Jetzt erleben wir uns mal selbst

Jesus und der Kaffee im Indoorspielplatz.

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Wenn der Ehemann nicht als erste Person eingetragen wird, stürzt das System ab und die Finanzamts-Mitarbeiter müssen alle Informationen von Hand erneut in das System eingeben.

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In der Zeit gab es ein Interview zum Thema Zeitempfinden, da muss ich etwas anmerken. Und zwar gleich zum Anfang, wo es heißt: “Fünf Menschen steigen in den Bus, setzen sich, holen wie einstudiert ihre Smartphones raus und starren auf die Displays, bis sie wieder aussteigen.” Das wird kurz darauf – natürlich! kritisiert, die armen Menschen, die kommen auf diese Art ja nicht zu sich selbst, empfinden nichts mehr, denken nichts mehr usw., man kennt das. Und das ist natürlich Unfug, schon historisch betrachtet. Es gibt ja durchaus Menschen, die sich an die Zeit vor den Smartphones noch erinnern können, als sei es gestern gewesen sogar, viel länger ist das ja auch nicht her, wenn man mal kurz in etwas größeren Maßstäben denkt: “Fünf Menschen steigen in den Bus, setzen sich, holen wie einstudiert ihre Zeitungen und Bücher raus und starren auf die Seiten, bis sie wieder aussteigen.” Liebe Kinder, so war das wirklich. Wir haben alle dauernd irgendwas gelesen, fast wie heute, nur war es eben gedruckt. Aber wir haben auch im Zug gelesen, auf dem Klo, im Bett, auch in Kassenschlangen, auch in Wartezimmern und auf Parkbänken. Wir haben nicht, nein, wirklich nicht jede Minute ohne Beschäftigung dazu genutzt, uns zu fühlen, tiefer zu empfinden, geistreich zu sein, im Kontakt mit uns zu sein, wir haben nie, nie, nie gedacht, boah, Langeweile, voll schön, jetzt erleben wir uns mal selbst, hurra. Wir haben aber sehr oft gedacht: Verdammt, ich habe kein Buch dabei. 

Die Zeitungen werden dann im Interview auch noch erwähnt, aber die Parallele wird abgeschwächt. Ich sehe es nicht ganz ein, glaube ich.

 

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Zwischendurch einen herzlichen Dank an die Leserin P.B., die Sohn I ein Buch über griechische Mythologie geschickt hat. Großartig und sehr passend, das kam genau rechtzeitig!

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Wie neulich berichtet, schraube ich gerade am Biorhythmus herum, um wieder etwas mehr Abend für mich zur Nutzung zu gewinnen, das klappt auch schon recht erfolgreich und sogar etwas einfacher als gedacht, das ist auch mal schön. Ich habe das aber zum Anlass genommen, auch an anderen Momenten und Szenen des Alltags herumzuspielen, das mache ich ab und zu ganz gerne und manchmal mit überraschenden Erkenntnissen. Ich setze mich also zum Arbeiten einmal woanders hin, ich arbeite zu anderen Zeiten oder mache andere Dinge irgendwie so, dass sie von der jahrelang eingeübten Routine abweichen. In der Herzdame habe ich da eine engagierte Mitspielerin, die mag das auch. Was geht noch, was geht anders, was geht am Ende sogar besser?

Heute bin ich nach dem Büro nicht nach Hause gefahren, ich bin in die Zentralbücherei gegangen um dort zu schreiben. Immerhin ist dort eine sehr motivierende Atmosphäre, wie schon mehrfach beschrieben, es ist alles voller lernender, lesender und schreibender Menschen. Mit Betonung auf “voller”, es war nämlich in dem ganzen Riesenbau kein Platz für mich frei, außer einem Stuhl in der Cafeteria, da war es mir eigentlich zu laut. Aber da habe ich mich dann dennoch hingesetzt und genau sechzehn Minuten lang begeistert und hochmotiviert geschrieben. Dann gab der Akku des Notebooks plötzlich den Geist auf und eine freie Steckdose gab es weit und breit nicht.

Aber egal, ich hörte über mein Handy Musik und als ich vom schlagartig schwarz gewordenen Bildschirm hochsah, ging eine Frau mit Baskenmütze gerade die Treppe hoch, und zwar ging sie exakt im Takt der Musik in meinen Kopfhörern durch den Bildausschnitt, eine Filmszene mit Soundtrack war das, sie trug sogar einen Stapel Bücher aus der Requisite auf dem Arm, sie sah ernst und klug und sehr inszeniert aus und ihr Kopf verschwand genau in dem Moment aus dem Blickfeld, als mein Lied ausklang. Es sind die kleinen Dinge und Momente.

Aber aufschreiben konnte ich das dann natürlich nicht mehr. Egal, ich versuche es wieder.

Einen Tisch weiter saß ein kleiner, ein sehr kleiner Junge, der heulte und heulte, weil er etwas essen oder trinken wollte, das er dummerweise nicht beschreiben konnte. Die Mutter und die Verkäuferin an der Kuchentheke gaben sich alle Mühe, die dringenden Wünsche zu verstehen, sie hielten alles mal kurz hoch und fragten immer wieder nach, diesen Keks, diesen Kuchen, nein, es gelang ihnen einfach nicht, auf das Richtige zu kommen, das Elend war enorm.

Da habe ich mich zu ihm runtergebeugt und gesagt: “Weißte was, mein kleiner Freund, es ist kein Trost, aber auch mit über fünfzig Jahren hat man es dummerweise noch nicht auf der Reihe, seine Wünsche immer ausreichend klar zu formulieren, so dass man von allen verstanden wird. Das bleibt so.”

Nein, das habe ich natürlich nicht gesagt, schon gut.

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Musik! Tom Jones und Joe Cocker. Warum auch nicht.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhanden Hut werfen, der heute wieder wie ein gegenwärtiger Hut aussieht, na, eher wie eine Wintermütze. Auch Details immer saisonal anpassen! Vielen Dank!

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4 Kommentare

  1. Das ist ja ein Ding mit der nicht-geschlechterneutralen Finanzamtssoftware. Das haben wir einige Jahrzehnte lang gar nicht bemerkt!

  2. Mir klatschte letzte Woche beim Eintritt ins Büro ein ganzes Publikum Applaus. Irgendeine Liveaufnahme des Kollegen, war sehr motivierend.

  3. Immerhin steht da nicht mehr „Steuerpflichtiger“ und „Ehefrau“. Da ist „Person A“ doch moderner. *Haarerauf*

  4. Anfangs wollte ich nicht glauben, dass unsere Finanzämter so hinter dem Mond arbeiten (müssen). Herr und Frau Trulla bekommen nämlich ihre Post immer an beide adressiert. Allerdings war Herr Trulla Person A, da ich bei uns in Fragen der Finanzen gern den Vortritt abgab.
    Nun hat aber die “Süddeutsche Zeitung“ alles bestätigt und weiter ausgeführt, wie schwierig und teuer sich eine Anpassung an veränderte Lebensformen gestaltet (Zuständigkeit liegt übrigens in Bayern!), so dass noch Jahre ins Land gehen werden bis zu einer Gleichstellung.

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