Raus aus der Komfortzone, rein ins Bett

Das klingt schon wieder wie ein Scherz, nicht wahr, das ist aber gar keiner. Denn meine Komfortzone ist ja hier, genau hier, am Schreibtisch, an der Tastatur. Hier fühle ich mich wohl und sicher und vertraut, hier kann mir nichts passieren. Ich suhle mich zwischen den Zeilen, ich hänge gechillt im Weißraum ab. Aber ich habe ja Urlaub, ich soll mich richtig entspannen, bitte sehr, und das geht womöglich noch besser. Meine Haltung etwa, also die des Körpers, sie ist am Schreibtisch nicht die beste, da müsste ich etwas dran tun, es würde mir guttun, mich anders zu lagern oder mich sogar zu bewegen. Und wenn ich schreibe, dann konzentriere ich mich auch dauernd, also im besten Fall, und womöglich ist es doch erstrebenswert, sich auch einmal nicht zu konzentrieren. Sie wissen schon, Ruhezustandsnetzwerk, Default Mode Network, darüber kann man so vieles nachlesen, immer klingt es interessant. Wenn der Mensch abschaltet, dann geht er an, wo habe ich das nun gerade wieder gelesen. Keine Ahnung. Ich hatte mir jedenfalls fest vorgenommen, mich im Urlaub mit der Entspannung zu beschäftigen, die Entspannung ist jetzt mein Task und meine Drei-Wochen-Challenge, und ja, ich merke es selber, vielen Dank.

Ich verlasse also einigermaßen abenteuerlustig den Schreibtisch und lege mich aufs Bett. Ich bin nicht müde, sonst wäre es ja auch einfach, denn ich schlafe immer schnell ein. Ich bin wirklich gut im Einschlafen, dafür kann ich mir dummerweise aber wieder nichts kaufen. Ich habe leider nur solche Begabungen, glaube ich manchmal. Ich kann überhaupt nichts, womit die Freunde der Realität etwas anfangen können, wofür sie einem also krachend auf die Schultern hauen, wie es früher zumindest unter Männern üblich war, vor dem März 2020. Niemand wird sich später an mich erinnern und sagen, ja, der Buddenbohm – der konnte wirklich gut einschlafen, der hatte es drauf. Aber ich schweife ab.

Ich lege mich aufs Bett. Ich lege das Handy weg, ich fasse natürlich auch kein Buch an, ich höre zu. Also der Stadt um mich herum höre ich zu, denn das soll ein guter Einstieg sein, wenn man auf irgendwas kommen will, auf andere Gedanken oder auf was weiß ich, ich kenne mich da noch nicht aus. Auf dem Hotel gegenüber sind Fahnenmasten, an den Masten hängen Fahnen, die wehen zwar nicht gerade stramm im Wind, sie schlackern aber doch so ein wenig herum, gerade genug, um dabei vertraute Geräusche entstehen zu lassen. Fahnenleine schlägt an Alumast, das klingt natürlich nach Hafen. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, ich läge in einem Hotelbett. Das Hotel steht an einer Mole, das Bild gelingt mir sensationell gut. Frankreich, 50er Jahre, die Atmosphäre ist etwas simenon-mäßig, das gefällt mir wirklich gut. Ich sehe die Menschen am Kai in der Totalen, Gepäck wird im Hintergrund verladen, altmodische Kräne. Männer tragen weiße Anzüge, Frauen tragen blaue Kleider. Es ist eine angenehme Stimmung, es muss um Vergnügungsreisen gehen, die bunten Fahnen der Reedereien.

Dann kommt ein anderes Geräusch dazu. Das ist neu, seit kurzer Zeit erst gibt es das vor unserem Haus, seit junge Menschen entdeckt haben, dass man vor den Neubauten nebenan irgendwas mit dem Skateboard gut machen kann, ich weiß gar nicht was. Ich kann es nicht sehen, auch nicht, wenn ich aufstehe und mich aus dem Fenster beuge, ich kann es nur hören, dieses Klackern und Schrappen, manchmal Ausrufe der Freude, wenn einer etwas geschafft hat. Immer sind es männliche Stimmen, die weibliche Jugend fährt hier kein Skateboard, warum auch immer nicht. Leises Fluchen, wenn etwas nicht klappt, aber am häufigsten doch das Klackern, ich denke, wenn ein Skateboard während der Fahrt gedreht wird, jemand wieder drauf springen will und es aber nicht schafft. Und er versucht es wieder und wieder.

Diese Geräusche passen nicht zu Südfrankreich in den 50ern, ich bekomme das Bild plötzlich nicht mehr hin, diese Geräusche sind eher Kalifornien. Das ist aber gefährlich, wer denkt schon freiwillig an Kalifornien, da lauern ja sofort California Dreaming und Hotel California, mein alberner Assoziationsautomatismus springt bei so etwas gnadenlos an und dann ist aber Schluss mit Entspannung, dann geht es augenblicklich um die bekanntlich mühsame Ohrwurmbekämpfung. Kalifornische Träumung, denkt mein Hirn, und ich stöhne auf, kann ich bitte Frankreich noch einmal sehen, aber es klackert und klackert im Hof, jemand ruft immer wieder etwas von Scheiße und das ist hier nicht Frankreich.

Ich stehe schimpfend wieder auf und ahne es schon, da wird am Ende doch auch wieder ein Text draus. Ich kann machen, was ich will, solche Muster sind stark.

Raus aus dem Bett, rein in die Komfortzone.

***

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6 Kommentare

  1. Jetzt habe ich einen „Klack! Schrrrrtt! Tock!“-Ohrwurm. Aber besser als „We used to be Giants“, das irgendwie seit gestern in meinem Ohr hängt. Es löst sich, das merke ich.

    Sehr plastisch, Herr Buddenbohm. Chapeau!

  2. Ich werden mich an Herrn Buddenbohm als unglaublich feinen Situationsbeobachter erinnern. Das kann er so gut, davon würde ich mir gerne eine Scheibe abschneiden. Danke, dass Sie das teilen.

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