Eine kleine Demontageanleitung

Man merkt ja manchmal, dass einen etwas von der Allgemeinheit trennt, irgendeine Alltäglichkeit etwa, die man selbst vollkommen selbstverständlich findet, weil man eben so ist und wohl auch immer schon so war, und irgendwann erst fällt einem plötzlich auf – das machen so ziemlich alle anders. Oder sie sind sogar irgendwie anders, was noch obskurer ist.

So ging mir das mit der Struktur im Home-Office. Zu Beginn der Corona-Zeit war in den sozialen und auch in den nicht ganz so sozialen Medien alles voll mit Tipps zum richtigen Verhalten im Home-Office, zur Gestaltung des Tagesablaufs und sogar zur Wahl der Kleidung und der richtigen Ernährung, einige Tipps waren dabei geradezu kindgemäß, “stehen Sie morgens auf, essen Sie regelmäßig”, ich fand das alles ziemlich seltsam. Denn selbstverständlich verändere ich die Grundstruktur meiner Tage nicht, nur weil gerade irgendeine Krise ist. Die Umstände verändern sich und erzwingen so einiges, aber da, wo ich noch selbst entscheiden kann, da entscheide ich nicht auf einmal neu. Selbstverständlich ziehe ich mich also nicht anders an und ich ernähre mich auch nicht anders. Ich stehe auch nicht zu anderen Zeiten auf, ich gehe nicht zu anderen Zeiten ins Bett. La structure, c’est moi. 

Ich musste dann allerdings noch weiter darüber nachdenken, denn die Tipps nahmen einfach kein Ende, das nehmen sie bis heute nicht, und immer mehr Bloggerinnen und Menschen auf Twitter etc. thematisierten das alles wiederholt. Fast durch die Bank klang das so, als sei der Strukturverlust allgemein. Ich muss mir die Menschen im Home-Office also fast flächendeckend in Jogginghose mit Rotweinflecken darauf vorstellen, ungeduscht und übernächtigt, lustlos am Computer, während ihr Eltern-Ich ganztägig komatös auf der Couch herumgammelt.

Fast hätte mir diese Erkenntnis Auftrieb geben können, komme ich dabei doch auf den ersten Blick ganz gut weg, aber als erfahrener Experte für Kummer, Sorgen und Stress (KUSS, ich thematisierte es bereits), kam ich kurz vor dem ungewöhnlichen Durchbruch der Freude doch noch auf die richtige Deutung, die küchenpsychologisch tatsächlich auch naheliegt. Denn wer bedarf der Struktur ganz besonders? Doch wohl die Schlampe schlechthin, die komplett vor die Hunde gehen würde, wenn sie sich nicht immer wieder mit unerbittlicher Strenge selbst strukturieren würde, die also vollkommen verloren wäre, wenn sie gewisse konservative Grundhaltungen nicht rechtzeitig vor der völligen Verwahrlosung verinnerlicht hätte, wenn sie also nicht schon von Jugend an dramatisch überkompensiert hätte – ein Gedanke übrigens, nach dessen Muster man so ziemlich jeden Erfolg im Leben dekonstruieren kann, versuchen Sie es ruhig auch einmal. 

Mit anderen Worten, die Schlampe bin natürlich ich. Sie dagegen, Sie in Ihren abenteuerlichen Sportklamotten, mit den Tiefkühlpizzaresten in der Küche und dem verstrubbelten Gesamtzustand, Sie ruhen vermutlich stabil in sich und funktionieren verlässlich normal. Beneidenswert!

Egal. Weiter im Programm. 

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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2 Kommentare

  1. Tach auch,

    in Zeiten wo sogar eine APP zum Hände waschen scheinbar nötig zu sein scheint wundern mich alle anderen Tipps auch nicht so sehr… obwohl manche sehr sinnfrei sind.

  2. „verstrubbelter Gesamtzustand“: das hört sich so sympathisch an, da möchte ich glatt gleich selber so sein. Was mich auch immer irritiert, sind die vielen Tipps gegen die Langeweile. Die ist hier nach wie vor noch nicht aufgetaucht. Ich frage mich sogar immer wo die zwei Stunden hin verwehen, die ich eigentlich zusätzlich habe, weil ich mir den Arbeitsweg spare. Die paar genähten Masken können die nicht aufgefressen haben.

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