Der richtige Nebel

Die ganze Familie war im Kino, “Charles Dickens – der Mann, der Weihnachten erfand”, ein Film über die Entstehung seiner Weihnachtsgeschichte. Wer schon jemals Geschichten geschrieben hat, wird an dem Film mit Sicherheit einen ganz eigenen Spaß haben, alleine die Szene, in der die Figuren des Buches unzufrieden im Arbeitszimmer des Dichters sitzen, ihn kritisch ansehen und an der Handlung herumnörgeln – schon schön. Und Christopher Plummer als Scrooge ist eine hervorragende und äußerst passende Besetzung.

Sohn II: “Ich fand den Anfang des Films gut und das Ende und alles dazwischen. Dass mit dem kleinen und kranken Tim fand ich bewegend, und dass mit den Armen war sehr traurig. Es ist aber richtig, so etwas in Filmen zu zeigen, damit man auch an die Armen denkt und sich Mühe gibt, gut zu sein. Oder besser zu sein. Ich war noch nie in einem so traurigen Film, aber ich finde es jetzt sehr toll, dass ich ihn gesehen habe.”

Sohn I: “Ich fand das auch gut, dass Charles Dickens sich für Arme engagiert hat und ich sehe gerne Filme, die in älteren Zeiten spielen, mit den Kostümen und Kulissen und so, das finde ich interessant. Der Film ist ab etwa zehn oder elf Jahren geeignet, für Erwachsene ist er aber auch gut.”

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Den Band von Orwell lese ich nicht zu Ende, der ist mir gerade zu negativ. Die Wiederlesewahrscheinlichkeit ist außerdem gering, der kann also weg. Jetzt kommt ein nicht ganz so bekannter Huxley, sein erster Roman: “Eine Gesellschaft auf dem Lande”. Aus dem Englischen von Herbert Schlüter.

Nebenbei wird auf vielfachen Wunsch abends im Kinderzimmer die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens vorgelesen, das ist nach dem Film natürlich naheliegend. Und wie Sohn I ganz richtig feststellt: “Der konnte ja mal richtig gut beschreiben.” Wir haben uns darüber noch etwas unterhalten und gemeinsam festgestellt, dass etwa Nebel, der in einem Buch beschrieben wird, nur richtig gut dargestellt ist, wenn man beim Lesen die Decken unwillkürlich fester um sich zieht. Und es nebelt sehr in der Weihnachtsgeschichte.

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Zur optimalen Nutzung des Dezembers, heute der Stimmungspart. Ich war mit Sohn I an einem Abend in der Hamburger Innenstadt, Weihnachtsmärkte gucken. Die Straßen waren noch brechend voll, ungeheure Menschenmassen in den Läden und an den Ständen. Wir hatten uns vorher gegen die sauteuren Verlockungen der Buden immunisiert, indem wir uns höchst clever schon zuhause mit Lebkuchen vollgestopft haben, danach geht man ganz entspannt sogar an Crêpeständen vorbei, an denen die Preise übrigens um teils zwanzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind, man kann nämlich überall Mathe üben.

Weder der Sohn noch ich sind große Freunde von Menschenmassen, er sieht aufgrund noch mangelnder Größe zwischen all den Leuten nichts, ich bekomme im Geschiebe Rückenschmerzen und wilde Sehnsucht nach der Hegloländer Düne im Winter oder nach irgendwelchen anderen Flecken, die weitgehend frei von menschlichen Besuchern sind. So schoben wir uns also so schnell es nur ging durch die Spitaler Straße, warfen einen Blick auf den Gerhart-Hauptmann-Platz und auch auf die Buden vor der Kirche in der Mönckebergstraße, was da alles so am Weg lag. Wir gingen an den religiösen Spinnern vorbei, die mitten im Gedränge versuchten, die Massen zu missionieren, immerhin wurden sie dafür nicht mit Pfeil und Bogen erlegt wie auf gewissen Inseln.

Die ersten Geschäfte waren schon geschlossen, in den Eingängen bauten Obdachlose sorgsam ihre Betten aus Isomatten und Kartons und Schlafsäcken, während Menschen mit prallvollen Einkaufstüten buchstäblich noch über sie hinüber stiegen, da wurde wieder kein Klischee ausgelassen, reiche Stadt, arme Stadt, die Themen von Charles Dickens laufen immer noch. Am Rande der Weihnachtsmärkte saßen Menschen mit neongelben Westen auf den großen Lastwagensperren aus Beton. “Security” stand hinten auf ihrer Dienstkleidung, sie saßen da und rauchten und sahen auf ihre Handys. “Schön”, sagten wir, “sehr besinnlich hier!” Dann eilten wir weiter, denn wir mussten noch zum Rathausmarkt, vor dem wir dann Hand in Hand stehenblieben und eine ganze Minute lang auf das großflächige Gewimmel und das vielfältige Leuchten und Blinken sahen und auch auf den Klangbrei aus den besten Weihnachtsliedern der 60er, 70er, 80 usw. lauschten.

“Ungeheuer stimmungsvoll”, sagte ich. “Voll schön”, sagte der Sohn und dann gingen wir wieder nach Hause.

Die Sache mit den Weihnachtsmärkten haben wir dann jetzt erledigt, ich vermute sogar in Bestzeit.

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Noch einmal vielen Dank für die Zusendung des Saatgutadventskalenders, der ist ja auch noch richtig dekorativ! Stark.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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3 Kommentare

  1. Als ich noch in Lohn und Brot eines privaten Arbeitgebers stand und mein „Gehalt“ noch nicht von der Rentenkasse bekam, hatte ich Zeit und Muße, die Weihnachtsmärkte rund um die Binnenalster in der Mittagspause anzuschauen. Da war’s dann schön leer und ich konnte das Angebot anschauen. Aber das hat dann auch schon gereicht.

  2. Mein Mann hat die letzten 5 Jahre in Dresden einen Stand mit Original Thüringer Rostbratwürsten betrieben.
    Dieses Jahr haben wir Abstand davon genommen, denn im Vergleich zum letzten Jahr sind die Standgebühren um 40% und im Vergleich zum ersten Jahr zu fast 80% gestiegen. Wir können aber den Preis für eine Wurst nicht so hoch ansetzen, das bezahlt keiner mehr.
    So haben wir dieses Jahr nur eine kleinere, aber gut besuchte Veranstaltung bei uns ums Eck und mein Mann fährt Nachtkurier.
    Leider wird sich dieser Trend fortsetzen und die Qualität der Weihnachtsmärkte wird leiden, sowohl für den Besucher als auch für den Standbetreiber, die in beiden Fällen überteuerte Preise zahlen sollen.

    Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie trotzdem eine schöne Weihnachtszeit und vielen Dank für ihren amüsanten Schreibstil.

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