Wintergold

Am Ende dieses Beitrags finden Sie Werbung für eine Veranstaltung der Körber-Stiftung in Hamburg. Es geht da um Menschen im Exil, in diesem Fall um Menschen im deutschen Exil. Die andere Variante, Deutsche im Exil wird uns hier thematisch aber vermutlich auch in Kürze begegnen, vorausgesetzt ich bekomme gewisse Terminprobleme in den Griff. Ich weise jedenfalls auch außerhalb des Werbebanners da unten ausdrücklich und gerne auf die Veranstaltungen der Stiftung hin, mich trifft man da demnächst auch wieder als interessierten Zuhörer an. Das hat sich bewährt und ich fand es absolut sinnvoll, mich thematisch auch einmal etwas neben meinen gewohnten Gleisen zu bewegen.

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Kiki blickt zurück. Eine Zeile bei ihr fand sich an diesem Tag auch wörtlich in meinen Notizen, exakt gleich, und ein Zufall ist das nicht, das Jahr war eben für einige anstrengend: “Müde, müde, müde.”

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Ich bin am Sonntag durch Niedersachsen gefahren, wegen Stau auf der Autobahn über Landstraßen durchs Nirgendwo, da kam ich an einem Dorf vorbei, Nartum, bei dessen Ortsschild etwas sachte in meinem Kopf klingelte. Dem folgte aber keine prächtige Assoziation, mit der ich vor der Familie hätte angeben können. Die gab es dann erst, als ich das Schild zum “Haus Kreienhoop” sah, da fiel es mir wieder ein: Der olle Kempowski. Da musste ich doch wieder ernsthaft mit mir selber schimpfen, denn was nützt die ganze Leserei, wenn man sich einfach nichts merkt? Wind von vorne!

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Die Herzdame hat in ihrem Büro einen Vogel gerettet, der sich da irgendwie zwischen den Fenstern verfangen hatte. Es handelte sich, wie sie jetzt nach eingehender Recherche genau weiß, um ein Wintergoldhähnchen, genauer noch um ein Weibchen dieser ausgesprochen hübschen Art. Das war ein sehr, sehr kleiner Vogel, ein Winzling nur, wenn auch kein, haha, Hänfling. Sie hatte das Federbällchen nur kurz in der Hand und trug es dann sofort ins Freie, und schön war und ist jedenfalls, dass sie jetzt immer, wenn man sie an dieses Vögelchen erinnert oder sie aus freien Stücken davon erzählt, die Hände so hält, als sei der Vogel noch darin, als sei da im Schutz ihrer Finger noch so ein ganz, ganz kleines und von ihr zu schützendes Leben verborgen und geborgen und sie kriegt dann ganz große und sehr milde blickende Augen dabei und hebt die Hände beim Reden so hoch, als käme gleich noch ein “Guck mal, guck doch mal” – das dann natürlich aber nicht kommt, denn da ist ja nichts mehr. Aber sie kann jedenfalls immer noch so überzeugend gerührt wirken – also der Vogel ist fast noch da. Ein winziges Wintergoldhähnchenweibchen.

Das also müsste man sein, wenn man mal von ihr so lieblich lächelnd angesehen werden wollte.

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An der Alster kommen mir Eltern entgegen, die schieben einen Buggy und essen beim Reden lässig Rohkostmöhrchen, so wie andere beim Gehen rauchen, und mir fällt wieder ein, wie kurz diese Phase im Leben ist, in der man immer Rohkost dabei hat, weil man den Kindern nun einmal etwas Gutes tun will, in der man aber diese Rohkost auch dauernd gottergeben selbst isst, weil man sie ja nicht wegwerfen will und die Kinder sie nur in sehr geringer Menge konsumieren. Das sind nur zwei, drei Jahre, aufs ganze Leben gerechnet also wirklich nicht so viel. Andererseits sind es zwei, drei enorm vitaminreiche Jahre und statistisch ist es ja so, dass Menschen mit Kindern einen Tick länger leben als die anderen. Ist dieser Zusammenhang eigentlich schon einmal jemandem aufgefallen?

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Ich zitiere aus dem mir sehr sympathischen Tagebuch von Sandor Márai einen hellsichtigen Abschnitt aus dem Jahr 1974 über das damals neue Recycling:

”Abgenutzte Autos, mottenzerfressene Haushaltsmaschinen und verwitterte Rohstoffe werden der Abfallverwertung zugeführt, mit Hilfe geheimnisvoller Vermengungen, Vermischungen und Härtungen zimmert man aus dem Ramsch neue Rohstoffe. Das “Recycling” ist mehr als eine industrielle, technische Gaukelei. Aus den Überresten einer Zivilisation, die unvernünftig Rohstoffe verschwendet und deren Deponien die Atmosphäre vergiften, soll mittels der Verwertung eine neue Zivilisation gemixt werden. Man hofft, dank Ersatz die Verschwendung fortsetzen zu können. Aus zwei abgenutzten Politikern älteren Datums macht man im Recycling einen neuen. Aus mehreren Religionsvarianten entsteht dank des ökumenischen Recyclings eine Synthese. Alte Literaturgattungen werden durcheinandergemischt und die Mixtur als modern verkauft. Sie durchwühlen den Abfall, finden einen abgenutzten Nazi und einen wurmstichigen Kommunisten, mischen die beiden und hängen das Schildchen “Demokrat” daran. “

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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. 

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank!

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Es folgt Werbung:

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