwann auffällt, nämlich dass ich von der Natur und dem anderen Zeug da draußen nicht viel mitbekam. Eine Denkfalle, da kann ich noch so alt werden, jedes Jahr falle ich auf diesen Unsinn herein und denke, ach, denke ich, du könntest ja mal in die Natur. Am Ende ist es schön da, du könntest dich in den Vorjahren ja getäuscht haben oder mittlerweile empfänglicher für gewisse subtile Reize sein, für Zwischentöne im Grau und im Matsch oder so, man entwickelt sich doch weiter.

In diesem Jahr habe ich aber eisern durchgehalten und war erst am 1. Dezember in der Natur. Der 1. Dezember ist allerdings vom letzten Tag des Novembers anhand der Signale in der Natur nicht zu unterscheiden, der 1. Dezember ist im Grunde auch nur ein weiterer Novembertag mit mehr Lichtern und Deko.

Wir haben einen Tannenbaum geschenkt bekommen, das war eine Werbeaktion aus dem Kontext meines Bürojobs, wie auch schon im letzten Jahr. Einen Tannenbaum, den wir selber absägen oder umbeilen konnten, letzteres die Wortwahl von Sohn II, stolzer Beilinhaber. Das fand statt auf einem Erdbeerhof vor den Toren der Stadt, was nicht unmittelbar einleuchtet, aber gut, die müssen da auch sehen, wie sie im Winter über die Runden kommen, deswegen verkaufen die da Tannen und Weihnachtsdeko und das ganze Zeug. Und zwar verkaufen sie das, um noch eben eine alte Frage aufzuklären, die sicher viele Menschen beschäftigt, aus diesen erdbeerförmigen Erdbeerverkaufshäuschen heraus, womit wir jetzt also wissen, was mit denen im Winter passiert. Man schiebt einen Grill hinein und verkauft dann Bratwürste aus ihnen, man hängt Glitzerkugeln in sie und verkauft Dekoklimbim mit Winterbezug. In einem Erdbeerhäuschen saß einfach nur ein Mann und wartete darauf, die frisch gefällten Tannenbäume der Kunden einzunetzen, in einem anderen saß jemand und kassierte irgendwas. Es gab mal diesen berühmten Tweet von irgendwem, in dem gefordert wurde, dass alle Artikel des täglichen Bedarfs aus Erdbeerhäuschen heraus verkauft werden sollten – man muss nur einen großen Erdbeerhof im Winter besuchen, um sich ein Bild davon zu machen. Die Erdbeerhäuschen aber, die trotz aller Kreativität und Marketingraffinesse nicht gebraucht wurden, die hatten sie hinter dem Hof schräg an eine Scheunenwand gestellt, schräg, damit Regenwasser aus ihnen ablaufen konnte. Sie sahen aus wie die ausrangierten Gondeln einer riesigen Jahrmarktattraktion, ein wirklich schlimmer Novemberanblick, trost- und hoffnungslos, lieblos abgeräumte Spaßbuden, ausrangierte Reste des Sommers.

 

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Auf der Fahrt zum dem Erdbeerhof, ich habe etwas ausgelassen, pardon, kamen wir am Ahrensburger Schloss vorbei, dem die Söhne zu meiner Überraschung sofort attestierten, nicht schön zu sein. Das haben wir eine Weile diskutiert, denn ein garstiges Gebäude ist es nun auch nicht gerade, finde ich, da würden mir ganz andere Beispiele einfallen. Das mündete dann in der bemerkenswerten Feststellung der Söhne, die Herzdame und ich würden eindeutig besser aussehen als das Schloss da. Ein vielleicht etwas anstrengender Vergleich, aber man nimmt doch gerne alle Komplimente mit, die man noch kriegen kann.

Was ich aber eigentlich sagen wollte, auf diesem Erdbeerhof stand ich also eine Weile unter freiem Himmel in der Natur herum, vor mir Wiesen und landwirtschaftliche Nutzgebäude, junge Tannen und abgeerntete Felder unter einem wie immer grauen Himmel, in der Ferne Streusiedlungen, über den Bäumen zwei, drei Saatkrähen, das war ein beliebiges Stück Schleswig-Holstein in der Nebensaison. Und schön war das nun nicht, Natur hin oder her. Sondern einfach ziemlich farblos und tendenziell fürchterlich langweilig, sogar das Grün der jungen Tannen wirkte eher schmuddelig als attraktiv, es war insgesamt ein Anblick, der nicht zu stundenlangen Spaziergängen verlockte, es war insgesamt ein Anblick, nach dem man sehr gut wieder irgendwo reingehen konnte, etwa um in Ruhe zu lesen. Was sollte man verpassen?

Und so habe ich dann doch noch zumindest im Nachhinein die Bestätigung bekommen, den November richtig verbracht zu haben. Auch nett.

Wie man aber den Dezember richtig verbringt, das erarbeiten wir uns dann in Kürze.

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Genug vom Land. Jetzt herumhängende Musiker in Berlin.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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3 Kommentare

  1. Sven Regener findet mal wieder die passenden Worte

    „Wo die Luft am schlimmsten ist,
    ist das Atmen attraktiver und das Husten intensiver…“

    – wunderbares Lied! –

  2. Wenn ich mich recht entsinne, war das Herm von HermsFarm mit den Erdbeerhäuschen. Dieser Tweet ist mir auch im Gedächtnis geblieben.

    An der Erdbeerverkaufsstelle, die an meiner Laufstrecke liegt, ist nun auch ein kleiner Weihnachtsmarkt/Tannenbaumverkauf. Offenbar die logische Zwischennutzung.

  3. Herrlich dieser Song und so passend auch in Hamburg, Rendsburch oder Delmenhost.

    ROMANTIK, rufen wir laut und reissen die Arme Richtung Himmel.

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