Ort und Zeit

Stellt sich also heraus, der Starkregen, den ich auf Eiderstedt erlebt habe und den ich so beeindruckend fand, er war nur ein Schauer im Vergleich zu dem, was dann kurz darauf weiter unten im Südwesten des Landes passiert ist. Auf Twitter etc. melden sich Menschen, die ich kenne, die sind betroffen, die sehen und erleben das, die posten Bilder davon und werden darüber bloggen, das passiert alles gewissermaßen in meiner Welt. Wuppertal z.B. kenne ich auch, das ist alles einigermaßen nah dran.

Ich schreibe übrigens gerade aus Nordrhein-Westfalen, aus dem, wie man nun wohl sagen muss, trockenen Teil des Landes.

Währenddessen steigen die Inzidenzen mit allzu klischeehafter Vorhersehbarkeit, währenddessen habe ich in der nächsten Woche keinen Urlaub mehr, sondern wieder Home-Office. Die Söhne dagegen haben noch drei Wochen Ferien, erfahrene Eltern erkennen hier ein kleines Problem. Währenddessen wurde neulich in einer Zeitung die Begrünung eines, mit Betonung auf der Einzahl, Bushaltestellendaches in der Innenstadt von Hamburg als Teil der Transformation geschildert, in Richtung naturnahe Stadt oder was, man könnte nur noch lachen, aber schön ist das nicht, dieses Lachen. Im Zuge irgendeiner Aktion werden irgendwo Lampions in Bäume gehängt, auch das ist eine Maßnahme. Na, meinetwegen.

Ich bin pessimistisch, was den Herbst betrifft. Sowohl bezogen auf die Wahl, als auch bezogen auf Corona, von der Klimapolitik und vom Umweltschutz ganz zu schweigen, und da denke ich andere Themen noch gar nicht mit, soziale Gerechtigkeit und Gemeinwohl usw. Wenn man erst einmal anfängt, das hört ja gar nicht mehr auf und man wird tendenziell etwas unfroh, to say the least.

Ich bin nicht erholt genug für diesen Herbst, denke ich, nicht einmal ansatzweise, denn da gibt es auch noch private Aufgaben, die mir riesig vorkommen. Und positives Denken hin oder her, sie wirken teils nicht gerade lösbar. Eine Herkuleshaltung brauche ich da, wenn ich schon die entsprechende Kraft nicht mehr habe, dann zumindest die Haltung.

Es bleibt als vorschnelle Sommerbilanz aber erst einmal das Gefühl, dass ich eigentlich ein Jahr Urlaub brauche, nach 2020 und 2021, dass ich ein Sabbatical brauche oder die Frührente. Dass ich irgendwas ganz anders als bisher machen oder wenigstens denken muss, um da weiter durchzukommen, heil durchzukommen. Als ob ich darauf einen Anspruch hätte und am Ende gehen wir ohnehin eh entzwei, schon klar. Und dann kommt doch wieder einfach ein Tag nach dem anderen und man macht einfach alles, was anfällt, so ist es ja immer und bei uns allen.

Sie merken vielleicht, ich bin jetzt geistig in der zweiten Jahreshälfte angekommen, kalendarisch nahezu perfekt passend. Fast möchte ich es als positiven Punkt werten, immerhin das Zeitgefühl stimmt wieder halbwegs. Wir haben den 16. Juli, ich kann dem auch emotional zustimmen, es ist 06:37 an einem Sommertag in Nordostwestfalen. Es ist Juli, danach kommt August, dann die Kindergeburtstage, dann der Herbst, dann der Winter, jetzt ans Schenken denken, ja, das passt. Ich kriege Ort und Zeit wieder stimmig zusammen, zum ersten Mal überhaupt seit jenem März.

Okay. Ort und Uhrzeit. Immerhin. Über den ganzen Rest muss ich noch ein wenig länger nachdenken, glaube ich.

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7 Kommentare

  1. Der Satz „Ich bin nicht erholt genug für diesen Herbst“ wäre als Plakat, Tasse, Shirt ein echter Erfolg – Vielleicht findet sich ja ein hipper Influencer, der das verbreitet? Großartig und deprimierend zugleich! Ich lese hier immer gerne mit, aber die sinkende Grundstimmung macht mir latent Angst. Wenn schon die Menschen, die so wunderschöne Alltagspoesie schaffen langsam aufgeben, was sollen wir armen Menschen ohne kreatives Ventil machen? Kopf hoch bitte!

  2. Mit Anfang, Mitte 50 kann man ernsthaft über ein Sabbatical und die Frührente nachdenken, es lohnt sich, finde ich. Ich habe es jedenfalls getan. Das Ergebnis: Arbeitszeit kräftig reduziert, Prioritäten anders gesetzt. Noch 11 Monate bis zu meinem Sabbatjahr. 🙂 Ich bin gespannt, wie es bei Familie Buddenbohm weitergeht.

  3. Beheimatet in der Mitte desselben Kreises, in dem Sie sich wahrscheinlich gerade befinden, danke ich herzlich für Ihre Worte, die traurig, aber so wahr sind.

    Auch bei mir war das sommerliche Aufatmen 2021 immer verhalten und skeptisch und der allmorgendliche Blick auf die Inzidenzen (auf die wir doch gar nicht mehr genau schauen sollen!) macht es nicht leichter. Nun auch noch die klimatischen Schlagzeilen…
    Viel zu viele Dimensionen hat dieses Leben im Großen gerade, als dass ich es erfassen kann. Und dazu kommt das eigene kleine Leben doch auch noch!

    Zum Glück überrollen mich Sorge und Ohnmacht (noch?!) nicht in einer Dauerwelle, sondern immer wieder, mal sacht, mal stürmisch. Und sie lassen genug Raum für Dankbarkeit und Glück, lehren tiefe Demut.

    Hoffen wir also gemeinsam auf genügend Energie, wenn wir sie brauchen und teilen wir auf dem Weg Worte wie Sprachlosigkeit.

    Herzliche Grüße!

  4. „Als ob ich darauf einen Anspruch hätte und am Ende gehen wir ohnehin eh entzwei, schon klar.“ hat mich gerade ganz schön aus der Bahn geworfen. Aber das kann ja nicht schaden. Danke.

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