Fragezeichen drängen mir nach

Der Arzt sagte also, ich brauche Ruhe, schrieb ich neulich. Ich überlege, wie ich das machen soll, das mit der Ruhe, ich versuche, dabei nicht zu lachen. Es ist nicht ganz einfach.

Ich verlasse das Home-Office und die Home-School. Ich verlasse die Reports und die Rechenpyramiden und die Bruchrechnung, die Erklärung der Gezeiten, die Erläuterung des Passivs im Französischen und der Geografie der norddeutschen Tiefebene. Ich flüchte vor Krabat und auch vor dem Satzbau in englischen Fragesätzen, vor Achtelnoten und vor Obststillleben und vor Märchen, die in Dialogform gewandelt werden sollen, vor all dem. Ich lasse es alles kurzentschlossen hinter mir, nur indem ich eine Tür zu mache. Mehrere Fragezeichen drängen mir nach, ich drücke die Klinke fester ran.

Ich lege mich aufs Bett. Es ist zehn Uhr morgens, ich denke Mittagsschlaf. Ich denke, es ist mir doch egal, wie spät es ist. Ich lege mich hin, ich falle durch. Also so fühlt es sich an. Ich rausche in die Tiefe, Alice im Kaninchenloch nichts dagegen, es geht so etwas von abwärts, klaftertief, so heißt das immer in alten Büchern. Nie habe ich gewusst, wie tief ein Klafter ist habe ich das auch einmal zugegeben. Tief genug ist es allemal. Ich kippe nach hinten weg in die Schwärze eines bleischweren Schlummers, ich bin ein Senkblei im Vormittag, wo ich liege, da ist unten.

Der Wecker steht auf zwanzig Minuten, so steht er immer, wenn ich Mittagsschlaf mache, egal, wann Mittag ist. Mittag ist auch nur ein Wort. Diese zwanzig Minuten sind ein finsterer Maulwurfgang durch die Stunde, lichtloses Graben, muffige Sekunden hinter mich schaufelnd, noch zwei Atemzüge, noch eine Minute, das Klingeln. Ich bin allerdings so weit unten, ich muss mich mühsam an der Bettdecke hochziehen. Wie jemand, der in Eis eingebrochen ist, sich an der blanken Kante festzuhalten versucht, so kralle ich mich in die Decken und ziehe und ziehe, Luft und Licht, da bin ich wieder.

Ich gehe an der Home-School vorbei, ein Sohn sagt Algebra. Ich sage, ich lege mich lieber noch einmal hin.

Das habe ich dann auch getan. Und zwar noch sechsmal. Danach ging es mir wieder besser.

Die Zeiten sind etwas anstrengend, sind sie nicht? Aber das fiel Ihnen vielleicht auch schon auf.

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2 Kommentare

  1. Mein Mittagsschlaf kriegt nie einen Wecker – außer wenn ich wirklich einen Termin danach habe. Wozu sich beim Schlafen stressen lassen. Dauert dann meist 2 Stunden. Und ja, ich kenne die ganzen Tipps von wegen Power Napping und man werde danach den Rest des Tages nicht mehr richtig wach. Ist halt individuell, wie so vieles. Wünsche gutes Wachwerden, wenn es soweit ist.

  2. Ein Klafter war früher das, was man mit ausgestreckten Armen (also nach links und rechts jeweils) umfassen kann. Aber früher waren die Mensch auch kleiner und die Arme deswegen kürzer. Man sagt heute, man kann einen Klafter mit etwa anderthalb Meter annehmen. 🙂

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