Schwalben und Admiral

Der Regen hörte zögerlich auf, die ersten Schwalben starteten wieder. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, heißt es, und ich weiß jetzt auch, warum man da nicht mehr Schwalben nennt. Man kann sie nämlich nicht zählen, ich habe das lange versucht. Ohnehin kann der Mensch, wenn ich es richtig erinnere, beim bloßen Hinsehen nur bis fünf zählen, danach muss er sich Notizen machen, die Finger dazunehmen oder sonst welche Tricks anwenden; wir können jedenfalls nicht irgendwo hinsehen und spontan sagen: „Ach guck, elf Schwalben.“ Wir müssen sie erst zählen, Stück für Stück. Nun fliegen die aber wild durcheinander, einigermaßen hektisch sogar, und es ist also fast unmöglich, Schwalben zu zählen, wenn man nicht mit dem Handy zwischendurch Beweisbilder macht und dann abzählt, aber das kann ja jeder, das ist unsportlich und langweilig. Ich kann, wenn ich das alles berücksichtige, nur folgendermaßen steigern: Fünf Schwalben machen definitiv auch noch keinen Sommer, jedenfalls nicht auf Eiderstedt. Es blieb zu kalt für die Jahreszeit und am Horizont türmten sich bereits die nächsten Wolkengebirge auf.

Ich habe mein Wissen über Schwalben während des Aufenthalts etwas erweitert, weil ich viel Zeit mit dem Blick aus dem Fenster verbracht habe. Nicht aus naturkundlichem Interesse, versteht sich, nur aus erschöpfungsbedingtem Desinteresse an allem anderem. Deswegen fiel mir erstmalig auf, wie irritierend kurz Schwalbenflüge sind. Sie brauchen vom Rand des Nestes, in dem die hungrigen Küken sitzen und sperren, nur wenige Flugmeter, bis sie schon wieder etwas gefangen haben, dann geht es sofort zurück, die Mücke oder was auch immer wird in einen Schlund geworfen und augenblicklich geht es weiter, es ist im Grunde ein unfassbar rasender Berufsalltag, von wegen besinnliche Momente da draußen. Unzählbar auch, wie viele Flüge eine erwachsene Schwalbe auf diese Art im Laufe eines Tages absolviert, eine irrwitzig hohe Zahl muss das sein und fortwährend reden sie dabei. Ihr Reden wird oft als Schwatzen bezeichnet, vielleicht ist da mehr dran, als man denkt. Denn wenn man sich ansieht, wie sie da verbissen und fortwährend in Höchstgeschwindigkeit durcheinander fliegen, kann man sich kaum vorstellen, dass dabei ein sinnvoller Austausch stattfindet, es wird vielmehr so sein, dass sie unentwegt mit sich selbst reden und ich hatte nach einer Weile den starken Verdacht, dass wir, könnten wir Schwalben verstehen, ihr Geschwätz fürchterlich nervtötend finden würden, denn es wiederholt sich ja auch noch alles.

Stellen Sie sich vor Sie haben eine Kollegin oder einen Kollegen, die oder der immer wieder Sätze wiederholt, grauenvoll berechenbar. Jeden Morgen, wenn der Computer angeschaltet wird, kommt beispielsweise der Satz: „Jetzt aber ran an den Feind“, und dann erst wird gearbeitet, das habe ich einmal so erlebt. Jeden verdammten Tag wurde dieser Satz memoriert, vollkommen unausweichlich, immer wieder und wieder, über Monate. Diesen Satz hassen Sie dann irgendwann, das weiß ich aus Erfahrung, und so wäre es vermutlich auch bei den Schwalben, die sich vom Nestrand stürzen und dabei jedes Mal sagen: „Heyho, let’s go, dann wollen wir mal wieder, so ein Insekt, das schmeckt und zurück geht es!“ Dann der Flug zum Nest und eine Sekunde später: „Heyho, let’s go ….“ Den ganzen Tag, immer wieder heyho, let’s go. Den ganzen Sommer.

Abends, das wusste ich auch noch nicht, gibt es ein Debriefing bei den Schwalben, da sitzen sie auf dem Dach des Bauernhofes im Kreis, also ganz im Ernst im Kreis, und sprechen noch einmal alles durch, wer heute wie performed hat, wer wie viele Mücken gefangen hat und sicher auch, wie das Wetter wird und wann noch einmal der Abreisetermin ist und ob denn alle die Route kennen – und auch das bereden sie jeden Tag in diesem immer gleichen Meeting an dieser einen Stelle auf dem Dach. Kein Mensch würde das aushalten. Haha, Spaß gemacht, und wie wir das aushalten. Heyho, let’s go!

Zwischendurch saßen die Herzdame und ich während einer der etwas sonnigeren Stunden einmal in einem Strandkorb. Vor uns lag auf einem Tisch eine Kuchentüte vom Bäcker, darauf landete ein Schmetterling. Der größte Admiral, der mir je begegnet ist, landete da, ein Phänomen, ein wahrer Riese. Und wir starrten ihn voller Bewunderung an, diesen Prachtfalter, als von links in Jetgeschwindigkeit eine Schwalbe heranrauschte, dicht über den Tisch hinwegstürmte und dabei den Schmetterling dergestalt mitnahm, dass wir, auch das eine seltsame Premiere in meinem Leben, ein gar nicht so leises, schmatzendes HAPS hörten.

Dieser Admiral, so kann mich mir denken, wurde dann beim abendlichen Review auf dem Dach ob seiner stattlichen Größe vielleicht sogar besonders gewürdigt. Und so wurde seiner mit diesem Blogeintrag jetzt also schon zum zweiten Mal gedacht – das ist doch gar nicht so schlecht für ein Insekt, das schmeckt.

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2 Kommentare

  1. Danke für diesen wunderbaren Text! Er hat mich zum lächeln gebracht, das brauchte ich heute besonders.

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