Eine Laterne im Nichts

Beim morgendlichen Kaffeetrinken beim Portugiesen um die Ecke fällt am Nebentisch dieser Satz, ein nicht erkennbares Profilbild in einem Chat wird da gerade beschrieben: “Das sieht aus wie so eine Laterne im Nichts.” Und nun ist es ja so, ich kann gar nicht viel, aber gute Titel kann ich zuverlässig erkennen, wenn ich sie höre. “Eine Laterne im Nichts”, das ist ganz zweifellos gut für einen Roman mit etwa 500 Seiten. Das ist gut für einen Weltbestseller, für Literaturpreise, Verfilmung, Serie und alles. Auf der Grenze zwischen Schmöker und Weltliteratur, die einen Großkritiker sagen so, die anderen sagen so, aber wen kümmert das, es verkauft sich jedenfalls wie geschnitten Brot, die Kinos sind auch rappelvoll und die Karriere dieser einen Schauspielerin wäre ohne diesen Film ja gar nicht denkbar. Das denke ich mir so und sehe den Einband schon vor mir, als mir einfällt, dass ich mich gar nicht darum kümmern kann, diesen Roman in die Wirklichkeit zu hieven, ich habe keine Zeit für so etwas, ganz abgesehen davon, dass mir da auch die Inspiration fehlt und, versteht sich, womöglich auch die Eignung und schon gar die Befähigung, dass mir also im Grunde ungefähr alles dazu fehlt, um mit der “Laterne im Nichts” berühmt zu werden, Dichter und reich. Im Moment würde ich auch, und das wäre vielleicht nicht passend, jeden beliebigen Text wegen einer starken Überdosis Melville so nervötend mit maritimen Ausdrücken kalfatern, bis die geschätzte Leserinnenschaft dauernd etwas nachschlagen müsste, denn ich habe da so einen fürchterlichen Nachmachtrieb, der ist wirklich ärgerlich. Aber ob nun “Die Laterne im Nichts” überhaupt nach Weltmeer klingt, ich weiß ja nicht recht. Also keine Laterne im Nichts von mir, nicht einmal aus Spaß benenne ich eine Datei oder eine Ideensammlung so, nein, nichts, nada.

Ich könnte den Titel abgeben, ich könnte ihn einfach verschenken an romanschreibende Menschen in meinem Umfeld, hier, mach du mal. Immerhin habe ich das Privileg, solche Menschen zu kennen, aber wenn ich da etwa an die Frau Bogdan denke, “Eine Laterne im Nichts” klingt doch eher nicht nach ihr; es klingt eigentlich nicht einmal wie etwas, das sie auch nur lesen würde.

Andererseits bin ich ein Blogger und kann daher fast alles auch selbst erledigen, in meinen Texten jedenfalls, ich kann also “Eine Laterne im Nichts” schlankerhand über einen Blogeintrag schreiben und habe es damit -zack! – als Titel verwendet und die Angelegenheit im dirty old Blogstyle mehr oder weniger befriedigend durchgezogen, das nimmt mir dann keiner mehr weg, oder wenn doch, dann kann ich immerhin sagen: “Eigentlich ist das von mir”, und das ist manchmal ganz schön, wenn man das sagen kann, das ist dann so ein leiser Triumph. Ein Blogeintrag also. Kein Millionenbestseller, aber doch immerhin ein paar Klicks. Hauptsache Aufmerksamkeit, wie wir Publizisten sagen, wenn ich mich mal kurz so überhöhen darf, es ist auch nur des folgenden Absatzes wegen.

“Publizist”, das erschien mir früher nämlich einmal als Traumberuf, mit Anfang Zwanzig oder so, vielleicht war ich auch schon etwas älter. Es klang wie der bessere Journalist und irgendwie auch geistreicher als “Schriftsteller”. Publizist, das war etwas ganz Großes mit edler Anmutung. Publizist bin ich dann nicht geworden. Aber in meiner kleinen Digitalbude kann ich spielen, was immer ich möchte, auch Publizist, warum denn nicht. Wie Snoopy auf seiner Hütte mit der Sopwith Camel damals. Snoopy, mein Totemtier, aber im Gegensatz zu mir hätte er mit der “Laterne im Nichts” sicher sofort begonnen: “Es war eine dunkle, stürmische Nacht. In der Ferne leuchtete …”

Nun, zu seiner Zeit gab es aber diese ganze Onlinewelt noch nicht. Er hatte ja nichts.

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Musik! Und ein Tanzprojekt! Zwei Wünsche auf einmal. „I asked a handful of students to go into a room alone, play the song, and do whatever they wanted while the camera rolled. This is what happened.“

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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3 Kommentare

  1. Ich würde Ihren Romanbeginn gern für Frau Bogdan korrigieren: „Es war eine dunkle, stürmische Nacht. In der Ferne bellte ein Hund.“ (Da war mal was. Wissenschon.)

  2. Ich würde den Romanbeginn ebenfalls gerne korrigieren, aber etwas anders ans Texas-Jim: “Es war eine dunkle, stürmische Nacht. Im Nichts leuchtete …”

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