Und im Schlaf war er nichts

Am Abend (pardon, ich bin noch bei gestern) wende ich mich wieder dem Sofa und Hörbüchern zu, während die Familie um mich herum exzessiv wuselt und eskaliert und mich alle drei Minuten anspricht. Aber ich spiele heute einmal eiserne Konzentration, ich ziehe das durch, ich liege, ich höre. Ich kriege in Wahrheit zwar nichts mit, aber egal. Das Freudenhaus von Maupassant, das kenne ich immerhin schon als selbst gelesenen Text aus einem Buch zum Anfassen, da sind ein paar Aussetzer in Ordnung.

Dann das Evangelium nach Johannes, denn ich finde, das habe ich schon einmal erklärt, die Bibel aus sprachlichen Gründen interessant, wenn schon nicht aus religiösen. Allerdings fängt das Werk etwas kryptisch an, Sie wissen schon, das Wort ist bei Gott und Gott ist das Wort oder wie herum und noch in der ersten Minute war der Schlaf beim Buddenbohm oder der Buddenbohm im Schlaf und Schlaf ist er geworden und im Schlaf war er nichts. Seit Jahrhunderten schlafen Menschen in Gottesdiensten ein, das ist eine gut erprobte Wirkung, warum nicht auf Erfahrungen vertrauen. So verging der Abend, ich habe nicht viel davon mitbekommen und das ist vermutlich auch gut so.

Am nächsten Morgen schon wieder Nebel. Alles neigt zu Wiederholungen, auch das Wetter, auch ich. Ich stehe im Bademantel auf dem Balkon, sehe ins urbane Grauweiß und sage leise: „Hier spricht Edgar Wallace.“  Nichts rührt sich, gar nichts, und was nützt die schönste Kamerafahrt über den Kirchhof, wenn danach einfach nichts kommt. Ich gehe lieber in der Wohnung herum und suche das Positive, denn von selbst springt es einen manchmal nicht an. Pflanzkartoffeln, denke ich, ich nehme einfach die Pflanzkartoffeln. Die liegen da auf der Anrichte, auch ein seltsam aus der Zeit gefallenes Wort übrigens, sie liegen da und warten darauf, dass ich sie liebevoll in eigens für diesen Zweck gesammelte Eierkartons bette, auf dass sie munter vortreiben und bald ins Beet können, welches ich bei besserem Wetter noch mit Kompost großzügig zu versorgen habe. Das sind doch klare und nach vorne gerichtete Gedanken, so ist es recht und zack, bin ich eingenordet für einen Tag, den ich mit Staunen als Mittwoch zur Kenntnis nehme, wo es doch ein Donnerstag ist, also gefühlt. Wenn nicht sogar ein Freitag, also kräftemäßig.

Teresa Bücker, ich sehe es bei der morgendlichen Streife durch mein Internetrevier, schreibt etwas über Ferienschulen, alleine das Wort schon, aus dem Vokabular von Frau Mahlzahn oder was, jene Frau Bücker also zitiert hier Sue Reindke:

Ferienschule ist das Schlimmste, was man noch machen kann. Es hört sich zwar logisch an, doch wenn Schüler*innen in der normalen Lernzeit schon Schwierigkeiten haben, brauchen sie andere Dinge als noch mehr Druck.”

In diesem Zusammenhang siehe auch: „Giving kids a break is the best way for them to catch up after a year of disruption.”

Ferienschule, meine Güte. Und für Erwachsene dann bitte Urlaubsarbeit, ist klar, wir fallen sonst zurück.

Apropos Arbeit, mein Home-Office findet heute in der Abstellkammer statt. Die ist groß und geräumig, da gibt es sogar einen Schreibtisch. Allerdings gibt es keine Fenster und was man spricht, das wird wegen einer Belüftungsöffnung auch im Treppenhaus gehört. Wenn man also etwa Auftragskiller ist und telefonisch etwas zu klären hat, dann ist diese Kammer als Arbeitsort etwas ungünstig, zu viele Zeugen. Ich bin kein Auftragskiller, das wollte ich auch nie werden, denn da muss man zu viel reisen, das mochte ich früher nicht. Neuerdings würde ich gerne mal rauskommen, aber für einen Berufswechsel ist es bei mir schon zu spät. Ich setze mich in die fensterlose Kammer vor das Notebook und stelle mir – man muss irgendwo auch fantasiestarkes Kind bleiben – um mich herum besseres Wetter vor, eine andere Stadt, eine andere Jahreszeit. In fensterlosen Räumen immer träumen, alte Regel.

Der Satz mit dem Auftragskiller erinnert mich auf Umwegen an einen Scherz meiner Mutter, an ihren besten womöglich, den habe ich vermutlich schon einmal erzählt. Er ist vielleicht gar nicht von ihr, das kann sein, aber er ist immer noch gut, finde ich. Und zwar war das ihre Antwort, als ich ihr mal erzählte, dass Sohn I später beruflich etwas mit Menschen machen möchte, da sagte sie, und es klang überzeugend spontan: „Soll er Bestatter werden, da kriegt er Menschen geliefert.“ Der Satz illustriert auch recht schön die gesellige Begabung in unserer Familie.

Apropos Home-Office. Wie viele andere überlege ich gerade schon einmal, ob das Home-Office eigentlich Teil meines Alltags bleiben sollte und wenn ja in welchem Anteil. Die Pandemie hat da für etliche Möglichkeiten geschaffen, die es früher nicht gab, was jetzt alles geht! Ich habe allerdings noch nie Home-Office in der entspannten Version gemacht, ich kenne das nur als Doppelbelastung. Denn vor Corona habe ich das meist bei Kinderkrankheiten gemacht und während Corona waren die Kinder auch immer da, und wie die da waren, die waren so etwas von da. Und das wiederum heißt, wenn diese Pandemie einmal vorbei ist, dann müsste ich eigentlich Home-Office erst einmal testen, um zu wissen, wie ich das finde. Ein vielleicht halbwegs origineller Gedanke in der aktuellen Situation. Aber so sieht es aus.

In der Abstellkammer liegen neue, leere Notizbücher auf dem Schreibtisch, mein Vorrat, nein, ein Teil meines Vorrats. Zwanzig Stück, das fällt bei mir unter Reichtum. Dazu dann noch der Vorrat neben dem Bett, im Moment geht es, ich komme so durch. Also was Raum für Notizen betrifft, das ist ja wichtig.

Und in der Abstellkammer stehen auch vier alte und etwas ausgeblichene Bilder eines Urlaubs, ein beschädigter Rahmen drumherum, deswegen wurden sie vor einiger Zeit ausrangiert und hier erst einmal abgestellt. Dänemark ganz damals, da war die Herzdame gerade mit Sohn I schwanger und steht auf einem Foto mit rundem Bauch auf einem Steg an der Nordsee in der Abendsonne, welche sie freundlichst beleuchtet. Das ist ein ganzes Zeitalter her. Da reiste man noch. Auf einem der Bilder sieht man einen Stapel Bücher, man kann nicht erkennen, welche das sind, aber sie liegen auf einem Kaminsims und sehen gut aus. Diesen Stapel habe ich in dem Urlaub durchgelesen, einfach so, das weiß ich noch. Ein Buch nach dem anderen, noch eines, noch eines, aber satt war ich noch immer nicht.

Interessant, was ich alles mal konnte.

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2 Kommentare

  1. „Interessant, was ich alles mal konnte.“

    Das ist mein Satz des Tages. Ein fast flapsig geäußertes Fazit, das sowohl zu Corona als auch zum Älterwerden passt.

    Ich übe, den Satz mit einer möglichst nicht resignierten, sondern neutralen Stimme zu sprechen & zu denken.

    Puh.

    (Vorgestern habe ich im WP-Reader versehentlich dieses Blog entfolgt und nun sagt der Reader, ich könne es nicht neu abonnieren. Was habe ich bloß getan!)

  2. „Aber satt war sie noch immer nicht.“ Ha, ich weiß, aus welchem Buch da zitiert wurde. Meine Kindheitsbibel!

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