Zugvögel

Es geschah tatsächlich von einem Tag auf den anderen, am Montag waren sie plötzlich wieder da, all die jungen Männer in Anzügen. Wie Zugvögel kamen sie in Schwärmen, auf einmal waren sie überall und jetzt halten sie die Gegend hier wieder für ihr Revier. Im ganzen Stadtteil liefen sie auf einmal herum, wie im letzten Sommer auch. Eilige Schritte in neu aussehenden Schuhen mit teils laut klackernden Absätzen, lautes Telefonieren, wichtig, wichtig, nebenbei gestikulierend irgendwas bestellend, Espresso in der Außengastronomie stürzend, dabei immer weiterredend, laut, immer so laut, und über so wichtige Sachen, aber es war alles not rocket science, das wussten sie genau und das sagten sie auch, mehrmals sagten sie das. Die Anzüge superslimfit, die Hosenbeine viel zu kurz, also aus meiner altmodischen Sicht jedenfalls, ich weiß, dass man das heute so trägt, aber ich werde mich nicht mehr daran gewöhnen, es sieht falsch aus. Die hat man jetzt also wieder rausgelassen, diese hungrigen Jünglinge, die so überaus dringend etwas werden wollen, dass man sich als älterer Mensch unwillkürlich etwas darüber amüsiert.

Als älterer Mensch, der natürlich auch einmal so war, und wie, keine Überheblichkeit an dieser Stelle, bitte. Modisch war ich vielleicht sogar schlimmer, ich sage nur bunte Seidenhemden und Bundfaltenhosen, es waren die späten Achtziger, ich hatte da auch Pech. Andererseits hatte ich aber vielleicht auch Glück, es gibt kaum Bildbeweise. Ich hatte auch kein Handy zum Hineinbellen, diese Phase habe ich verpasst, vielleicht hätte mir sonst alles noch mehr Spaß gemacht. Vermutlich wäre mir aber heute auch noch viel mehr peinlich als ohnehin schon. Ich konnte jedenfalls damals nur laut auf der Schreibmaschine herumhämmern, wir hatten ja nichts. Ich erinnere mich noch an die erste Geschäftsreise, auf der ein Kollege ein Handy herausholte und beim Aussteigen aus dem Flugzeug, pardon, aus dem Flieger, sofort da hineinsprach, noch auf der Gangway, wie unvorstellbar abgefahren das damals war, die uns begleitende Vorgesetzte guckte mit steiler Falte auf der Stirn, und die Leute im Hamburger Büro waren vermutlich wie vom Donner gerührt, jetzt ruft der Blödmann auch noch von unterwegs an! Keine Ruhe hat man mehr!

Ich trage heute noch Anzüge, gerne sogar, aber sie wirken schon lange nicht mehr neumodisch schick, das gewiss nicht. Ich trage sie auch nicht als Berufsuniform und Karriereabsichtsmerkmal, auch das schon lange nicht mehr. Ich trage sie einerseits, weil ich beim Anziehen eines Anzugs immer in Snoopy-Manier denken kann: „Hier kommt ein normaler Erwachsener mit vernünftigen Plänen und sinnigen Vorhaben.“ Dann stelle ich mich vor den Spiegel und glaube mir manchmal kurz, das ist dann ganz schön. Zum anderen trage ich aber gerne Anzüge wegen der Taschen. Anzüge haben überall Taschen und ich brauche die auch alle, das ist dann aber eher Tom Sawyer als Snoopy. Immer alles dabeihaben, immer alles mitnehmen, Pokémonkarten von vor drei Jahren, Schnur, Notizbuch, sieben Stifte, eine Feder, eine Kastanie, Schokolade, was man so findet und kauft.

Ich trage also heute noch Anzüge, aber ich trage sie ganz anders als diese jungen Männer, die so überaus souverän rocket science definieren können. Ich sehe sie an mir vorbeihasten, die jungen Männer, ich denke: „Das verwächst sich.“ Und dann versuche ich, mich lieber nicht mehr zu erinnern.

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5 Kommentare

  1. Lieber Herr Buddenbohm, ich hätte da eine Bitte: Wenn Sie mal ein weibliches
    Pendant dieser Spezies erspähen, könnten Sie das dann bitte auch so stichpunktartig porträtieren?
    Ich bin gespannt…

  2. Wenn es Ihnen mit der Uneitelkeit und dem Stauraum ernst ist, rate ich zu Seitentaschenhosen, den Handtäschchen des Praktikers (mitunter auch der Tagesrucksack, offensichtlich).

  3. Allerspezifischsten Dank für die Hosenlängenbemerknisse, Herr Buddenbohm.

    Ich zähle mich zu Jahrgang 80 und sehe bei ihnen meine Gedanken zu Papier gebracht. Eine Gewöhnung an diese Beinkultur scheint auch mir schier unmöglich.

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