Dreimal die Woche

Wir fahren mit den Söhnen U-Bahn, die U-Bahn ist ziemlich leer. Deswegen dürfen die Söhne endlich einmal das tun, was sie als kletterbegabte Kinder nun einmal tun wollen, sie dürfen sich an die Stangen hängen, die im Wagen unter der Decke entlanglaufen, an diese Stangen, an denen man sich festhält, wenn die U-Bahn brechend voll ist und man nur einen Stehplatz hat. Da baumeln sie also und machen das, was hier gerade Familiensport ist, sie machen etliche Klimmzüge und es sieht so aus, wie es in dem Alter eben aussieht – kinderleicht und so, dass man sich am liebsten auch dahin hängen möchte, denn das muss doch Spaß machen, besonders in den Kurven. Aber man ist ja soweit beherrscht.

Ein alter Mann kommt auf uns zu, und wäre er etwas jünger, ich würde sagen, er kommt auf uns zu gestürmt, aber das Stürmen ist in seinem Fall nicht mehr ganz altersadäquat. Er kommt immerhin recht schnell und mit deutlich aufgerissenen Augen, mir graut schon, als ich das sehe, jetzt kommt sicher wieder eine Litanei über das Benehmen von Kindern in der U-Bahn und früher war alles besser und sie hätten ja Schläge bekommen, aber sofort und überhaupt, das kenne ich alles schon und zwar mehrfach. Das kommt dann aber gar nicht.

Der alte Mann bleibt vielmehr direkt vor den Söhnen stehen und guckt eindeutig hingerissen zu und hebt die Arme, als wolle er sich selbst auch an die Stangen wagen, er ist aber nicht nur alt, er ist auch sehr klein, er würde da ohne Hilfe gar nicht ankommen. Er sieht die Söhne an, er sieht die Stangen an, er sieht seine Arme an: “Das habe ich alles auch gekonnt! Alles! Und was war das schön!” Er strahlt jetzt, die Erinnerung durchflutet ihn und seine Arme machen in der Luft halbe Klimmzugbewegungen. “Was war das schön!” Er sieht uns Eltern an. “Heute kann ich das nicht mehr. Ich bin 82, da geht das nicht mehr.”

Er sieht den Söhnen weiter zu und man merkt, dass er jede Bewegung im Geiste mitmacht, dass es in ihm arbeitet und dass es in seinen Armen zieht und sich reckt und jetzt kommt er noch einmal mit dem Früher: “Früher habe ich …”, und dann geht die Begeisterung mit ihm so dermaßen mit ihm durch, wir verstehen kein Wort von seiner Erzählung aus seiner griechischen Kindheit, zumal sein Deutsch nicht ganz perfekt ist und er die Grammatik schnell fahren lässt, früher hat er, er lacht und wiederholt sich und sucht nach Begriffen, früher hat er, was auch immer er hat, es war jedenfalls, er grinst breit, großartig war es, und er lacht und lacht. “Heute mache ich das alles nicht mehr”, sagt er, “aber ich mache griechische Tänze, dreimal die Woche! Das ist auch sehr gut!”

Dann steigt er aus und die Söhne fragen zwischen zwei Klimmzügen etwas entgeistert, was er denn gesagt habe, sie haben kein Wort verstanden. Aber dass sie freundliches Publikum hatten, das haben sie auch ganz ohne Grammatik mitbekommen.

Griechische Tänze, dreimal die Woche also. Did you say dance?

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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5 Kommentare

  1. Ihre Söhne haben dem Mann bestimmt zu schönen Erinnerungen und Träumen verholfen. Und Alexis Sorbas und Mikis Theodorakis bringen die schönsten Träume und Erinnerungen für mich. Vielen Dank!

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