Auch von den Küsten

In den Medien sehe ich Berichte über das erste Wochenende mit Lockerungen, ich lese den Satz: „Auch von den Küsten gab es wenig Klagen“, und finde ihn seltsam schön, der Satz klingt doch geradezu literarisch. Dieser Anklang von van Hoddis, doch, das gefällt mir.

Andererseits: „… doch deuten aktuell keine Wettermodelle eine Einkehr des Sommers mit deutlichen höheren Temperaturen an.“ Beim NDR steht das so, und der Freundeskreis 12 Grad zieht wieder Rollkragen an, stellt die Heißgetränke bereit und reibt sich die Hände warm.

Ich gehe abends als Spurenleser durch den Stadtteil. Ich sehe, dass der Alkoholkonsum überall ansteigt. Die Flaschen am Wegesrand, die zertretenen Plastikbecher, ja, es ist endlich wieder Party-Time. Die Menschen brauchen das jetzt oder meinen es zu brauchen, sich endlich einmal wieder richtig die Kante geben, unter Freundesbeobachtung und mit 1,50 Meter Abstand, also im Rahmen der Messgenauigkeit, versteht sich, die gerade allerdings schnell abzunehmen scheint, wenn ich mir die Menschengruppen so ansehe.

Es gibt Diskussionen in der Stadt, ab wann denn ein Pavillon vor einem gastronomischen Betrieb ein Zelt ist, ab wann der Mensch also eigentlich draußen ist, wenn er genau was über und um sich hat – ein Dach und eine Plastikwand, zwei Wände, drei? Ist man in einem Zelt draußen oder drinnen, Nomaden im Sturm kennen diese Frage. Der Senat sagt auf Nachfrage, vier Zeltwände dürfen es nicht sein, wer da aber weniger Wände habe, der sei frei, draußen und gut gelüftet. Wenn Sie jetzt zuhause testweise eine Wand aus ihrem Wohnzimmer stemmen, dann finden Sie das gewiss auch.

Egal, alle finden jetzt alles gut, alle sind herrlich zufrieden. Nicht einmal der FDP-Vorsitzende hat heute etwas gefordert, vielleicht sitzt er – sich ruhig einmal gemein machen! – sternhagelvoll wie alle unter einem Pavillondach draußen und ist wunschlos glücklich, das wollen wir ihm gönnen. Er hat sehr viel gefordert im letzten Jahr, es muss anstrengend gewesen sein. Ja, es ist gut jetzt. Dürfen ist gut, Machen ist gut, Feiern ist gut, Zusammensein ist gut. Ich möchte da auch gar nicht bewerten, verstehen Sie mich nicht falsch, und der Mensch heißt Mensch, weil er sich zusammendrängt.

Auch von den Küsten, liest man, gab es wenig Klagen.

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