Halbzeit

Nachdem ich schon die Tatsache, dass wohl ein Sonntag ist, eher mühsam ableite als einfach weiß, verliert sich jetzt auch noch das Wetter zusehends im seltsam Unbestimmbaren. Es fühlt sich im Garten schon den ganzen Tag an, als sei es kurz davor oder kurz danach, wobei mir unklar bleibt, vor oder nach was eigentlich, nach einem Unwetter oder vor dem Durchbruch der Sonne, vor Sommeranfang oder Herbst, wer weiß, wer fühlt. Es ist warm, es ist schwül und drückend, es regnet und es regnet nicht, die Luft ist waschlappenfeucht. Es regnet im Grunde nur, wenn man sich bewegt, aber man muss sich ja gar nicht bewegen. Glaube ich. 

Es könnte acht Uhr morgens oder acht Uhr abends sein, man sieht es nicht. Der Himmel ist nicht blau und nicht grau, der Himmel ist irgendwie licht und dicht, Habichtskraut und Lichtnelken leuchten bei diesem Wetter auf. Die Möwen fliegen tief, aber das ist ja nicht wie bei den Schwalben, also zumindest war es das früher nicht. Heute ist alles anders, vielleicht also auch das. Im Apfelbaum zanken sich die Meisen schon seit einer Stunde, die kommen auch nicht zur Klärung oder zu was auch immer, und eben hat eine Hummel eine Malvenblüte neben mir glatt verfehlt und ist gegen die Holzwand der neuen kleinen Hütte gedengelt, vor der sie jetzt sitzt und vermutlich Kopfweh hat. Ich frage höflich, wie es ihr geht, sie winkt mit dem zweiten Bein von vorne rechts ab. Die Malve wiederum sieht ums Laub herum geradezu verboten unordentlich angezogen aus, vollkommen verlaust und verlottert, aber die Blüte ist so lilaschön und leuchtend, man möchte sie lange betrachten und vielleicht heimlich küssen. Also ich jedenfalls, ich alter Hummelversteher. 

Die Äpfel und Birnen schwellen an, ich esse Franzbrötchen und mache es ihnen nach. Es wird noch wärmer, es wird lichter. Und irgendwann wird es wieder Montag. Also früher war das jedenfalls immer so. Die Pappeln hinten am Weg rauschen auf, eine Bö fährt hindurch und hört gleich wieder auf zu sein. Nichts kommt an und die Malve nickt im winzigen Windchen so dezent, es ist gar nichts gewesen, es war gar nichts dabei. 

Der Mohn macht die Blüten nur bei gutem Wetter auf, der Mohn macht die Blüten heute halb auf. Vielleicht ist schon halb Montag, vielleicht ist schon ein halbes Jahr vorbei. 

Ich bleibe hier einfach sitzen und nennen es die 2020-Strategie. Mit einer Strategie kommt man nämlich zum Ziel. Zu welchem auch immer. 

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Merci! 

8 Kommentare

  1. Es gibt ja Leute, die sagen, der Buddenbohm kann gut schreiben. Ich hingegen bin der Ansicht, er kann gucken wie niemand sonst. Und das kann er dann richtig gut und schön (be)schreiben.

  2. Hach…! Ein bisschen wie Kästners Monatsgedichte, finde ich. Zu und zu schön jedenfalls!
    Dankeschön, Esther

  3. Gedanken schweben herum, torkeln wie die Hummel im schwülen Grün.
    So schön zu lesen, wie ein samtiger guter Rotwein, danke!

  4. Wunderbar diesen derzeitigen seltsamen Schwebezustand eingefangen – Danke für diesen Text !

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