Was stört

Mir ist heute etwas aufgefallen, ein Aspekt der Schulsituation, den ich noch gar nicht bedacht habe. Vielleicht brauchte das ein paar Wochen. Wenn ich das ganze Drama des Homeschoolings und des reduzierten Unterrichts nämlich einmal eher positiv betrachte, wozu ich ja nur aus der Elternrolle kurz in die Perspektive der Söhne wechseln muss, die fast alles in der aktuellen Situation ziemlich okay finden, dann stelle ich fest, dass das Lernen jetzt – die Söhne haben beide an jedem zweiten Tag Unterricht in der Schule – ziemlich zuverlässig läuft, sogar halbwegs gechillt läuft, wie ein Sohn sicher sagen würde, gechillt aber eben doch stetig. Im Grunde sogar erstaunlich stetig. Es wird gleichmäßig Stoff zugeführt und es wird auch zunehmend Stoff selbständiger aufgenommen, und da kommt auch die Erkenntnis gleich um die Ecke. 

Denn es ist ja so, die Söhne schreiben schon seit Mitte März keine Arbeiten und Tests mehr und jetzt wird allmählich deutlich, wie sehr die all die Jahre gestört haben. Aber nicht, weil sie so unüberwindlich waren, nein, einfach nur, weil sie einen im Grunde völlig unnötigen Stress ins System gebracht haben. Hektisch große Mengen Stoff ins Kurzzeitgedächtnis baggern, unnötige Spannung durchleben, nach der Prüfung alles gleich wieder vergessen – da machen zwar alle brav mit, weil man es anders überhaupt nicht kennt, das war ja auch schon immer so und wird sicher auch bald wieder so sein, aber ich möchte nach den Erfahrungen hier dann doch einmal laut denken: Ohne diesen Stress geht es auch. Und es geht sogar ziemlich gut. 

Aus Sicht der Söhne und vermutlich vieler Kinder jedenfalls: Sie haben jetzt kleinere Klassen, viel mehr Ruhe in der Schule, einen entspannteren Lernalltag, spannende digitale Unterrichtsformen, deutlich weniger Stress und einen wesentlich ruhigeren Alltag ohne eng getaktete Stressintervalle. Na super. Ich brauche also noch einen Plan, um ihnen nach den Sommerferien – oder wann auch immer – erfolgreich zu verkaufen, dass die Normalität, also die alte Normalität v.C., irgendwie toll sein soll.

Und ja, ich weiß, dass es natürlich auch Kinder gibt, die der Lage aus diversen Gründen nichts Gutes abgewinnen können und dass es auch Kinder gibt, die nach wie vor kaum Schule haben und in jeder Hinsicht zu kurz kommen. Und ja, ich weiß, dass das alles aus Elternsicht eine vollkommen andere Geschichte ist. 

Aber das wir vielen Kindern gerade ganz unabsichtlich vorführen, wie Schule noch netter, besser und moderner sein kann, das wird am Ende auch nicht ohne Folgen bleiben.

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6 Kommentare

  1. Mein Kind (Rheinland-Pfalz, Förderschule) hatte heute seinen dritten Schultag n.C.
    Soll sich jetzt bis zu den hier frühen Sommerferien montags und dienstags so einschleichen.
    Wird nächste Woche nur kurz mal vom Pfingstmontag unterbrochen und, achja, der Dienstag ist ein beweglicher Ferientag und daher auch frei, nach ca. 100 freien Tagen davor. Aber dann, dann geht es wirklich los mit dem Rhythmus…

  2. Ich hab diesen Link mal weitergeleitet an meine Tochter, die gerade begeistert digital vermittelt Lehramt studiert und an das Gute glaubt. Wenn diese nächste Lehrergeneration ihre noch frische Corona-Erfahrung mit einbringt, dann ist Hoffnung.

  3. Ja, die Tests und Arbeiten stören das Lernen. Der gesellschaftliche Zweck der Schule ist aber nur sehr vordergründig die Vermittlung von Wissen. Ein wesentlicher weiterer Zweck ist das Aussieben der Kinder und Jugendlichen und Aufteilen auf die verschiedenen Gesellschaftsschichten. So dass jeder sich abstrampelt in die nächsthöhere Schicht aufzusteigen und Angst davor hat in die nächstniedrigere Schicht abzurutschen. Und voila! wir haben ein ganzes Land aus Hamsterradrennern und immer genug Abgehängte, dass die Drohung wirksam bleibt.

  4. „das wird am Ende auch nicht ohne Folgen bleiben.“ Ich hoffe, dass Sie recht haben. Ich befürchte aber, dass die alten und verknöcherten Strukturen noch lange erhalten bleiben.

  5. Hier das Kind (12) wird voraussichtlich erst Mitte Juni die Schule wieder von innen sehen. Die Klassengröße beträgt 13 Schüler, diese wird nun coronabedingt noch geteilt, also sprechen wir von 6-7 Schülern. Ich bin gespannt, wie das dann läuft.
    Und ja, die Lehrer sind überfordert. Wir bekommen auf 3 Wegen die Aufgaben und müssen diese auch auf diesen 3 Wegen abgeben. Feedback gibt es nur von einem Lehrer regelmäßig. Alles andere landet gefühlt im Nirvana.
    Ich habe das Gerücht gehört, das es Lehrer gibt, die tatsächlich mit ihren Schülern telefonieren und Kontakt halten.
    Hier darf man die Aufgaben Montags zwischen 9-12 Uhr abholen. Und zwar persönlich in der Schule. Toll für Eltern, die in Vollzeit arbeiten.
    Wir haben noch Glück, das Kind fährt dann selber mit dem Rad hin und holt die Aufgaben und Gott sei Dank regnet es gerade in letzter Zeit Montags nicht. Aber immerhin kriegt das Kind jetzt Aufgaben. Die zwei Wochen vor den Osterferien und die erste Woche nach den Osterferien haben die Lehrer an dieser Schule wohl verdrängt, das die Kids vernünftige Aufgaben brauchen und nicht nur: wiederholt doch einfach alle Vokabeln und schreibt wahllos einen Text ab.

    Ich möchte nicht zu sehr über die Lehrer meckern und mittlerweile funktioniert alles sehr gut, aber es hat hier halt auch lange genug gedauert. Und letztendlich waren die Lehrer auch zu Hause, haben vermutlich die kompletten Bezüge bekommen und kein Kurzarbeitergeld und es gab drei Wochen lang nicht wirklich viel Unterstützung. Und das Ende vom Lied war, das ich mir neben meiner Vollzeitstelle Aufgaben für das Kind überlegt habe für einen Lernstoff, den ich erst mal rausfinden musste, damit das Kind überhaupt etwas zu tun hatte.

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