Ein Stimmungsbild

Wir wollten ans Meer fahren, weil wir schon lange nicht mehr irgendwo hingefahren sind. Dann lasen wir, dass Travemünde gerade für Tagestouristen gesperrt werden soll, also ist es da vermutlich sehr voll, also fuhren wir da nicht hin. Wir dachten über das andere Meer nach, aber da stimmte an dem Tag etwas mit der Autobahn nicht. Wir dachten über Seen nach, aber da hätten wir erst die richtigen Stellen suchen müssen und sowieso wollten die Söhne gar nicht mit dem Auto fahren, sondern, was weiß ich, lieber irgendwo hingebeamt werden. So klar artikuliert wurde das nicht, aber Sie kennen das, viel Anspruch und wenig Lösungsbereitschaft, Kinder sind auch nur Menschen.

Wir fuhren an den Eichbaumsee, zu dem Parkplatz, der zwischen dem See und der Dove-Elbe liegt, wobei es schon anstrengend ist, den Namen Dove-Elbe auch nur zu denken, ohne den ersten Teil Englisch zu lautieren, aber dafür kann das Gewässer jetzt nichts. Wir gingen da längs, rechts die Dove-Elbe, links der Eichbaumsee. Die Sonne schien, strahlendes Wetter, ich fand alles doof. Der See war langweilig, das Elbstück auch. Hätte es genebelt, hätte es Raureif gegeben, Schnee und Eis oder Gewitterwolken, hätten wir einen Sonnenauf- oder untergang gesehen, irgendwas mit Kawumm und Pomp, hätte, hätte, Fahrradkette, ich fand alles doof. Links ein Wasser, rechts ein Wasser, in der Mitte geht der Hasser. Wie vermutlich viele Menschen habe ich im Moment ungewohnt große Lust, irgendwo zu sein, wo ich nicht schon alles in Grund und Boden gewohnt habe, aber das hier, das war gerade nicht richtig, das merkte ich gleich.

Menschen gingen um den See und gingen also im Kreis, warum geht man in der Freizeit im Kreis, was soll das eigentlich. Man kommt nirgendwo hin, man hat sich nur bewegt, wie schwach und flach ist das. Wir machten eine Pause und tranken mitgebrachten Kinderpunsch, der hatte natürlich keinen Alkohol. Ich stellte mir lebhaft Alkohol vor, ich trank mir im Geiste die Gegend schön. Ich war mir im Grunde sicher, die Gegend ist da schön, es lag einigermaßen nahe, dass alles nur an mir lag. Das Wasser links war okay, das Wasser rechts war okay, ich hätte auch zum Augenblicke sagen können, verweile doch, du bist okay, so sagt man das nämlich heute. Ich sagte es aber nicht. Ich wäre gerne woanders gewesen, ich wusste nicht wo. Um mich herum redeten die Spaziergänger ihre nervtötenden Alltagsgespräche, ich hätte gerne Ruhe gehabt und sie dann nicht ausgehalten.

Ein Sohn erzählte mir die Handlung einer siebenbändigen Mangareihe, ich hätte mich interessieren sollen. Er hätte auch in einer obskuren Fremdsprache reden können, ich verstand eh kein Wort. Was für eine Handlung war das, sind denn wirklich alle irre oder was, warum lesen die Kinder so einen Schrott.

Der andere Sohn wollte über Superhelden reden, ich dachte Hulk und spannte die kaum vorhandenen Brustmuskeln an.

„Ist das ein Badesee?“, fragte ein Sohn. „Das ist ein Blaualgensee“, sagte ich. „Und Zerkarien gibt es auch.“ Das stand auf einem Schild, gewusst hätte ich das nicht, wer weiß so etwas schon. Zerkarien, nie gehört. Saugwürmer unter der Haut, man hat ja sonst keine Probleme.

Wir trafen die Menschen wieder, die wir schon einmal gesehen hatten. Ich fand es abstoßend dumm, dass alle im Kreis gingen, ich ging aber selber auch im Kreis, wie geht man sonst um einen See. Überhaupt kreist alles, die Literatur ist voll davon, die Philosophie und die Religionen auch, da kannste nix machen. Man kommt überall wieder vorbei, an allen Stationen, immer wieder, und nur dann, wenn man ganz viel Glück hat, nur dann ist es eine Spirale und man ist ein Stückchen höher als beim letzten Mal. Aber wenn man nur um einen See geht, dann müsste man sich schon während der Runde seelisch bedeutend weiterentwickeln, um irgendwie verändert wieder am Parkplatz anzukommen, dann müsste man schon zwischen zwei öffentlichen Mülleimern ein wenig erleuchtet werden, das ist eine knappe Sache. Viel wahrscheinlicher ist es, dass man einfach so wieder am Parkplatz ankommt und nur in der Zeit etwas fortgeschritten ist.

Am Parkplatz kamen wir also an, wo wir uns vor dem Einsteigen den Schlamm von den Stiefeln klopften und dann nach Hause fuhren. Die Herzdame sagte, wir könnten da doch wieder hinfahren, so irgendwann mal. Es sei ja ganz schön da. Ich dachte, sie wird schon Recht haben, sie hat ja auch sonst ungewöhnlich oft Recht und ich gab ein Knurren von mir, das vielleicht nach einem Ja klang.

Man soll seine Stimmungen auch nicht überbewerten.

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3 Kommentare

  1. Ein großartiger Text, danke dafür. Passt perfekt zu meiner Stimmung. Dafür hat sich die Runde um den See gelohnt, finde ich.

  2. Für diesen Text möchte ich Ihnen meinen größten Dank aussprechen! Sie treffen genau meine Laune, heute, gestern, schon die letzten Tage. Es tut soooooo gut, verstanden zu werden. Vielen, vielen Dank! Erstaunlich, dass ein deprimierender Text zu solch einem Glücksgefühl führen kann!

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